# taz.de -- Einblick in eine Mikrochip-Fabrik: Wie aus Waffeln Chips werden | |
> Der größte Mikrochip-Betrieb Europas ist in Sachsen. Hier werden die | |
> Vielkönner hergestellt, die manchmal kleiner als ein Fingernagel sind. | |
Bild: Keine Szene aus „Clockwork Orange“, sondern aus der Waffelfabrik | |
DRESDEN taz | Von außen sieht die hochmoderne Fabrik wie ein Kongresshotel | |
mit einem riesigen Parkplatz aus: Die Autos von 3.200 | |
Mitarbeiter:innen des Unternehmens Global Foundries müssen hier Platz | |
finden. Statt wie üblicherweise in den Foyers großer Hotels hängen im | |
Eingangsbereich von Global Foundries aber keine Konterfeis prominenter | |
Gäste, sondern reihenweise sogenannte Wafer, zu deutsch: Waffeln. | |
Wafer sind tellergroße Siliziumplatten, die bronze- und regenbogenfarben | |
schimmern und wie übergroße CDs aussehen. Ohne diese Wafer gäbe es nicht, | |
worüber gerade alle reden: heißbegehrte Mikrochips. Denn auf solchen | |
Wafer-Platten werden diese produziert. | |
Die Wafer im Eingangsbereich hier dienen zwar nur noch als dekorativer | |
Hintergrund, auf dem die neuesten Patente des Unternehmens angebracht | |
werden. Aber die Frage stellt sich natürlich: Was kann diese Firma, was | |
andere nicht können? Was ist so schwierig daran, Mikrochips herzustellen? | |
Und warum funktioniert ohne sie nichts? | |
## Der größte Standort für Mikrochip-Herstellung in Europa | |
Global Foundries ist die größte Chipfabrik in ganz Europa und steht im | |
Norden Dresdens. Sachsen war schon zu DDR-Zeiten das Zentrum für | |
Mikroelektronik, mittlerweile ist die Gegend wegen der Fabriken, der | |
Zuliefererfirmen und Forschungsinstitute der größte Standort für die | |
[1][Mikrochip-Herstellung] in Europa: das sogenannte Silicon Saxony. | |
Silicon, zu Deutsch Silizium, ist die Grundlage der Mikrochip- und | |
Halbleiterindustrie. Der Unterschied zwischen beidem? Ein Chemiker des | |
Elektroindustrieverbands ZVEI erklärt es so: Silizium ist ein Halbleiter, | |
man kann einstellen, ob es leitet oder nicht. Diese Eigenschaft nutzen die | |
Hersteller, um kleine elektronische Schalter, sogenannte Transistoren zu | |
bauen. Die werden dann in die Schaltkreise der Mikrochips gesteckt. | |
Halbleiterfabrik und Mikrochip-Fabrik meinen also dasselbe. | |
In der Dresdner Mikrochip-Fabrik treffe ich Guido Überreiter. Er nennt sich | |
„Vice President für Pre- und Postfab“. Seine Aufgabe ist es, sich darum zu | |
kümmern, wie die Baupläne für die Chips in die Fabrik kommen und was mit | |
den Chips anschließend passiert. | |
Normalerweise ist er zu diesem Zweck viel unterwegs. Und selbst in | |
Coronazeiten hat er nur wenig Zeit, um Journalist:innen herumzuführen. | |
Vor über 20 Jahren begann er für Global Foundries zu arbeiten, nur wenige | |
Jahre nachdem die Fabrik in Dresden gegründet wurde. | |
Seitdem hat sich die Produktionstechnologie der Mikrochips rasant | |
weiterentwickelt. Ein Gründer der Chipfirma Intel, Gordon Moore, hatte 1965 | |
prophezeit, dass sich alle anderthalb Jahre die Anzahl der Transistoren auf | |
einem Chip verdoppeln würden, und damit seine Leistung. „More Moore“ ist | |
seither das Motto der Chipindustrie. Sie gibt den Takt an für das | |
internationale Wettrennen, in dem es darum geht, immer schnellere, immer | |
bessere Chips herzustellen. | |
## Winzigkleine Transistoren | |
Kaum ein Gerät funktioniert noch ohne sie: Ein Handy allein braucht mehrere | |
Dutzend Chips: zum Übersetzen der Tippbefehle in elektrische Signale, zur | |
Weiterverarbeitung dieser Information, zum Rechnen und zum Speichern. | |
Für den Rechenprozess sind mittlerweile Milliarden Transistoren auf einem | |
Chip. Die sind teilweise so winzig geworden, dass es gar nicht möglich ist, | |
die Transistoren noch weiter zu verkleinern. | |
Damit diese komplizierten Schaltkreise funktionieren, darf kein Staub an | |
die Mikrochips gelangen: „Wenn ein Staubkorn auf den Chip kommt, ist das | |
wie ein Felsbrocken auf einem Blumenbeet“, sagt Karin Raths, | |
Pressesprecherin von Global Foundries. Die Mikrochips werden deswegen in | |
einem sogenannten Reinraum hergestellt. Die Maschinen darin laufen | |
vollautomatisch. | |
Nur Mitarbeiter:innen von Global Foundries dürfen den Reinraum | |
betreten, und das auch fast nur zu Zwecken der Wartung. Zwei Stunden vorher | |
dürfen die, die in den Raum wollen, nicht mehr rauchen. Denn so lange | |
