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# taz.de -- Konflikt zwischen Brüssel und Warschau: Die Folterwerkzeuge sind g…
> Der Streit zwischen der EU und Polen hat im EU-Parlament zur
> Konfrontation geführt. Warschaus Premier warnte vor einem europäischen
> „Superstaat“.
Bild: Redete sich in Rage: Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki vor dem…
Brüssel taz | Höflich und diskret – so beschreiben Insider den normalen
Umgang zwischen Ursula von der Leyen und Mateusz Morawiecki. Doch als die
Präsidentin der EU-Kommission und der Chef der polnischen Regierung am
Dienstag in Straßburg aufeinandertrafen, war nichts normal. Unfreundlich
und direkt, fast schon brutal – so war die Aussprache, die die Zukunft der
EU entscheiden könnte.
Auf der Tagesordnung standen der Rechtsstaat in Polen und der Vorrang des
EU-Rechts. „Ich bin zutiefst besorgt“, eröffnete von der Leyen die Debatte.
Das polnische Verfassungsgericht habe das europäische Recht angezweifelt
und damit „die Basis der EU“ infrage gestellt, so die CDU-Politikerin. Dies
könne und werde sie nicht unbeantwortet lassen.
Das Verfassungsgericht in Warschau hatte kürzlich entschieden, dass Teile
des polnischen Rechts über der EU-Gesetzgebung stehen. Nach Auffassung der
Kommission stellt dies einen Verstoß gegen die europäischen Verträge dar.
„Die Kommission wird handeln, die Optionen sind bekannt“, warnte von der
Leyen – und legte zum ersten Mal öffentlich ihre Folterwerkzeuge auf den
Tisch.
Instrument Nummer eins: ein Vertragsverletzungsverfahren, wie es Brüssel
schon gegen Deutschland angestrengt hat, nachdem das
Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs
kritisiert hatte – Ausgang offen.
## Die „Nuklearoption“
Waffe Nummer zwei: die Kürzung von EU-Geldern nach dem neuen, im Januar
2021 eingeführten Rechtsstaatsmechanismus – der allerdings noch nie
angewendet wurde.
Dritte Option: Ein so genanntes Artikel-7-Verfahren zur Einschränkung der
polnischen Stimmrechte im Ministerrat. Diese „Nuklearoption“ braucht
jedoch Einstimmigkeit und hat deshalb noch nie funktioniert – Ungarn und
Polen decken sich gegenseitig.
Doch allein schon die Aufzählung dieser Waffen genügte, um Morawiecki in
Rage zu bringen. „Ich bin nicht damit einverstanden, dass Politiker Polen
erpressen wollen und Polen drohen“, erklärte der erzkonservative
PiS-Politiker mit ernster Miene. „Wir sind ein stolzes Land“, das schon
viel für Recht und Freiheit in Europa getan habe.
Das Streit um das EU-Recht werde falsch geführt, so Morawiecki. Seine
Regierung sei weder gegen den Rechtsstaat noch gegen den Europäischen
Gerichtshof – sondern wolle lediglich verhindern, dass die EU ihre
Kompetenzen ständig ausweite. Dagegen hätten auch schon andere Gerichte
protestiert, so Morawiecki unter Verweis auf Urteile aus Karlsruhe.
Polen wolle keineswegs die EU verlassen, sondern sicherstellen, dass kein
„Superstaat“ entstehe. Ähnlich argumentiert Morawiecki auch in einem Brief
an die 27 Staats- und Regierungschefs, die sich am Donnerstag in Brüssel zu
einem zweitägigen EU-Gipfel treffen. Es drohe die Entstehung eines
europäischen Zentralstaats ohne demokratische Kontrolle, warnt er Kanzlerin
Angela Merkel und die übrigen EU-Chefs.
Viel Beifall dürfte es dafür allerdings nicht geben – außer von Ungarn, das
ähnliche Positionen vertritt. Im Europaparlament stand Morawiecki allein
auf weiter Flur, sieht man von den Nationalisten und Rechtsextremen ab.
Sogar die konservative Europäische Volkspartei (EVP), die sonst auch gern
vor Zentralismus und EU-Bürokratie warnt, ging auf Distanz.
## Putin werde sich freuen
„Durch Ihre Rede säen Sie Spalt und Streit in der EU. Sie machen Europa
schwächer mit diesem politischen Ansatz“, sagte der Vorsitzende der
EVP-Fraktion, Manfred Weber (CSU), Darüber freue sich vor allem Russlands
Präsident Wladimir Putin, so Weber. Ein erstaunlicher Seitenhieb, hatte
Morawiecki in seiner Rede doch auch vor Putin und dessen „aggressiver“
Politik gewarnt.
Abgeordnete der Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen forderten
Finanzsanktionen gegen Polen. Die EU-Kommission müsse nun „schnell
reagieren“ und EU-Gelder kürzen, sagte Ska Keller von den Grünen. Auch der
Vorsitzende der Linken-Fraktion, Martin Schirdewan, forderte Taten: „Die
Zeit schöner Worte ist vorbei, handeln Sie“, sagte er zu von der Leyen.
Doch die Chefin der EU-Kommission wollte sich nicht festlegen. „Diese
Situation kann und muss gelöst werden“, erklärte sie vage. Von der Leyen
sei durch geheime Absprachen mit Merkel und Morawiecki gebunden, vermuten
viele EU-Abgeordnete. Noch am Montagabend hatte sie sich mit der Kanzlerin
in Berlin getroffen und die Strategie für den EU-Gipfel am Donnerstag
abgesprochen.
Details sind nicht durchgesickert. Allerdings ist klar, dass Merkel weiter
auf Dialog setzt. „Wir haben große Probleme, aber ich rate dazu, sie im
Gespräch zu lösen und Kompromisse zu finden“, sagte sie. Wenn es dabei
bleibt, dürfte auch der EU-Gipfel keine Lösung bringen. Bisher haben sich
nur die Niederlande, Österreich und Luxemburg für finanziellen Druck auf
Polen ausgesprochen.
19 Oct 2021
## AUTOREN
Eric Bonse
## TAGS
Polen
Europäische Union
EU-Parlament
Ursula von der Leyen
Mateusz Morawiecki
EuGH
EuGH
Schwerpunkt Klimawandel
EU-Mitgliedstaaten
Polnische Justizreform
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