# taz.de -- CIA-Vorgehen gegen Julian Assange: „Nichts ist tabu“ | |
> Die CIA soll laut einem Medienbericht geplant haben, Julian Assange | |
> umzubringen. Sein Anwalt kämpft weiter gegen seine Auslieferung in die | |
> USA. | |
Bild: Julian Assange auf dem Balkon der Botschaft von Ecuador 2017 | |
BERLIN taz | Entführung, Vergiftung, Mord – all das sollen der | |
US-Geheimdienst CIA und höchste Angehörige der Trump-Regierung 2017 als | |
Vorgehen gegen den Wikileaks-Gründer Julian Assange im Asyl in der | |
ecuadorianischen Botschaft in London erwogen haben. [1][Das Portal Yahoo | |
News hatte am Dienstag einen entsprechenden Bericht veröffentlicht]. | |
Er stützt sich auf Gespräche mit ehemaligen | |
US-Geheimdienstmitarbeiter:innen. Yahoo berichtet darin unter anderem, dass | |
der damalige CIA-Direktor und spätere Außenminister [2][Mike Pompeo] mit | |
den Worten „Nichts ist tabu“ Vorschläge für das Vorgehen gegen | |
[3][Wikileaks] eingefordert hatte. Pompeo selbst soll die Entführungspläne | |
vorangetrieben haben. | |
„Das bestätigt alles, was die spanische Justiz bereits ermittelt hat“, sagt | |
dazu Assanges Anwalt Aitor Martinez der taz. Er vertritt Assange unter | |
anderem in einem Verfahren gegen den Chef einer spanischen | |
„Sicherheitsfirma“ namens Undercover Global (UC Global). Die war vom | |
ecuadorianischen Geheimdienst angeheuert worden, um Ecuadors Botschaft in | |
London zu überwachen. Assange hielt sich dort seit 2012 auf. Tatsächlich | |
hatte UC Global die Botschaftsräume mit versteckten Mikrofonen und Kameras | |
ausspioniert – und dabei heimlich für die CIA gearbeitet. | |
Der einstige Geschäftsführer von UC Global, David Morales, steht seit 2020 | |
in Madrid vor Gericht, weil er dabei Assanges Persönlichkeitsrechte | |
verletzt haben soll. In dem Verfahren hatte im Oktober 2020 einer seiner | |
ehemaligen Mitarbeiter ausgesagt, dass die Amerikaner „extreme Maßnahmen“, | |
darunter auch die Vergiftung Assanges erwogen hatte. Der Zeuge hatte | |
eidesstattlich versichert, dass UC Global dazu Wege erkunden sollte, wie | |
die CIA in die Botschaft eindringen könne. | |
Auch viele andere Details, die der Yahoo-Bericht nun unter Verweis auf | |
Angaben der Geheimdienstler enthüllt, decken sich mit den Aussagen der | |
Ex-Mitarbeiter von UC Global, die mittlerweile in Spanien in ein | |
Zeugenschutzprogramm aufgenommen wurden. Auch sie hatten angegeben, dass | |
heimlich Kameras und Mikrofone in der Botschaft installiert worden waren, | |
dass die Amerikaner Assange entführen wollten und dass sie erwogen, ihn zu | |
vergiften: „Die Mitarbeiter haben ausgesagt, dass das mehr als einmal von | |
den Amerikaner mit UC Global diskutiert wurde. Mit dem Yahoo-Bericht gibt | |
es dafür nun weitere Zeugen“, sagt Martinez. | |
Er will die CIAler, die mit den Yahoo-Reportern gesprochen haben, als | |
Zeugen im Verfahren gegen UC Global laden. Viel Hoffnung, dass das klappt, | |
hat er allerdings nicht: „Die US-Justiz verweigert sich jeder Kooperation“, | |
sagt er. Die spanischen Ermittler hätten im Zuge des Verfahrens | |
Amtshilfegesuche in Italien, Griechenland, Frankreich, Australien, | |
Deutschland und den USA gestellt. „Alle haben kooperiert – außer den | |
Amerikanern. Die antworten einfach nicht. Es ist klar, dass sie ihre Leute | |
schützen wollen.“ | |
Auslöser der Geheimdienstplanungen für die Aktionen gegen Assange soll eine | |
unter dem Namen [4][„Vault 7“] („Tresor 7“) bekannt gewordene | |
Veröffentlichung von Wikileaks im März 2017 gewesen sein. Dabei handelt es | |
sich um tausende Dokumente, die Einblick in das Cyber-Spionagearsenal der | |
