# taz.de -- Abtreibungsdebatte in den USA: Texas war erst der Anfang | |
> Der Oberste Gerichtshof prüft ein Antiabtreibungsgesetz in Mississippi. | |
> Geht das durch, ist die Abtreibungsfreiheit in den USA Geschichte. | |
Bild: Vor Mississippis einziger Abtreibungsklinik in Jackson stehen regelmäßi… | |
NEW YORK taz | Texas war erst der Anfang. Dort trat Anfang des Monats ein | |
[1][Abtreibungsverbot nach der sechsten Schwangerschaftswoche] in Kraft. | |
Jetzt folgt Mississippi. Am Montag entschied der Oberste Gerichtshof, am 1. | |
Dezember ein Gesetz aus dem Bundesstaat zu prüfen, das Abtreibungen nach | |
der 15. Schwangerschaftswoche verbietet. Das Verbot würde auch im Fall von | |
Inzest und Vergewaltigung gelten. Ausnahmen wären nur in dringenden | |
medizinischen Notfällen möglich. | |
Sollte die Mehrheit der RichterInnen das Gesetz durchgehen lassen, wäre das | |
seit 1973 existierende Grundrecht von Frauen in den USA, selbst zu | |
entscheiden, ob sie eine Schwangerschaft wollen, zerstört. Nach jahrelangen | |
Auseinandersetzungen gab jene als [2][Roe v. Wade] bekannte | |
Grundsatzentscheidung Frauen das Recht, eine Schwangerschaft bis zu dem | |
Zeitpunkt zu beenden, zu dem der Fötus allein lebensfähig ist. In der Regel | |
ist das die 22. bis 24. Woche. Entscheidet der Oberste Gerichtshof jetzt | |
für Mississippi, könnte jeder Bundesstaat eigene Regeln schaffen. | |
„Ich halte die Grundsatzentscheidung des Obersten Gerichtes von 1973 für | |
einen Fehler“, sagt der Gouverneur von Mississippi, Tate Reeves. Reeves hat | |
das Gesetz bereits 2018 unterschrieben. Doch zwei Gerichte haben sein | |
Inkrafttreten bislang unter Berufung auf Roe v. Wade verhindert. | |
Reeves, der weiße Gouverneur von Mississippi, gehört zu den | |
republikanischen PolitikerInnen, die das Recht auf Schwangerschaftsabbruch | |
in das Zentrum ihres politischen Programms gerückt haben. Dieselben | |
PolitikerInnen, die das Recht auf Abtreibung abschaffen wollen, bestreiten, | |
dass die Regierung in der Pandemie Impfpflichten in bestimmten Bereichen | |
einführen darf. Manche von ihnen benutzen bei dem Kreuzzug gegen | |
Covid-Impfungen einen Slogan, mit dem einst die Frauenbewegung das Recht | |
auf Abtreibung erkämpft hat: „Mein Körper gehört mir“. | |
## Trumps RichterInnen machen die Rückschritte möglich | |
Quer durch die USA haben die republikanischen AbtreibungsgegnerInnen in den | |
zurückliegenden Jahren Hunderte von Gesetzen und Regeln geschaffen, die das | |
Grundrecht von 1973 aushöhlen. Aber erst mit der Wahl von Donald Trump | |
bekamen sie Rückendeckung von höchster Stelle. | |
Trump kam 2016 dank der Unterstützung der konservativen weißen, | |
evangelikalen ChristInnen an die Macht. Sie stellten seinen größten | |
zusammenhängenden WählerInnenblock. Und ihnen war das Verbot von | |
Abtreibungen wichtig. Trump versprach, dass er sich dafür starkmachen | |
werde. Und kam damit weiter, als sie es sich hätten erträumen können. | |
Dank der vorausgegangenen republikanischen Blockaden gegen Barack Obamas | |
Obersten Richter und wegen zwei weiteren Todesfällen am Obersten Gericht | |
konnte Trump drei neue RichterInnen auf Lebenszeit nominieren. Alle drei | |
sind TraumkandidatInnen der konservativen weißen Evangelikalen: Neil | |
Gorsuch, Brett Kavanaugh und zuletzt Amy Coney Barrett. Mit ihnen | |
verschoben sich die [3][Mehrheitsverhältnisse am Obersten Gericht] zu sechs | |
Konservativen gegen drei Liberale. | |
Die andere Seite in Washington hingegen hat es seit 1973 nicht geschafft, | |
die Grundsatzentscheidung des Obersten Gerichtes in ein nationales Gesetz | |
zu fassen. Unter dem Druck aus Texas und Mississippi machen Abgeordnete der | |
Demokratischen Partei – mit Unterstützung aus dem Weißen Haus – im | |
Augenblick einen neuen Anlauf. Aber ihre nur knappen Kongressmehrheiten | |
geben ihnen wenig Hoffnung auf Erfolg. | |
## Weitere republikanische Bundesstaaten könnten folgen | |
In Mississippi sind Abtreibungen schon seit Langem Hindernisläufe. Die | |
Klinik in Jackson, die einzige im Bundesstaat, die noch | |
Schwangerschaftsabbrüche durchführt, ist regelmäßig an den Tagen, an denen | |
