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# taz.de -- Parität und Frauenpolitik: Die bequeme Quote
> Die Herren Feministen glauben, dass eine Quote sie vom Rest der
> Frauenpolitik befreit. Die Quote droht zum Ersatz für feministische
> Inhalte zu werden.
Bild: Aufgepasst: Nicht in die Quotenfalle tappen!
Wenn es um die Frauenquote bei den Kommentaren in der taz geht, bin ich
normalerweise gnadenlos. Männer sollten nicht die politische Debatte
dominieren, allein schon deshalb nicht, weil diese Debatte Teil der
öffentlichen Willensbildung in einer Demokratie ist. Und so telefoniere und
laufe ich als Meinungsredakteurin meist so lange herum, bis jene
Kolleginnen, die irgendwo hinter eine Säule versteckt sitzen oder ins
Homeoffice abgetaucht sind, erfolgreich rekrutiert werden können.
Meine Entschlossenheit, die Quote durchzusetzen, geht jedoch nicht so weit,
dass ich durch die [1][taz-Kantine] laufen würde, um willkürlich irgendeine
Frau als Leitartiklerin zu gewinnen, die sich für ausreichend qualifiziert
hält und zufällig ihren Laptop dabei hat. Genauso aber ist es bei der CDU
gelaufen, wo sich erst diese Woche eine bis dahin gänzlich unbekannte
Kommunalpolitikerin, [2][Sabine Buder] aus Brandenburg, berufen fühlte,
(vergeblich) für den CDU-Vorsitz zu kandidieren.
Sie hat die Quote offenbar als Mittel verstanden, ihre Karriere
quantensprunghaft zu befördern, ohne dabei durch eigene Erfolge oder Ideen
aufgefallen zu sein – ein Phänomen, das auch den Grünen nicht ganz fremd
ist. Doch die Quote, die bewirken soll, dass Frauen bei gleicher
Qualifikation bevorzugt werden, treibt nicht nur dort, wo der eigene
Vorteil als Feminismus umgedeutet wird, seltsame Blüten. Parität ist
neuerdings das Maß aller Dinge.
Der Zustand der Gleichberechtigung und Chancengleichheit zwischen den
Geschlechtern wird nur noch daran gemessen, ob die Frauenquote erfüllt ist.
Machen wir einen kleinen Realitätscheck am Beispiel der SPD. Im neuen
Bundestag beträgt der Frauenanteil der SPD-Fraktion knapp 42 Prozent. Dafür
bekommt sie keine Eins im Fach Quotenfeminismus, aber immerhin eine gute
Zwei. Dennoch musste die SPD-Führung händeringend nach einer geeigneten
Kandidatin für das Amt der Bundestagspräsidentin suchen.
Schließlich fiel die Wahl auf die Gesundheitspolitikerin [3][Bärbel Bas],
die trotz der Pandemie als Fachfrau in der Öffentlichkeit noch nie
aufgefallen ist. Ähnlich hat es beim Rennen um die SPD-Parteiführung
ausgesehen. Diverse Männer, die SPD-Vorsitzende werden wollten, rannten los
wie beim Abschlussball in der Tanzschule, um eine geeignete Partnerin für
eine Doppelspitze zu ergattern.
In Erinnerung geblieben ist lediglich die Bundestagsabgeordnete [4][Saskia
Esken], die das Rennen zusammen mit dem Ex-NRW-Finanzminister Norbert
Walter-Borjans machte und derzeit zu den unbeliebtesten
Politiker*innen des Landes zählt. Bei den SPD-Ministerinnen in der
Groko fällt vor allem auf, dass den wenigsten Menschen in Deutschland auf
Anhieb ihre Namen aufzählen könnten, selbst wenn sie pro Name sofort
tausend Euro auf die Hand bekämen.
## Die Vorzeichen einmal umkehren
Sie sind politisch blass geblieben und führen außerdem Ressorts, die nicht
zu den Schlüsselministerien der Bundesregierung zählten. Manchmal stelle
ich mir die Gegenwart vor wie in dem Buch „Die Töchter Egalias“ der
Norwegerin Gerd Brantenberg aus dem Jahr 1977, in dem der Konflikt der
Geschlechter unter umgekehrten Vorzeichen geschildert wird.
