# taz.de -- Erste Auslandsreise der Außenministerin: Veränderte Wagenreihung | |
> Annalena Baerbock rückt bei ihrer ersten Auslandsreise als | |
> Außenministerin das Klima in den Vordergrund. Dieser Schritt birgt auch | |
> Risiken. | |
Bild: Baerbock am Zug: Die Außenministerin am Bahnhof Paris-Nord, nächster Ha… | |
PARIS/BRÜSSEL taz | Keine fünf Minuten nach der Abfahrt aus dem | |
französischen Außenministerium in Paris lässt Annalena Baerbock ihren Tross | |
schon wieder anhalten. Am Marsfeld ging es gerade rechts ab auf den Pont | |
d’Iéna. Mitten auf der Seine-Brücke bleibt die Fahrzeugkolonne mit der | |
Außenministerin, ihren Mitarbeiter*innen und der Presse auf der | |
rechten Fahrspur stehen. Baerbock steigt aus und stellt sich auf den | |
Gehweg. Hinter ihr der Eiffelturm, vor ihr die Fotografen. Klick, klick, | |
klick: Nach einer Minute sind alle wieder in den Autos, nach einer halben | |
Stunde laufen die Fotos über die Server der Nachrichtenagenturen. | |
Inszenierung muss sein bei den Grünen, könnte man jetzt sagen. In der | |
Opposition haben sie sich fleißig darin geübt, in der Regierung geht es nun | |
weiter – selbst wenn dafür der morgendliche Berufsverkehr warten muss. | |
Wer möchte, kann die Szene aber natürlich auch wohlwollend betrachten, an | |
Baerbocks zweitem Tag im Amt und während ihrer ersten Reise als | |
Außenministerin: Wer sich in Paris nicht vor dem Eiffelturm fotografieren | |
lassen würde, der werfe den ersten Stein. Und wer sich über seinen neuen | |
Job freut, der wird das ja wohl allen zeigen dürfen. | |
[1][Ja, Freude verspürt Annalena Baerbock am Tag nach ihrem Amtsantritt.] | |
Es könnte auch anders sein nach diesem Jahr. Die Mühen des Wahlkampfs, ihre | |
Fehler, die Häme, der Schritt zurück hinter Robert Habeck und direkt danach | |
die Koalitionsverhandlungen – das muss geschlaucht haben. Dazu kommen all | |
die Krisen, die im Außenministerium auf die Grünen-Chefin warten, | |
zuvorderst die neue Kriegsgefahr an der ukrainischen Grenze. | |
## Mundwinkel erstaunlich weit oben | |
Auf ihrer Antrittsreise wirkt Baerbock aber weder geschlagen noch | |
getrieben. Sie wirkt glücklich darüber, endlich in der Regierung angekommen | |
zu sein. Auf der Pressekonferenz nach ihrem Treffen mit dem französischen | |
Außenminister Jean-Yves Le Drian, wenige Minuten vor dem Foto-Stopp auf der | |
Seine-Brücke, sind ihre Mundwinkel am Donnerstagmorgen erstaunlich weit | |
oben. Sogar als schwierige Fragen kommen, wie die [2][nach einem Boykott | |
der Olympischen Winterspiele in Peking] (die Antwort übrigens: Dazu stimmen | |
wir uns in der Bundesregierung und mit den europäischen Partnern noch ab). | |
Ein Grund für Baerbocks Freude: Sie hat es geschafft, eines ihrer | |
Kernthemen mit ins neue Amt zu ziehen. Vor ihrer Zeit als Parteichefin | |
hatte sie sich im Bundestag als Fachpolitikerin für Klimafragen profiliert. | |
Im Außenministerium, so hat sie es angekündigt, wird sie jetzt | |
„Klimaaußenpolitik“ betreiben. | |
Den Begriff muss sie zwar erst noch mit Leben füllen. Dass es nicht bei | |
einer Floskel bleiben wird, zeigt aber eine Entscheidung vom Mittwochabend. | |
In einem ersten Erlass hat Neu-Kanzler Olaf Scholz angeordnet, dass die | |
Zuständigkeit für die internationale Klimapolitik vom Umwelt- ans | |
Außenministerium übergeht. Auf Klimakonferenzen wird Baerbock die | |
Bundesregierung vertreten. | |
„Beim Thema Klimapolitik schließt sich hier in Paris auch für mich | |
persönlich ein Kreis. 2015 war ich hier bei der Pariser Klimakonferenz, | |
eine Sternstunde der internationalen Diplomatie“, sagt sie auf der | |
Pressekonferenz am Donnerstagmorgen. Damals konnte sie auch sehen, wie es | |
bei den Franzosen läuft: Dort sind die Klimaverhandlungen bereits im | |
Außenministerium angesiedelt, ebenso in den USA. | |
