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# taz.de -- Abtreibungsgesetz in Texas: Ein Herz, das kein Herz ist
> Das „Heartbeat“-Bill in Texas verbietet Abtreibungen ab dem ersten
> Herzschlag. Das soll ab der sechsten Woche sein, doch Embryos haben kein
> Herz.
Bild: Zum Herz formt sich das Zellcluster erst am Ende des ersten Trimesters
Das Herz steht symbolisch für Persönlichkeit und Seele. Schnöd medizinisch
betrachtet ist das natürlich Humbug. Aber weil das Herz eben zu spüren ist,
wenn’s dramatisch wird, assoziieren wir es mit Gefühlen, Leidenschaften –
mit unserem Wesen.
Seit einiger Zeit streiten sich der [1][US-Bundesstaat Texas und die
Biden-Regierung über ein restriktives Abtreibungsgesetz]. Texas will
verbieten, Schwangerschaften abzubrechen, sobald der Herzschlag des Fötus
zu hören ist. So jedenfalls steht es im Gesetz – und wird so auch in der
Berichterstattung meist übernommen.
Gemeint ist mit dem „Herzschlag des Fötus“ ein elektrisches Signal,
welches von einem Zellcluster im Embryo etwa um die sechste
Schwangerschaftswoche herum abgegeben wird. Dieses Signal wandeln dann
Ultraschallgeräte in ein hörbares Pochen um. Heißt: 1. Es gibt noch kein
Herz; 2. Es gibt noch keinen Fötus; 3. Das Pochen ist der Soundeffekt
einer Maschine.
Wissenschaftler*innen in den USA haben wiederholt [2][auf diese
Fehldarstellung hingewiesen]. Zu einem Herz formt sich das Zellcluster erst
im Laufe des ersten Trimesters. Alles andere ist Projektion.
## Das ist Céline Dion, nicht Wissenschaft
Faktisch sind Schwangerschaftsabbrüche in Texas jetzt ab der sechsten Woche
verboten. Wenige erfahren rechtzeitig von einer Schwangerschaft, um sie bis
dahin abzubrechen. Texas scheint weit weg, aber auch hierzulande gibt es
kein Recht auf Abtreibung. Und das Reden vom „Herz“ kann auch schnell hier
drüben …, nun ja, … Herzen erweichen.
Bei Abtreibungsdebatten geht es um die Frage, wann die Leibesfrucht
aufhört, Bestandteil des Körpers der schwangeren Person zu sein und damit
deren Recht am eigenen Körper zu unterliegen. Wann also Embryo oder Fötus
eine eigenständige Einheit bildet, dass der Staat mit Gesetzen darauf
zugreifen kann, auch gegen den Willen der schwangeren Person. Ein möglicher
Ansatzpunkt ist die viability, die Lebensfähigkeit außerhalb des Uterus.
Deren Wahrscheinlichkeit steigt um die 24. Woche stark an. [3][Christliche
Fundis] dagegen werfen ihre Mythologie in die Waagschale und nehmen an,
dass ab Empfängnis gottgewolltes Leben existiert.
Und Texas kommt eben mit dem Herz um die Ecke. Welches wie gesagt kein Herz
ist. Und selbst wenn es eins wäre: Ein Herz macht keinen Menschen. Das ist
nicht Wissenschaft, das ist Céline Dion. Erstaunlich, oder? Dass wir eine
Sache technisch so präzise durchleuchten können und sie im selben Moment so
archaisch mythologisieren.
Ich weiß, dass es für Schwangere individuell wichtig sein kann, in so einem
Zellklumpen Menschliches zu sehen. Politisch aber ist entscheidender, dass
hier die Gesundheit und die Rechte von ungewollt Schwangeren auf dem Spiel
stehen. Darum ist Wortwahl keine Lappalie und sind Mythen unangebracht.
Poesie hat in der Gesundheitspolitik nichts verloren.
15 Oct 2021
## LINKS
[1] /Abtreibungsverbot-in-Texas/!5807530
[2] https://www.healthline.com/health-news/texas-abortion-law-what-is-a-fetal-h…
[3] /Online-Petitionen-gegen-Abtreibung/!5786746
## AUTOREN
Peter Weissenburger
## TAGS
Kolumne Unisex
Schwerpunkt Abtreibung
Texas
Christliche Fundamentalisten
Schwerpunkt Abtreibung
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Paragraf 218
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