Die Männer kämpfen in ihrer aufkeimenden Emanzipationsbewegung gegen das
herrschende Schönheitsideal (mollig) und dass sich beim Sex stets alles um
die Klitoris dreht und der männliche Orgasmus als gelegentlich beachtetes
Beiwerk gilt. Eine eigene Karriere, ganz zu schweigen von einer politischen
Laufbahn, ist schon deshalb schwierig, weil einer die Kinder aufziehen
muss.
Die Frauen können sich schließlich nicht um alles kümmern. Wer also soll
die Säuglinge in die Büros tragen, damit die hart arbeitenden Mütter, die
ja schon fürs Gebären zuständig sind, sie stillen können? Ein Vater ist ja
gerade in jungen Jahren so wichtig. Vielleicht ein Minijob, sobald die
Kinder in die Schule gehen? Natürlich hätten auch die Söhne Egalias
inzwischen Einiges erreicht, sie wären vielleicht sogar bis in die
Bundesregierung aufgestiegen.
Ein Kabinett könnte in etwa so aussehen: Olaf Scholz ist Minister für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Heiko Maas Umweltminister, und
Hubertus Heil steht dem Ministerium für Bildung und Forschung vor. Im neuen
Kabinett kann die designierte nächste Bundeskanzlerin Andrea Nahles sich
sogar eine Männerquote vorstellen. Weitere Betätigungsfelder für männliche
Politiker wären beispielsweise Ernährung und Landwirtschaft oder auch
Gesundheit.
Kurzum: Die Quote ist eine Krücke, die wir als Gesellschaft brauchen, um
Frauen überhaupt erst die Möglichkeit zu geben, glänzen zu können. Warum
aber glänzen so viele Politikerinnen der quotenfreundlichen Parteien nicht?
Warum ist es ausgerechnet die CDU, die die erste Bundeskanzlerin, die erste
Verteidigungsministerin und die erste Präsidentin der Europäischen
Kommission hervorgebracht hat?
Die Antwort liegt unter anderem bei den Herren Feministen. So wie manche
Frauen unter Emanzipation vorrangig verstehen, für das eigene Weiterkommen
zu sorgen und dies als Feminismus zu labeln, nutzen auch Männer die Quote
zur Imagepflege. [5][Olaf Scholz] etwa hat ein paritätisches Kabinett
angekündigt und behauptet von sich, Feminist zu sein. Man darf also
gespannt sein, wer die Ministerien für Finanzen, Verteidigung, Inneres und
Auswärtiges übernimmt.
## Von Gender Pay Gap keine Rede
Jenseits der Quote aber hört man von den Feministen der Spitzenpolitik – zu
denen selbstverständlich auch Grünen-Chef Robert Habeck gehört –
erstaunlich wenig. Im Wahlkampf wurde ab und zu mal in zwei bis drei Sätzen
etwas vom Gender Pay Gap zwischengeschoben, aber ansonsten war nichts
Konkretes zu erfahren. Die Feministen glauben, sich mit der Umsetzung der
Frauenquote vom übrigen Gedöns befreit zu haben und dabei immer noch als
fortschrittlich zu gelten.
Das Erstaunliche ist: Auch ein erheblicher Teil der Frauen gibt sich mit
der Quote zufrieden. Parität macht den Feminismus übersichtlich,
unkompliziert und leicht umsetzbar. Im Stil von Milan Kundera könnte man
sagen, dass die unerträgliche Bequemlichkeit der Quote sich in der Politik
durchgesetzt hat. Sie hat feministische Inhalte weitestgehend verdrängt.
Dabei wäre nichts weniger als eine Revolution nötig. Um überhaupt nur in
die Nähe von Gleichberechtigung zu kommen, müsste etwa die Berufswelt vom
Kopf auf die Füße gestellt werden. Die sogenannten Frauenberufe – von der
Erzieherin über die Altenpflegerin bis hin zur Krankenschwester – brauchen
eine komplette Neuaufstellung. Als Altenpflegerin verdiente man dann nicht
mehr weniger als ein Handwerker, als Krankenschwester nicht weniger als ein
Facharbeiter.
Erzieherinnen hätten zahlreiche Aufstiegs- und Karrierechancen.
Friseurinnen könnten von ihrem Lohn leben, und die Mehrheit der
Grundschullehrerinnen würde nicht weniger als Berufsschullehrer verdienen.
