# taz.de -- Chinapolitik der neuen Bundesregierung: Harter Kurs versus Pragmati… | |
> Die künftige Außenministerin Baerbock kündigt einen kritischeren Umgang | |
> mit China an. Bald-Kanzler Scholz setzt eher auf Verständigung. | |
Bild: Eine Automesse in Guangzhou: Für deutsche Autobauer ist China längst de… | |
PEKING taz | Noch ehe die künftige Bundesregierung vereidigt ist, zeichnet | |
sich bei einem der zentralen außenpolitischen Themen bereits eine | |
schizophrene Zerrissenheit ab: Während die Koalitionspartner FDP und Grüne | |
beim Umgang mit China eine härtere Gangart fordern, signalisiert der neue | |
Kanzler Olaf Scholz eine Fortführung des pragmatischen Merkel-Kurses, der | |
vor allem von den wirtschaftlichen Interessen der heimischen Industrie | |
geleitet wird. | |
Dabei hatte erst letzte Woche Annalena Baerbock (Grüne) in einem | |
taz-Interview mit ihren Aussagen für internationale Schlagzeilen gesorgt. | |
Darin versprach die neue Außenministerin, beim Umgang mit China die | |
Menschenrechtsverletzungen deutlich anzusprechen, sich für die Autonomie | |
Hongkongs einzusetzen und auch einen Boykott der kommenden Winterspiele in | |
Peking genauer in den Blick zu nehmen. „Beredtes Schweigen ist auf Dauer | |
keine Form von Diplomatie, auch wenn das in den letzten Jahren von manchen | |
so gesehen wurde“, sagte Baerbock – und lieferte damit gleich einen | |
Seitenhieb auf die Ära Merkel. | |
Die Retourkutsche der chinesischen Botschaft in Berlin folgte prompt: Man | |
brauche „Brückenbauer anstatt Mauerbauer“, hieß es in einer schriftlichen | |
Stellungnahme. Dass die Chinesen ihre Hoffnung vor allem auf Olaf Scholz | |
setzen würden, ist ein offenes Geheimnis. Und die jüngsten Auftritte des | |
Hanseaten lassen sich nicht weniger als Widerspruch zu den Ankündigungen | |
Baerbocks auffassen: Als Scholz etwa am Dienstag bei einer Pressekonferenz | |
zu einem möglichen Olympiaboykott und dem derzeit suspendierten | |
Investitionsabkommen zwischen der EU und China gefragt wird, schwafelte er | |
minutenlang von der „Ostpolitik Willy Brandts“ und dem „Verständnis für | |
Gemeinschaft unter Demokratien“. Eine Antwort ließ sich innerhalb der | |
rhetorischen Nebelgranate jedoch nicht ausmachen. | |
Ohne Frage: Der Drahtseilakt, den die Ampelkoalition in ihrer China-Politik | |
offensichtlich beschreiten möchte, wird immer heikler. Zum einen ist die | |
Abhängigkeit der deutschen Volkswirtschaft vom chinesischen Marktzugang | |
mittlerweile so hoch wie in kaum einem anderen EU-Mitgliedstaat: 2020 | |
betrug das Volumen des bilateralen Außenhandels weit über 200 Milliarden | |
Euro. Insbesondere für Deutschlands Autobauer ist das Reich der Mitte | |
längst der mit Abstand wichtigste Markt der Welt. | |
## Bisher hielt sich Deutschland zurück | |
Gleichzeitig jedoch hat sich die Volksrepublik China unter Xi Jinping | |
fundamental gewandelt. Die Menschenrechtsverletzungen haben massiv | |
zugenommen, insbesondere in der Region Xinjiang, wo die Autoritäten einen | |
dystopischen Polizeistaat installiert haben, in dem Hunderttausende Uiguren | |
in politischen Umerziehungslagern interniert sind. Gleichzeitig droht | |
Peking immer offener mit einer militärischen Zwangsvereinigung mit Taiwan, | |
tritt zunehmend aggressiv auf dem diplomatischen Parkett auf und hat im | |
letzten Jahr die Sonderverwaltungszone Hongkong ihrer Autonomie beraubt. | |
Dementsprechend wachsen die Stimmen der Kritiker an der bisher | |
zurückhaltenden deutschen China-Politik. Einer der konsequentesten von | |
ihnen ist der in Taipeh ansässige Sicherheitsexperte Jakub Janda, Leiter | |
der Denkfabrik „European Values Center for Security Policy“. „Die deutsche | |
China-Politik wurde von den meisten Nato-Verbündeten lange Zeit als naiv | |
angesehen. Es scheint fast so, als ob sie in den Zentralen deutscher Auto- | |
und Chemiekonzerne entschieden wird“, sagt Janda. Er hofft, dass Berlin | |
angesichts der schweren Menschenrechtsverbrechen in der Region Xinjiang | |
sein Paradigma in Bezug auf die Volksrepublik ändert. | |
Wer sich genauer bei Firmenvertretern in China umhört, erntet vor allem | |
betretenes Schweigen. Verwundern darf dies nicht, denn angesichts der | |
aufgeheizten Stimmung kann jede kritische Äußerung mit wirtschaftlichen | |
Vergeltungsmaßnahmen geahndet werden. Gleichzeitig stehen die Firmen auf | |
ihrem Heimatmarkt aufgrund neuer Lieferkettengesetze und dem gestiegenen | |
moralischen Bewusstsein der Konsumenten genauso unter Druck. | |
7 Dec 2021 | |
## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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