Es könnte sein, dass das Thema durch die Verlagerung innerhalb der | |
Bundesregierung aufgewertet wird, ins Zentrum der Diplomatie rückt, zumal | |
mit einer Ministerin an der Spitze, die sich unbestreitbar auskennt. Der | |
Schritt birgt aber auch Risiken. | |
Das Umweltministerium wird entkernt. Voraussichtlich muss Personal | |
verschoben, müssen eingespielte Abteilungen zerrissen werden. Und wenn | |
gerade mal auch anderweitig die Welt brennt, könnte das Klima im | |
Außenministerium hinten runterfallen. Zumal, nachdem die Grünen das Haus | |
irgendwann wieder abgegeben haben werden. | |
Aber gut, jetzt ist erst mal Baerbock zuständig. Und sie bekommt in Paris | |
auch gleich zu spüren, welche Konflikte in der Klimaaußenpolitik lauern. | |
Frankreich erzeugt den Großteil seines Stroms mit Atomenergie und möchte | |
weitere Kraftwerke bauen, um den CO2-Ausstoß zu senken. Von der EU erhält | |
Paris dabei Rückenwind: Die Kommission will Atomkraft in Zukunft offenbar | |
als nachhaltig labeln. Dadurch würde sie Investitionen in Kernkraft in | |
Zukunft begünstigen. | |
Um die entsprechende EU-Verordnung zu stoppen, müsste eine Mehrheit der | |
Mitgliedsstaaten dagegen stimmen. Diese Mehrheit ist aber nicht in Sicht. | |
Vor ihrem Ausscheiden aus dem Amt sagte Ex-Kanzlerin Angela Merkel, sie | |
glaube nicht, dass die Einstufung der Atomkraft als nachhaltiges Investment | |
noch zu verhindern sei. Kommt es tatsächlich so, wäre das für die | |
Ampelkoalition und vor allem für die Grünen ein erster heftiger Dämpfer auf | |
internationaler Ebene. | |
Auf der Pressekonferenz mit dem Franzosen Le Drian spricht Baerbock den | |
Konflikt von sich aus nicht an. Als ein Journalist danach fragt, muss sie | |
aber auf den Streit eingehen. Sie macht es knapp. „Das ist ein Thema, über | |
das wir auf allen Ebenen sprechen. Nicht nur als Außenministerinnen und | |
Außenminister, sondern auch der Präsident und der Bundeskanzler und | |
natürlich auch gemeinsam auf der europäischen Ebene in Brüssel. Dass wir zu | |
der Frage ‚nuklear‘ unterschiedliche Positionen haben, das ist ja bekannt.�… | |
## Jedes Wort wiegt mindestens doppelt | |
Drei Sätze. Keine große Szene. Am Anfang des Jahres hätte Baerbock auf die | |
Frage wohl schärfer geantwortet, aber damals war sie noch in der Opposition | |
und jetzt sitzt sie in der Regierung. Jedes Wort wiegt mindestens doppelt | |
und bei der Außenministerin wird es sogar zur Nachricht, wenn sie sagt, | |
dass es nichts Neues gibt. „Baerbock lehnt französische Pläne zu ‚grüner… | |
Atomkraft weiterhin ab“, meldet keine halbe Stunde später die Deutsche | |
Presse-Agentur. | |
Da ist der Stopp auf der Seine-Brücke auch schon wieder vorbei und Baerbock | |
auf dem Weg zum Bahnhof. Mit dem Zug geht es weiter nach Brüssel. Josep | |
Borrell wartet dort, der EU-Außenbeauftragte. „Ihr neuer Job ist keiner, | |
der viel Freude macht“, wird er zur Begrüßung sagen. Baerbocks Mundwinkel | |
bleiben stabil. | |
Am Nachmittag ein Termin bei der Nato, dann einer mit John Kerry. [3][Der | |
US-Amerikaner macht mittlerweile auch mit in Sachen Klima.] Am | |
Freitagmorgen soll der Regierungsflieger die Ministerin abholen und direkt | |
nach Warschau bringen. Flüchtlinge, Justizreform, Kohlekraft – viel Spaß | |
auch. Am Nachmittag ein kurzer Abstecher nach Hause, am Abend zur G7 nach | |
Liverpool, am Montag schon wieder Brüssel. Das Klima ist bis dahin wohl | |
nicht gerettet. Ein paar Erinnerungsfotos könnten in der ersten Woche aber | |
noch zusammenkommen. | |
9 Dec 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Annalena-Baerbock-ueber-Aussenpolitik/!5819421 | |
[2] /Boykott-der-Winterspiele-2022-in-Peking/!5809660 | |
[3] /Klimapolitik-nach-der-COP26/!5811106 | |
## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
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