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# taz.de -- Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie: Beton statt Kunst
> „Die Kunst der Gesellschaft 1900–1945“ zeigt mit 250 Werken einige
> Klassiker der Moderne. Die Schau offenbart aber auch eindeutige
> Fehlstellen.
Bild: Aus der Sammlungspräsentation der NNG: Tarsila do Amaral, Distanz, 1928 …
Groß die Freude, als [1][die Neue Nationalgalerie (NNG) nach sechsjähriger
Schließzeit im August wieder die Tore öffnete]. Einhellig die Begeisterung
über die gelungene Sanierung des 1968 in Betrieb genommenen Museums durch
David Chipperfield. Nicht einmal die um 40 Millionen Euro überschrittene
Gesamtrechnung rief Kritik hervor. Wie toll müsste in der aufpolierten
Mies-Architektur erst die hauseigene Kunst aussehen?
Doch ernüchternd ist, was der Interimsleiter der NNG Joachim Jäger mithilfe
von Hauskurator Dieter Scholz und Irina Hiebert Grun unter dem Titel „Die
Kunst der Gesellschaft“ präsentiert. Auch wenn die Werkliste dieser lang
vorbereiteten Sammlungsschau stolze 250 Nummern umfasst – man sieht diesem
Parcours an, dass in Berlin, laut Jäger, schon immer „politisch gesammelt“
wurde – die Kunst, in anderen Worten, das Nachsehen hatte.
So zieht der Weg durch das Sockelgeschoss an viel Mittelmaß in Form meist
gegenständlicher Malerei und Kleinplastik vorbei. Die Kunstgeschichte des
20. Jahrhunderts lässt sich zwar längst nicht mehr als Spannungsverhältnis
von Figuration und Abstraktion erzählen. Doch zeigt diese Tour vor allem,
wie schwer es die experimentelle Moderne in Deutschland schon vor 1933
hatte – danach nur noch mehr.
Dass sich die künstlerische Avantgarde international, formal und
disziplinär entgrenzt, im Austausch mit den populären Bildkulturen, Film
und Fotografie verstand? Fehlanzeige. Ein paar pflichtschuldig eingestreute
historische Filme – etwa Viking Egglings Animation „Symphonie Diagonale“
(1925), aus dem Karlsruher ZKM geliehen – fügen sich nicht ins traditionell
objektdominierte Display der Kuratoren.
## Geplantes „Museum der Moderne“
„Blamabel“ für Berlin als „Labor der künstlerischen Avantgarde“ sei e…
Kulturstaatsministerin Monika Grütters bei der Wiedereröffnung des Hauses,
„der Moderne so wenig Raum geben zu können“. Es fehle an Platz für die
nationale Riesensammlung. Deshalb – so die offizielle, auch von den
Verantwortlichen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) genährte
Legende – muss nebenan unbedingt ein Museum des 20. Jahrhunderts (M20)
gebaut werden, koste es, was es wolle: offiziell derzeit etwa 350 Millionen
Euro.
Der Sammlungsparcours freilich entkräftet die These. Rare Spitzenwerke
eines Munch, Klee oder Delaunay kaschieren nicht die Fehlstellen. Wer die
moderne Kunst anhand exemplarischer Werke ihrer wichtigsten Vertreter
profiliert sehen möchte, ist hier schlicht falsch. Zwar sind nun endlich
auch Künstlerinnen in den Fokus gerückt: Natalija Gontscharowa und, als
Leihgabe aus Moskau, Nadeschda Udalzowa – mit je nur einem Werk.
Wenn es aber an Material fehlt, warum nicht mehr Kontext? Was genau macht
die – ebenfalls geliehene – [2][Bilderserie Hilma af Klints] für die
Moderne relevant? Warum hängt Hannah Höchs „Schnitt mit dem Küchenmesser“
unter der einfältigen Rubrik „Stadtsplitter“ einsam in der Ecke, von einer
Infotafel verstellt?
Höchs Fotomontage bleibt im Parcours der einzige Beleg für die Hochphase
von DADA Berlin als rarer Moment, wo ästhetisches Experiment und
gesellschaftliche Emanzipation tatsächlich auf Berliner Straßen und nicht
im „Labor“ aufeinandertrafen.
## Die Ausstellung bedient den Mythos der „Stunde null“
Und die Surrealismus-Bestände von Ulla und Heiner Pietzsch, die künftig
Sammlungslöcher stopfen, das riesige M20 füllen sollen? Die hier gezeigte
Auswahl – Massons „Massaker“ (1931), Mattas „Locus Solus“ (1941/42),
Miró-Typisches von 1925 – lässt nur hoffen, dass die Sammlung noch ein paar
wirklich große Formate enthält.
Fatal, dass der Parcours 1945 und nicht mit den Folgen der deutschen
Teilung, 1949, endet. Die unsinnige Zäsur bedient erneut den Mythos der
„Stunde null“ und verdeckt dazu die eigene Institutionsgeschichte.