CIA gaben. Sie offenbarten, dass der Geheimdienst über ein umfassendes | |
Instrumentarium zur Ausforschung privater Handys, Computer und selbst zur | |
Nutzung von Haushaltsgeräten wie Smart-TVs als Wanzen verfügt. Der Leak war | |
größer als jener von [5][Edward Snowden], der 2013 die „NSA-Affäre“ | |
auslöste – und für die CIA nach deren eigener Einschätzung noch | |
schädlicher. | |
## Wikileaks-Chefredakteur: Die CIA wollte Blut sehen | |
Wie sich später herausstellte, waren die „Vault 7“-Dokumente der CIA von | |
einem ihrer Beschäftigten, einem Software-Ingenieur namens Joshua Schulte | |
gestohlen und letztlich an Wikileaks weiter gegeben worden. Assange hatte | |
zu dieser Zeit in der Botschaft noch Zugang zum Internet und war so aktiv | |
an der Arbeit von Wikileaks beteiligt. Erst Ende 2018 hatte Ecuador Assange | |
von der elektronischen Kommunikation abgeschnitten, als er sich für den | |
[6][katalanischen Politiker Carles Puigdemont] eingesetzt hatte. Zum | |
Zeitpunkt von „Vault 7“ aber konnte Assange ins Netz. Deshalb machten die | |
USA ihn persönlich für „Vault 7“ verantwortlich. | |
Schulte hatte von 2011 bis 2016 für die CIA gearbeitet. Er wurde 2017 | |
verhaftet und 2020 in New York in einem ersten Prozess wegen Missachtung | |
des Gerichts und Falschaussagen verurteilt. Bei den Spionagevorwürfen | |
konnte sich die Jury nicht einigen. Die Staatsanwaltschaft legte Berufung | |
ein, das nächste Verfahren ist für die kommenden Wochen angesetzt. | |
Der Yahoo-Bericht habe ihn dahingehend überrascht, wie weit auch die Spitze | |
der USA in „ihrem Krieg gegen Wikileaks“ zu gehen bereit war, sagt | |
Wikileaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson, ein isländischer Journalist, | |
der taz. „Ich hatte nicht erwartet, dass die Pläne für die Entführung oder | |
gar Ermordung Assanges offenbar von höchsten Regierungskreisen – | |
CIA-Direktor Pompeo und gar Präsident Trump – mitgetragen wurden. Doch sie | |
wollten Blut sehen, sich rächen und dafür haben sie skrupellose Pläne | |
geschmiedet.“ Hrafnsson glaubt, dass diese Pläne wohl nur deshalb letztlich | |
nicht umgesetzt wurden, weil es Hemmungen gab, eine solche Aktion in der | |
Hauptstadt des Partners Großbritannien durchzuziehen. | |
Der Yahoo-Bericht verweist darauf, dass Pompeo nach der „Vault | |
7“-Veröffentlichung begonnen habe, Wikileaks als „nicht-staatlichen | |
feindlichen Geheimdienst“ zu bezeichnen. Dies habe ihm die Möglichkeit | |
gegeben in einer Weise gegen die Plattform vorzugehen, wie sie sich gegen | |
eine Medienorganisation verbieten würde. „Tatsächlich ging das schon früher | |
los,“ sagt Hrafnsson. Schon die Obama-Administration habe begonnen, | |
Wikileaks „Information Broker“ zu nennen. „Es ist ein Kennzeichen des | |
Kriegs gegen den Terror, solche semantische Verschiebungen zu benutzen, um | |
juristische Hindernisse zu umgehen und Folter und extralegale Tötungen zu | |
legitimieren.“ Damals hätten die Medien die neue Wortwahl in Bezug auf | |
Wikileaks nicht ernst genommen. „Für uns aber war klar, wo das letztlich | |
hinführen würde.“ | |
## Mit Codewörtern kommuniziert | |
Bei seinen Besuchen in der ecuadorianischen Botschaft habe Hrafnsson stets | |
mit Spionage gerechnet. „Wir wussten damals noch nichts von UC Global, aber | |
wir wussten, dass solche Räume nicht sicher sind“, sagt Hrafnsson. „Sobald | |
es heikel wurde, haben wir dort flüsternd oder mit Codewörtern auf | |
gefalteten Zetteln kommuniziert.“ | |
UC Global forschte auch andere Besucher von Assange aus, darunter deutsche | |
Journalisten. Einer erstattete deshalb Anzeige, die Bundesanwaltschaft | |
forderte daraufhin 2020 von der spanischen Polizei die Akten im Fall UC | |