die ÄrztInnen für die Prozedur aus sicheren anderen Bundesstaaten | |
einfliegen, von AbtreibungsgegnerInnen umlagert. MitarbeiterInnen werden | |
bedroht. Frauen, die eine Abtreibung machen wollen, müssen durch ein | |
Spalier von feindseligen Personen gehen. Sie singen religiöse Lieder ab, | |
halten Bilder von Babys hoch und bedrängen die Frauen mit Worten und | |
Pamphleten. | |
Sollte das Oberste Gericht das Gesetz aus Mississippi billigen, könnten | |
andere republikanisch regierte Bundesstaaten folgen. Sie wissen spätestens | |
seit dem 1. September, als in Texas das [4][Gesetz Nummer 8 in Kraft trat], | |
dass die Mehrheit der Obersten RichterInnen auf ihrer Seite steht. Die | |
RichterInnen lehnten es ab, das von verschiedenen Familienplanungszentren | |
vor Gericht angefochtene Gesetz vorübergehend auszusetzen. | |
Gesetz Nummer 8 verbietet in Texas Abtreibungen ab der sechsten Woche – ab | |
dem Moment, in dem ein Herzschlag des Fötus zu hören ist. Und der | |
Bundesstaat fordert in seinem Gesetz BürgerInnen auf, HelferInnen bei | |
Abtreibungen nach der sechsten Woche – ÄrztInnen, Taxifahrer, Angehörige – | |
anzuzeigen. Den DenunziantInnen winken Belohnungen ab 10.000 Dollar | |
aufwärts. | |
Da viele Frauen in der sechsten Woche noch gar nicht wissen, dass sie | |
schwanger sind und mehr als 85 Prozent aller Abtreibungen erst später | |
stattfinden, kommt das Gesetz einem vollständigen Abtreibungsverbot | |
ziemlich nahe. | |
## Texas beschließt noch weitere Verschärfungen | |
Am Montag dieser Woche sind erstmals zwei Klagen gegen einen Arzt in Texas | |
eingegangen. Der Gynäkologe Alan Braid aus San Antonio hatte zuvor in einem | |
Text in der [5][Washington Post] erklärt, dass er am 6. September eine | |
Abtreibung durchgeführt hat: „Ich bin meiner medizinischen Sorgfaltspflicht | |
und meiner Lebenserfahrung gefolgt“. | |
1972, am Anfang seiner Karriere, hat Alan Braid drei Teenager gesehen, die | |
an den Folgen illegaler Abtreibung gestorben sind. Die Rückkehr solcher | |
Verhältnisse will er jungen Frauen ersparen: „Ich habe Töchter, Enkelinnen | |
und Nichten“. Zwei ehemalige Anwälte haben gegen ihn geklagt. Der eine will | |
mit seiner Klage das texanische Gesetz zu Fall bringen. Der andere gibt zu, | |
dass er an der Belohnung interessiert ist. | |
Texasʼ Gouverneur Greg Abbott hat am Freitag ein weiteres Gesetz | |
unterzeichnet, das zusätzlich auch medikamentös eingeführte Abtreibungen ab | |
der siebten Woche verbietet. Fast 39 Prozent aller Abtreibungen in den USA | |
werden mit zwei Medikamenten durchgeführt: Mifepristone und Misoprostol | |
verhindern das Einnisten des Eis und lösen Wehen aus. Die | |
Medikamentenbehörde FDA hat sie im Jahr 2000 zugelassen, 2016 erklärte die | |
FDA die beiden Medikamente für einen Abbruch in den ersten zehn | |
Schwangerschaftswochen als sicher. | |
Um die Ansteckungsgefahren zu verringern, können die beiden Medikamente | |
seit dem Beginn der Pandemie per Post verschickt werden. Die nationale | |
Gesundheitsbehörde CDC prüft gegenwärtig, ob dieses Vorgehen landesweit | |
auch nach der Pandemie fortgesetzt werden kann. In Texas ist der Einsatz | |
dieser Medikamente jetzt ein krimineller Akt, der mit Gefängnis- und | |
Geldstrafen geahndet werden kann. | |
„Politiker, die sich gegen die Wahlfreiheit von Frauen richten, greifen das | |
Recht auf Abtreibung von allen denkbaren Seiten an“, sagt Adrienne Kimmell. | |
Die amtierende Präsidentin der 2,5-Millionen-Mitglieder-Organisation „NARAL | |
Pro-Choice“, die für das Selbstentscheidungsrecht von Frauen eintritt, fügt | |
hinzu: „Sie schrecken vor nichts zurück, um die reproduktive Freiheit | |
abzuschaffen.“ | |
21 Sep 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Abtreibungsrecht-in-den-USA/!5773731 | |
[2] /Recht-auf-Abtreibung-in-den-USA/!5720971 | |
[3] /US-Senat-bestaetigt-Richterin-Barrett/!5724310 | |
[4] /Striktes-Antiabtreibungsgesetz-in-Texas/!5798556 | |
[5] https://www.washingtonpost.com/opinions/2021/09/18/texas-abortion-provider-… | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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