Die wäre gerade jetzt dringend zu erzählen – nicht nur, weil sich in einem
Porträtbüsten-Rudel aus den 20er bis 40er Jahren neben Arbeiten von Max
Beckmann und Käthe Kollwitz auch solche von Fritz Kliemsch, Richard Scheibe
oder Adolf Wamper verstecken. In der NS-Zeit hochgeschätzt, waren diese
Künstler auch in der Bundesrepublik noch gefragt, wie derzeit eine Schau im
Deutschen Historischen Museum belegt. Mit ihrer formalen Betrachtung fahren
die Kuratoren hier vor die Wand.
Nicht nur die Sammlung der NNG, die Museen selbst stehen im Bann der großen
Politik – bis jetzt. Vor 1918 Königlich-Preußisch, danach als Staatliche
Museen zu Berlin (SMB) ist die heutige Gestalt der Nationalgalerien unter
dem Dach der SPK ein Effekt der Wiedervereinigung. So stolz man auf die
Mies-Ikone sein mag, sie repräsentiert nur einen Teilaspekt der Historie.
Schon 1946 hatte SMB-Direktor Ludwig Justi in Ostberlin erfolgreiche
Museumsarbeit gemacht – ganz ohne Preußenstiftung.
## Revisionismus passt dort, wo Geld über Inhalte geht
Zum Gründungsdirektor der Westberliner Neuen Nationalgalerie wurde erst
1968 der Kunsthistoriker Werner Haftmann berufen – kein Freund der
Avantgarde. Haftmanns aktive Verstrickung ins NS-Regime bis hin zur
Beteiligung an Kriegsverbrechen ist Thema aktueller Forschung. Der Schau
ist das gerade mal einen knappen Hinweis wert, die ambivalente Rolle des
Kunstfunktionärs wird nicht beleuchtet.
Das ist Revisionismus – und passt gut zu einer nationalen Kulturpolitik,
der Beton über Kunst, Geld über Inhalte gehen. Fast zu gut fügt sich da
eine von der SPK jüngst als „wegweisend“ gefeierte Personalie ins Bild.
Stand der SPK-Spitze einst ein SMB-Generaldirektor gegenüber – seit 2008
Michael Eissenhauer –, [3][wurde diese Position ersatzlos beseitigt].
Grund: die Reform, zu der sich die SPK im letzten Jahr verpflichtet hat.
Kurz vor der Bundestagswahl berief der SPK-Stiftungsrat [4][Klaus
Biesenbach als neuen NNG-Direktor.] Offiziell, heißt es aus Grütters’
Behörde, sei eine Findungskommission mit der „Bestenauslese“ betraut
gewesen. Doch ein Experte für die Kunst- und Museumsgeschichte des 20.
Jahrhunderts ist der in der Kunstwelt gut vernetzte, Celebrity-affine
Ex-Berliner Biesenbach nicht.
Den aber bräuchte die Neue Nationalgalerie ebenso dringend wie ein
angemessenes Budget, das das Haus vor zu viel Einfluss von Sammlern und
Sponsoren schützt. Nur 4,6 Millionen Euro jährlich gewährt die SPK den
neunzehn Museen unter ihrem Dach – und verbaut ungefähr ein Hundertfaches.
## Planungs- und Budgetfreiheit nicht gewährleistet
Man mag dem Argument folgen, das SPK-Präsident Hermann Parzinger geduldig
wiederholt: So wolle man die Eigenständigkeit der einzelnen Häuser ganz im
Sinne des vereinbarten Reformziels sichern. Doch mit je eigenen Direktionen
ändert sich nichts grundsätzlich an ihrer seit Langem kritisierten
Abhängigkeit von der SPK-Hauptverwaltung – im Gegenteil.
Marina Münkler, Vorsitzende der mit der Evaluation der SPK betrauten
Arbeitsgruppe des Wissenschaftsrats (WR), kritisiert im Gespräch mit der
taz, dass die „für die Einrichtungen notwendige Planungs- und
Budgetfreiheit“ weiterhin nicht gewährleistet sei. „Die zentrale Struktur
der SPK bleibt unangetastet“ – kein Wunder mit Blick auf die Hauptakteure,
die sich an die Spitze der SPK-Reform gesetzt haben: SPK-Präsident
Parzinger und Stiftungsratsvorsitzende Grütters.
23 Oct 2021
## LINKS
[1] /Neue-Nationalerie-wiedereroeffnet/!5792342
[2] /Die-Malerin-Hilma-af-Klint/!5065222
[3] /Neue-Leitung-der-Gemaeldegalerie-Berlin/!5780851
[4] /Neuer-Direktor-der-Neuen-Nationalgalerie/!5800121
## AUTOREN
Hans-Jürgen Hafner
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