[6][Mit der Feminisierung eines Berufs oder einer Branche würden nicht mehr
Gehalt und Status sinken.] Noch weniger wird in Zeiten des Quotenfeminismus
über Gewalt gegen Frauen geredet, die die UN-Sonderberichterstatterin für
Gewalt gegen Frauen, [7][Dubrovka Šimonovic], zuletzt als „pandemisch“
bezeichnete.
Wer mit Beraterinnen des Frauennotrufs spricht, bekommt zu hören, dass
Gewalt gegen Mädchen und Frauen auch heute noch extrem weit verbreitet ist.
Es fängt mit Festhalten und Drohungen an und endet mit Schlägen und
sexualisierter Gewalt. Jeder Junge und jeder Mann müsse damit rechnen, dass
die neue Freundin in ihrem Leben schon einmal betroffen war, sagen
Expertinnen. Dennoch gehört dieses Thema nicht zum kontinuierlichen
Lernstoff in der Schule. Selbstverteidigung ist nicht Teil des
Sportunterrichts.
## Gewalt gegen Frauen mit pandemischen Ausmaßen
Lehrer machen weiter anzügliche Bemerkungen, und Mädchen werden sogar noch
häufiger als früher „Hure“ genannt. Und das obwohl sexualisierte Gewalt
gerade auch im schulischen Kontext eine große Rolle spielt. Aber Hauptsache
die Quote im Lehrerzimmer stimmt. Die gegenwärtige Fixierung auf die Quote
als feministisches Allheilmittel ist umso erstaunlicher, als dass dies noch
zu Beginn der Amtszeit von Angela Merkel als abwegig galt.
Über die Wahl der ersten Frau in diesem Amt am 22. November 2005 durfte man
sich in linken Kreisen bestenfalls heimlich freuen. Allein auf die
frauenpolitischen Inhalte kam es schließlich an. Auch das hat sich
natürlich als eine grandiose Fehleinschätzung herausgestellt. Die Quote ist
ein Hilfsmittel – nicht mehr und nicht weniger. Sie entbindet
Politikerinnen nicht davon, durch Leistung und Fähigkeiten hervorzustechen,
die Wähler*innen zu überzeugen.
Geben wir es ruhig zu: Es gibt durchaus die Quotenfrauen, und nicht selten
haben sie auf dem Weg nach oben nicht das Rüstzeug erworben, um ihre
Position auszufüllen. Manche Frauen scheitern dann schnell, andere haben
die Fähigkeit, sich trotz hoher Fehlerquote zu halten, zu einer eigenen
Kunstform entwickelt. Die Grüne Katrin Göring-Eckardt zum Beispiel, die
trotz Pleiten, Pech und Pannen immer eine Spitzenposition halten konnte.
Das wiederum zu kritisieren, gilt im Zweifel als misogyn. Bei
Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock grenzte Kritik gar an
Majestätsbeleidigung. Komisch nur, dass Merkel, von der Leyen, Annegret
Kramp-Karrenbauer oder auch Julia Klöckner aufs Schärfste kritisiert werden
dürfen, ohne dass dieser Vorwurf je erhoben wird.
Frauenpolitik auf die Quote zu reduzieren, befördert eine Art
Placebo-Feminismus. Die Quote wird zur Falle. Mit dem Verweis auf Parität
in Regierungen, Parlamenten, Vorständen bis hin zum Kaninchenzüchterverein
wird das postfeministische Zeitalter eingeläutet. Frauen werden sichtbarer
sein, einige Männer ihre Macht verlieren – und das Patriarchat wird munter
weiterbestehen.
20 Nov 2021
## LINKS
[1] /Kantine/!p4237/
[2] /Abgelehnte-Kandidatur-um-CDU-Vorsitz/!5812541
[3] /Bundestagspraesidentin-Baerbel-Bas/!5806028
[4] /Saskia-Esken-will-SPD-Chefin-bleiben/!5813227
[5] https://twitter.com/olafscholz/status/1368856599889084417?lang=bg
[6] https://serval.unil.ch/resource/serval:BIB_394986C05943.P001/REF
[7] https://www.theguardian.com/global-development/2021/may/13/violence-against…
## AUTOREN
Silke Mertins
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