könnten sie noch Rußpartikel ausatmen, die den Raum verunreinigen würden. | |
Eine Pumpe sorgt außerdem dafür, dass der Raum ständig von Staubpartikeln | |
gereinigt wird. | |
Wer draußen bleiben muss, kann immerhin den Umkleideraum sehen: Die | |
Mitarbeiter:innen ziehen sich mit Baumwollhandschuhen ein Haarnetz, | |
eine Maske und eine Haube über und nehmen einen weißen Ganzkörperanzug von | |
der Stange. Am Ende tauschen sie die Baumwoll- gegen Silikonhandschuhe. Sie | |
sehen so aus, als würden sie einen Corona-Schutzanzug tragen. | |
## Wegätzen, polieren, reinigen | |
Coronaregeln sehen einige Mitarbeiter:innen trotzdem locker und tragen | |
ihre Maske unter der Nase. Pressesprecherin Raths signalisiert ihnen, dass | |
sie die Maske hochziehen sollen. Erst dann dürfen sie den Reinraum | |
betreten. | |
Im Reinraum schleudert eine Maschine einen lichtempflindlichen Lack auf die | |
Wafer. Ein Transportsystem an der Decke greift dann die Wafer und bringt | |
sie zur nächsten Maschine: der Lithografiemaschine. Die funktioniert wie | |
eine analoge Kamera: Sie überträgt den Bauplan durch Beleuchtung auf den | |
Wafer. Der Lack auf den Bereichen, die beleuchtet werden, wird dann von | |
einer anderen Maschine weggespült. | |
Es folgen über eintausend weitere Arbeitsschritte: Metall wird aufgetragen, | |
weggeätzt, poliert, gereinigt. Erst nach zwei bis drei Monaten sind die | |
Chips mit ihrem komplizierten Transistoren-Schaltkreis fertig. | |
Da die Transistoren, die elektronischen Schalter, immer kleiner werden, | |
müssen die Maschinen extrem präzise sein. Deshalb sind sie auch sehr teuer: | |
Eine einzige Maschine kann so viel kosten wie eine Boeing 747, man muss | |
also eine Summe im dreistelligen Millionenbereich lockermachen. Bei Global | |
Foundries Dresden haben sie mehrere Dutzend Maschinen – die genaue Zahl | |
wollen sie nicht sagen. | |
Wenn die Wafer fertig präpariert sind, werden sie an Schnittlinien zersägt, | |
in Plastikhüllen verpackt und so verbaut. Davor aber muss das Labor ihre | |
Funktion prüfen. Dafür haben sie in Dresden Mikroskope, die sogar einzelne | |
Atome sichtbar machen können. So können die Mitarbeiter:innen Fehler | |
an Teilchen finden, die so klein sind wie ein Golfball im Vergleich zu | |
Sachsen. | |
## Die Zukunft des Silicon Saxony | |
Die Coronapandemie hat auch hier einiges durcheinandergewirbelt. Zwar lief | |
die Fabrik auch während der Pandemie 24 Stunden durch, aber nicht immer mit | |
voller Auslastung. „50 Prozent Auslastung hält man nicht lange durch“, sagt | |
Überreiter. Pleite gegangen sei zwar keine Chipfabrik, sagt der Verein | |
Silicon Saxony. Die Angst davor sei aber groß gewesen. | |
Dabei hat die Branche gute Aussichten. Der Elektroindustrieverband rechnet | |
mit einem Wachstum der Mikroelektronikbranche von etwa 7 Prozent pro Jahr. | |
Wegen der steigenden Nachfrage investieren gerade mehrere Hersteller in | |
neue Fabriken. Die EU, Deutschland und Sachsen wollen diese Industrie | |
fördern. Gleichzeitig steigt der Anteil Asiens in der Halbleiterproduktion. | |
Nur noch 10 Prozent der Produktion findet in Europa statt. | |
Dafür hat sich Europa eine andere Nische gesucht: „In einem Gerät braucht | |
man einen Superprozessor und dazu viele andere Chips“, erklärt Überreiter. | |
Der Prozessor ist das Gehirn, also der Hauptrechner des Handys. Der kann | |
aber nur rechnen und ist sehr teuer, in einem Handy zum Beispiel braucht | |
man nur einen davon – und für die restlichen Funktionen ganz viele andere. | |
Global Foundries entschied sich deshalb vor drei Jahren, keine | |
Superprozessor-Chips mehr herzustellen. Jetzt produziert die Firma nur noch | |
die anderen Chips, die zwar weniger Rechenleistung haben, dafür aber andere | |
Dinge können, wie Informationen speichern oder Audiosignale verarbeiten. | |
Vielleicht weil die Superprozessoren immer noch mehr Prestige bringen, | |
nennen sie diese Strategie hier mit ein bisschen Trotz: „More than Moore.“ | |
Will sagen: Wir können mehr als bloß immer mehr Transistoren auf die Platte | |
bauen. In Europa wird ein Viertel dieser Mehrfachkönner-Chips hergestellt. | |
Auch hier ist die Konkurrenz groß. Aber Überreiter und auch der | |
Elektroindustrieverband sind sich einig: Auf diesem Feld hat Europa | |
zumindest noch eine Chance mitzuhalten. | |
14 Nov 2021 | |
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## AUTOREN | |
Rebecca Ricker | |
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