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# taz.de -- Gefangene kritisieren Haftbedingungen: Briefe aus dem Knast
> Die „Knast-Soligruppe Göttingen“ veröffentlicht auf ihrer Internetseite
> Berichte, Beschwerden und Gedichte von Gefängnisinsassen der JVA Rosdorf.
Bild: An Silvester zündete die Knast-Soligruppe Göttingen Raketen für die H�…
Hamburg taz | Es begann mit einem Knall: An Silvester 2018/19 schossen zwei
Dutzend Aktivisten der „Knast-Soligruppe Göttingen“ vor der
Justizvollzugsanstalt (JVA) Rosdorf Raketen in die Luft. „In gebührendem
Abstand und nicht in Richtung der JVA“, wie Gefängnisleiter Harald Pilsl
zugeben musste. Per Lautsprecher begrüßten die Demonstranten die Häftlinge.
Bald antworteten einige und riefen „Hallo“ oder „Freiheit“ durch die
vergitterten Fenster.
Auf einem Transparent machten die Aktivisten ihre Postanschrift bekannt und
hielten es in Richtung Gefängnisgebäude. „Wir haben die Gefangenen
eingeladen, uns zu schreiben, überhaupt erst mal mit uns in Kontakt zu
treten“, sagt Michael Kensy von der Soligruppe.
Als die ersten Briefe kamen, beschloss die Soligruppe, sie unter der
[1][Rubrik „Nach draußen!“ auf ihrer Internetseite zu veröffentlichen.] D…
Briefe enthalten vor allem Beschwerden über die Haftbedingungen in der JVA
Rosdorf: Die Mediennutzung werde stark beschränkt, die medizinische
Versorgung sei mangelhaft, Therapieplätze seien schwer zu bekommen und die
Arbeitsbedingungen seien schlecht.
Der Insasse Sascha S. etwa berichtet von Arbeitslöhnen zwischen 30 und 120
Euro im Monat. Der Gesamtbetrag liege höher, der Großteil werde allerdings
als so genanntes Überbrückungsgeld auf ein Konto eingezahlt, worauf der
Gefangene erst nach seiner Entlassung zugreifen könne. Auf den Rest des
Geldes können die Insassen über ihr Eigengeldkonto zugreifen. „Dieses aber
auch nur, wenn gegen den Gefangenen keine Pfändungsansprüche bestehen, denn
dann wird dieses Geld zu 100% den Gläubigern zugeteilt, da dieses Konto
nicht dem Pfändungsschutz unterliegt“, schreibt S.
Im Auftrag von externen Unternehmen werden auf dem Gefängnisgelände
Akkordarbeiten verrichtet. Unter anderem werden dort Kugelschreiber
montiert, Bügelbrettbezüge genäht oder Schrauben in Kartons gepackt. Auch
die JVA selbst ist Arbeitgeber und betreibt einen eigenen Onlineshop.
Hausmeistertätigkeiten und Arbeiten in der Küche werden ebenfalls von
Insassen getätigt. „Diese sind in der Mehrzahl nur von 'vertrauenswürdigen�…
Insassen besetzt und setzten eine Drogenfreiheit voraus, wobei letzterer
Aspekt gerade in dieser Anstalt nicht so eng gesehen wird, da die Anstalt
ein massives Drogenproblem hat“, schreibt S.
Unter den 340 Menschen, die in der Haftanstalt nahe Göttingen einsitzen,
sind auch 48 Sicherungsverwahrte, also Personen, die ihre Haftstrafe
bereits verbüßt haben. 2013 war in Rosdorf der bundesweit erste Neubau
ausschließlich für Sicherungsverwahrte eröffnet worden. Der Neubau war nach
einem [2][Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2011 nötig geworden],
wonach Sicherungsverwahrte besser als Strafgefangene und von diesen
räumlich getrennt untergebracht werden müssen.
Dennoch sind unter den Beschwerdebriefen, die die Göttinger Soligruppe auf
ihre Internetseite gestellt hat, auch welche von Sicherungsverwahrten.
„Dass die SV jeglichen Menschenrechten Hohn spricht, brauche ich an dieser
Stelle sicher nicht zu erwähnen“, schreibt etwa Bernd*, der seit vier
Jahren in Sicherungsverwahrung sitzt.
In seinem Brief berichtet er von fehlendem Zugang zu Medien: „In der
JVA-Rosdorf gibt es lediglich sieben freigeschaltete Internetseiten, die
des Weiteren stark zensiert sind (z. B. kicker.de). Und selbst diese sieben
Internetseiten sind erst auf Druck der Inhaftierten freigegeben worden.“
Auch würden immer mehr Privilegien der Sicherungsverwahrten gestrichen. „So
dürfen seit September 2017 keine TV-Sendungen mehr aufgezeichnet werden,
keine pornografischen DVDs/Bücher mehr besessen werden, Bargeld wurde – wie
in der Strafhaft – durch Einkaufsgutscheine ersetzt und die den
Sicherungsverwahrten zustehende Ausführungszeit wurde von 8 auf 2,5 Stunden
im Monat reduziert“, schreibt Bernd. „Des Weiteren wird
Sicherungsverwahrten der Zugang zu Therapieplätzen erschwert, wenn nicht
gar unmöglich gemacht. Auch hier zeigt sich kein Interesse der
Anstaltsleitung an einer Besserung, gar einer Resozialisierung der
Inhaftierten.“
Das niedersächsische Justizministerium erklärt auf Anfrage der taz, „aus
Sicherheitsgründen“ könne der unbeschränkte Zugang zum freien Internet in
der „Abteilung Sicherungsverwahrung“ in Rosdorf nicht gewährt werden. Dann
werden die zehn Internetseiten aufgezählt, die „grundsätzlich abrufbar“
seien, es komme allerdings gelegentlich zu „technischen Problemen“.
Mit dem Zugriff auf Bargeld seien viele der Sicherungsverwahrten
„überfordert“ gewesen, darum habe man es 2018 abgeschafft. Dass
TV-Sendungen nicht aufgezeichnet werden können, liege am
„Haftraummediensystem“, verpasste Sendungen könnten aber noch drei Tage
abgerufen werden.
Die „Ausführungen“ außerhalb der Haftanstalt variierten von zwei bis zehn
Stunden im Monat, die Dauer sei nicht vorgeschrieben. Die
Sicherungsverwahrten in Rosdorf bekämen die Therapieangebote, die sie
benötigten, die Gerichte hätten bislang nichts an den Zuständen in der
Anstalt auszusetzen gehabt.
Die Soligruppe aus Göttingen hat angekündigt, die Veröffentlichung der
Briefe fortzusetzen. „Mit den Texten der Gefangenen sind wir noch ganz am
Anfang. Weitere Rubriken wie Medizinische Versorgung sind in Planung“,
schreibt die Gruppe. „Gefangene sind angefragt und haben auch schon
angekündigt, dazu Beiträge zu schreiben. Wir hoffen, der Blog füllt sich
bald.“
*Name geändert
26 Jun 2019
## LINKS
[1] https://knastsoligoe.noblogs.org/post/category/nach-draussen/
[2] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/20…
## AUTOREN
Till Wimmer
## TAGS
Sicherungsverwahrung
Justizvollzugsanstalt
JVA
Briefe
Göttingen
Niedersachsen
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Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
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