# taz.de -- Sollbruchstellen bei der Koalitionssuche: Hier müssen sie springen | |
> Die Sondierungsgespräche laufen. Bei allen Parteien gibt es heikle | |
> Themen, an denen eine Koalition scheitern könnte. Eine Übersicht – samt | |
> Prognose. | |
Bild: A100 in Neukölln im Mai 2021 – sie könnte ein Stolperstein auf dem We… | |
BERLIN taz | Koalitionsverträge sind verschriftliche Kompromisse, aber bis | |
dahin ist es ein weiter Weg. Denn auch wenn nicht alle so klare „rote | |
Linien“ ziehen, wie es SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey im Wahlkampf | |
mit Blick auf die Enteignung von Wohnungsunternehmen tat: Diese Hürden gibt | |
es natürlich. [1][Können sie wegverhandelt] oder zumindest unter blumigen | |
Formulierungen versteckt werden? | |
Schon im Wahlkampf war ein großer Streitpunkt das Thema Verkehr. Vor allem | |
die Grünen drängen auf eine drastische Reduzierung des motorisierten | |
Individualverkehrs: Bis 2030 sollen keine Verbrenner mehr in der Innenstadt | |
unterwegs sein, bis 2035 auch nicht mehr im Rest Berlins, steht im | |
Wahlprogramm. Doch die E-Autos sollen nicht einfach die bisherigen | |
ersetzen; es sollen deutlich weniger und der Platz für ÖPNV, Fahrräder und | |
Fußgänger*innen genutzt werden. | |
Für die SPD ist das eine Art Kulturkampf gegen das Auto. „Wir sind | |
überzeugt, dass ein Miteinander zwischen Auto und Rad […] der richtige Weg | |
für die Zukunft ist“, heißt es im Wahlprogramm. Die letzten beiden Teile | |
des Mobilitätsgesetzes, über die innerhalb von Rot-Rot-Grün bereits | |
Einigkeit bestand, wurden von der SPD auf Druck von Giffey doch noch | |
gekippt. | |
taz-Prognose: Das dürfte zu langen Staus führen. | |
Eng damit verbunden: der [2][Ausbau der Stadtautobahn A 100]. Vor zehn | |
Jahren scheiterten daran – zumindest vordergründig – die | |
Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Grünen. Inzwischen hat sich auch | |
die SPD eigentlich davon verabschiedet, den noch ausstehenden 17. | |
Bauabschnitt bis tief nach Friedrichshain umsetzen zu wollen. Die Grünen | |
möchten hingegen auch den gerade entstehenden Autobahnabschnitt wieder | |
umgestalten. Ob das durchsetzbar ist? | |
taz-Progrose: Auf Autobahnen fährt niemand mehr ab. | |
Und schließlich der Streit zwischen Grünen und SPD um die U-Bahn. Letztere | |
will sie ausbauen; Erstere sagen, das dauere zu lang, Tramausbau ginge | |
schneller. Doch die [3][grüne Verkehrssenatorin selbst hat im | |
taz-Interview] darauf hingewiesen, dass auch jede Tram ihre Zeit brauche | |
und sie hat Machbarkeitsstudien für die U-Bahn vorgelegt. | |
taz-Prognose: Da kann man zweigleisig fahren. | |
Schon unter Rot-Rot-Grün hat sich die SPD mit harter Kritik an der | |
Stadtentwicklungsverwaltung profiliert. Credo: Die Linke verweigere sich | |
dem Neubau; Lösung: „bauen, bauen, bauen“. Zudem sind die Sozialdemokraten | |
nie über den Verlust dieser Verwaltung hinweggekommen, mit der (und den | |
Baumagnaten dieser Stadt) sie eng verwoben waren. Die Forderung, dass im | |
nächsten Senat Bauen, am liebsten zusammen mit Verkehr, wieder in SPD-Hände | |
kommt, steht schon länger im Raum. Es wäre ein Affront gegenüber der Linken | |
und vor allem der Mietenbewegung. | |
taz-Prognose: Da wird wer auf Granit beißen. | |
Anschaulich wurde dieser Konflikt bei der erneuten Debatte um eine | |
teilweise Bebauung des Tempelhofer Feldes, was nach dem Volksentscheid von | |
2014 ausgeschlossen ist. Die SPD will, CDU und FDP wollen auch, Grüne und | |
Linke auf gar keinen Fall, auch aus Gründen des Klimaschutzes. | |
taz-Prognose: Hat das Potenzial zum Schlachtfeld. | |
Dann ist da natürlich noch [4][der Enteignen-Volksentscheid] selbst. Die | |
Linke hat ihn unterstützt und bereits die Umsetzung, sprich ein Gesetz, | |
gefordert; die Grünen wollen ihn als Druckmittel; die SPD ist dagegen. Von | |
einer einheitlichen Linie kann also niemand sprechen. Andererseits: Ein | |
solches Gesetz zu verfassen, dürfte locker ein bis drei Jährchen dauern und | |
dann geht es vors Verfassungsgericht. In dieser Legislatur wird es damit | |
wohl eher nichts. | |
taz-Prognose: Das wird ziemlich hart. | |
Nicht unerwähnt bleiben sollte allerdings die Frage nach den | |
Gemeinsamkeiten, die in vielen Politikbereichen zwischen SPD, Linken und | |
Grünen deutlich größer sind als zwischen SPD, CDU und FDP. Etwa bei | |
Finanzen und Investitionen, einer zentralen Frage nach der Coronakrise. | |
Auch das wird in die Berechnung einfließen, ob es zu einer Neuauflage von | |
Rot-Grün-Rot kommen kann. | |
Der Text ist Teil eines vierseitigen Schwerpunktes zur Berlin-Wahl 2021 auf | |
den taz berlin-Seiten der Print-Ausgabe der taz am wochenende vom 2./3. | |
Oktober 2021. | |
2 Oct 2021 | |
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[4] /Enteignungsvolksentscheid-in-Berlin/!5803784 | |
## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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