Global an. Zum Stand möglicher Ermittlungen in dem Fall wollte die | |
Bundesanwaltschaft auf taz-Anfrage am Donnerstag keine Angaben machen. | |
Assange sitzt seit 2019 in einem Hochsicherheitsgefängnis im Süden Londons. | |
Er war im April 2019 in London verhaftet worden, nachdem er die Botschaft | |
verlassen musste. Im Januar hatte ein Gericht in London einen | |
[7][Auslieferungsantrag der USA für den 50-Jährigen abgelehnt]. Die | |
Richterin begründete ihre Entscheidung mit der psychischen Verfassung des | |
Australiers und den strikten Haftbedingungen, die ihn bei einem Prozess in | |
den USA erwarten würden. Es bestehe das „beträchtliche“ Risiko, dass | |
Assange sich in US-Haft das Leben nehmen würde, erklärte sie. Weil die | |
US-Regierung Berufung gegen das Urteil einlegte, kam Assange vorerst aber | |
nicht auf freien Fuß. | |
## „Unglaublicher Verstoß gegen die Pressefreiheit“ | |
Für den 27. und 28. Oktober ist die nächste Anhörung angesetzt. Bei ersten | |
Terminen hätten die USA behauptet, dass Assange im Fall einer Auslieferung | |
fair behandelt werde. „Tatsächlich ist es so, dass die CIA entscheiden | |
kann, welche Maßnahmen gegen ihn ergriffen werden“, sagt Hrafnsson. In | |
Frage kämen Einzelhaft und folterähnliche Haftbedingungen. „Sein Schicksal | |
wird in der Hand jener Organisation liegen, die vor kurzem noch geplant | |
hatte, ihn zu töten“, sagt Hrafnsson. „Das allein sollte die Auslieferung | |
stoppen.“ Wikileaks erwarte, dass die Yahoo-Enthüllungen bei der | |
Entscheidung berücksichtigt werde. | |
Assanges Anwalt Martinez nennt es „völlig unvorstellbar, Assange an eine | |
Jurisdiktion auszuliefern, die ihn ermorden wollte“. Die CIA sei in | |
Assanges Privatsphäre eingedrungen, habe die Souveränität der | |
diplomatischen Mission Ecuadors verletzt und „all das getan, um schließlich | |
einen Mord zu planen.“ Die Auslieferung unter diesen Umständen nicht | |
abzulehnen wäre ein „unglaublicher Verstoß gegen alle juristischen | |
Mindeststandards und natürlich gegen die Pressefreiheit“, sagt Martinez. | |
Letztlich liege der Ball aber bei der US-Regierung, findet Hrafnsson. Es | |
sei enttäuschend, dass [8][Biden] seit Monaten jede Aussage zum Thema | |
Assange vermeide, sagt Hrafnsson. „Biden muss die Anklage fallen lassen. | |
Sonst verlieren sie jede Glaubwürdigkeit, was die Werte angeht, die sie so | |
gern hoch halten.“ | |
Auch Reporter ohne Grenzen hat sich schockiert über die Yahoo-Berichte | |
gezeigt. „Wenn es wirklich so sein sollte, dass die CIA Julian Assange nach | |
dem Leben trachtete, unterstreicht das für uns noch einmal, in welch | |
konkreter Gefahr er sich befindet – und erst recht befinden würde, sollten | |
die USA mit ihrem Auslieferungsantrag erfolgreich sein“, sagte | |
RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. Sollten diese Schilderungen zutreffen, | |
würde dies die schlimmsten Befürchtungen bestätigen, die Assange und sein | |
Unterstützerkreis mit einer Auslieferung an die USA verbinden. „Zudem wäre | |
es ein Warnsignal an Medienschaffende weltweit, die über Enthüllungen zu | |
geheimen Aktivitäten der USA berichten.“ | |
1 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://news.yahoo.com/kidnapping-assassination-and-a-london-shoot-out-insi… | |
[2] /Mike-Pompeo/!t5378507 | |
[3] /Wikileaks/!t5008329 | |
[4] /Wikileaks-Papiere-ueber-Cyberangriffe/!5390553 | |
[5] /Edward-Snowden/!t5009996 | |
[6] /Nach-Festnahme-auf-Sardinien/!5803731 | |
[7] /Urteil-zu-Julian-Assange/!5742323 | |
[8] /Joe-Biden/!t5019807 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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