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# taz.de -- Abtreibungsgesetz in Texas: Das Herz schlägt schon
> Texas hat mit seinem „Herzschlag-Gesetz“ eine neue Waffe gegen das Recht
> auf Abtreibung geschaffen. Aktivist*innen mobilisieren zu Protesten.
Bild: „Abbott abtreiben“ fordert diese Demonstrantin in Austin. Gemeint ist…
Austin taz | „Ich habe anderen Frauen zu Abtreibungen verholfen und sie
unterstützt. Und ich werde es wieder tun“, sagt Anwältin Elizabeth Myers.
„Als ich jung war, hatte ich selbst eine Abtreibung“, bekennt Pastorin
Deneen Robertson. „Im Herbst 2022 werden wir wählen“, sagt sie mit Hinweis
auf die dann anstehenden US-Kongresswahlen. „Und wir werden unsere Stimmen
nicht Männern geben, die über unseren Uterus bestimmen wollen“, droht
Demokratin Wendy Davis.
Die Rednerinnen sprechen von einem Podium auf der Südseite des Kapitols in
der texanischen Hauptstadt Austin. Auf der Wiese und auf den Parkwegen zu
ihren Füßen stehen und sitzen Tausende von Frauen und ein paar Hundert
Männer und Kinder. Ihre Stimmung ist kämpferisch. Frauen skandieren:
„Unsere Körper, unsere Entscheidung“. Und sie schwören, dass sie nicht
bereit sind, ihre Rechte wieder aufzugeben.
Viele Demonstrant*innen haben handgemalte Schilder mitgebracht. Auf
manchen sind Eierstöcke zu sehen, von denen einer wie eine Faust aussieht.
Auf andere sind Kleiderbügel gemalt, die an lebensgefährliche Abtreibungen
unter den Bedingungen von Illegalität erinnern.
Mehr als 660 Demonstrationen finden an diesem Samstagvormittag quer durch
die USA statt. Aufgerufen haben Dutzende von Frauengruppen, große
Beratungszentren wie das nationale Netzwerk „Planned Parenthood“, das in
über 600 eigenen Kliniken landesweit medizinische Versorgung für Frauen
anbietet, sowie Menschenrechtsorganisationen. Sie verteidigen in
Großstädten und kleinen Orten in allen 50 Bundesstaaten das Recht auf
Schwangerschaftsabbruch.
## Ein Gesetz voller Tricks
Aber das Zentrum des Geschehens ist Texas. Dort finden an diesem Tag 35
Demonstrationen statt – davon die größte in der Hauptstadt Austin, mit über
tausend Protestierenden vor dem Kapitol, in dem die Mehrheit aus
republikanischen Abgeordneten das rigideste Abtreibungsgesetz der letzten
Jahrzehnte in den USA angenommen hat.
Seit es am 1. September in Kraft getreten ist, sind mehr als 85 Prozent
aller Abtreibungen, die zuvor legal waren, in Texas verboten. Um
Anfechtungen abzuschmettern, haben sich die Autoren des Gesetzes mehrere
Tricks ausgedacht: Nicht staatliche Behörden, sondern Privatleute
übernehmen es, die „Straftat“ aufzudecken. Und im Visier sind nicht die
Frauen selbst, die abtreiben, sondern all jene, die ihnen dabei helfen –
von Nahestehenden, die ihnen Geld geben, über Taxifahrer, die sie
transportieren, bis hin zu Krankenpflegern und Ärzten, die den Eingriff
durchführen.
Wenn „illegale Abtreibungen“ nachgewiesen werden können, winken den
Denunzianten Belohnungen, die bei 10.000 Dollar anfangen und nach oben
offen sind und die von „Helfern und Unterstützern“ gezahlt werden müssen.
„Derselbe Mist – aber in einem neuen Jahrhundert“, ist in Austin auf einem
Transparent zu lesen. Manche Frauen sind an diesem Tag mit ihren
erwachsenen Enkelinnen gekommen. Die meisten Demonstrant*innen sind
erst nach der Grundsatzentscheidung „Roe v. Wade“ des Obersten Gerichtes
von 1973 zur Welt gekommen. Damals entschied das Gericht, dass eine
Schwangerschaft bis zu dem Zeitpunkt beendet werden darf, in dem ein Fötus
außerhalb des Uterus lebensfähig ist. Das ist erst frühestens nach 22
Wochen der Fall.
Die Konservativen versuchen seit Jahrzehnten jene historische Entscheidung
umzustürzen. Das Gesetz aus dem Kapitol in Austin ist dabei ihr bislang
größter Erfolg. Von den wenigen Abtreibungszentren in Texas, die trotz
immer neuer Auflagen und Gesetze noch bis Ende August in Texas operierten,
bietet seit Anfang September keines mehr Schwangerschaftsabbrüche jenseits
der sechsten Woche an.
Für ungewollt schwangere Texanerinnen haben sich damit neue Hürden
aufgetürmt. Jene, die es sich leisten können, fahren in Nachbarstaaten.
Andere leiten den Abbruch mit Pillen ein. Aber viele sind zum Kinderkriegen
gezwungen.
Unterdessen schicken sich US-Republikaner in anderen Bundesländern an, das
texanische Modell zu kopieren. „Es kann jede von uns direkt vor unserer
Haustüre treffen“, sagt Alexis McGill Johnson, die Chefin von Planned
Parenthood am Samstag bei der Demonstration in der 2.500 Kilometer von
Austin entfernten US-Hauptstadt. In Washington sind die
Demonstrant*innen vor das Oberste Gericht gezogen, wo seit den drei
Neubesetzungen aus der Amtszeit von Präsident Donald Trump eine
konservative Mehrheit das Sagen hat.
Die Frauenrechtlerinnen stehen mit dem Rücken zur Wand. McGill hat in den
zurückliegenden Jahren fast 600 Einschränkungen des Rechts auf Abtreibung
quer durch die USA gezählt. „Abtreibung gehört zu der grundlegenden
Gesundheitsversorgung für Frauen“, sagt sie zu der Menschenmenge in
Washington.
In Austin beschreiben Gynäkologinnen am Samstag erste Dramen, die das
neue Gesetz in ihren Praxen ausgelöst hat. „SB8“, wie das Gesetz abgekürzt
heißt, verbietet Abtreibungen nach der sechsten Woche auch in Fällen von
Inzest und Vergewaltigung und wenn der Fötus nicht lebensfähig ist. Der
Fötus einer Patientin von Vanessa Yium hatte eine schwere genetische
Störung. Aber die Patientin war bereits länger als sechs Wochen schwanger.
Eine Patientin von Renu Chalasani, die ebenfalls bereits jenseits der
texanischen Deadline war, kam mit einer Eileiterschwangerschaft in ihre
Praxis.
## Anzeigen riskieren
„Wir sind keine Anwältinnen“, sagt Chalasasani auf der Südseite des
Kapitols in Austin, „Politik hat in den Wänden eines Krankenhauses nichts
zu suchen“. Sie und ihre Kollegin überwiesen ihre Patientinnen zu Abbrüchen
– wohl wissend, dass sie dabei Anzeigen riskieren.
Die Anwältin Myers hat von Austin aus bereits 13 Verfahren gegen das neue
Gesetz angestrengt. Sie sind nur ein kleiner Teil des umfassenden
Rechtsstreits, der jetzt über das texanische Gesetz tobt. Auch die
Bundesregierung in Washington hat sich eingeschaltet. In einem
ungewöhnlichen Schritt hat das Bundesjustizministerium gegen Texas geklagt,
weil es in dem Gesetz SB8 die Absicht erkennt, das Grundsatzurteil von 1973
zu untergraben.
Gegenüber dem, was als Nächstes droht, könnte der Streit über Texas’ Gese…
schon bald in den Hintergrund treten. Der Bundesstaat Mississippi hat
[1][einen noch grundsätzlicheren Angriff gegen das Recht auf
Schwangerschaftsabbruch] in Form eines Gesetzes vorgelegt. Mehrere Gerichte
haben es für verfassungswidrig erklärt. Aber nun liegt es auf dem Tisch des
Obersten Gerichtes. Sollten die Richter Mississippi zustimmen, könnte
anschließend jeder Bundesstaat nach politischem Gutdünken
Schwangerschaftsabbrüche für illegal erklären.
3 Oct 2021
## LINKS
[1] /Abtreibungsdebatte-in-den-USA/!5802562
## AUTOREN
Dorothea Hahn
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