Introduction
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# taz.de -- Soziologin zu Polizei-Rassismus-Studie: „Dann konfrontieren wir d…
> Die Wissenschaftlerin Christiane Howe forschte zu Migration und
> Sexarbeit. Jetzt verantwortet sie eine Rassismus-Studie über die Berliner
> Polizei.
Bild: Hat zu Deutschland ein teilnehmendes, aber eher äußerliches Verhältnis…
taz: Frau Howe, was für ein Werdegang! Früher haben Sie sich mit Sexarbeit
und Prostitution beschäftigt, heute forschen Sie zur Polizei. Hätten Sie
sich das träumen lassen?
Christiane Howe: Früher hätte ich das vermutlich auch abwegig gefunden,
aber aus heutiger Sicht erscheint mir das folgerichtig. Ich beschäftige
mich schon länger mit Migration und Sicherheit und habe da auch schon mit
der Polizei gearbeitet. Mein Fokus liegt auf diesen Kämpfen um den
öffentlichen Raum und damit meine ich nicht nur Gentrifizierung.
Um was geht es Ihnen?
Ich bin leidenschaftliche Forscherin. Ich will verstehen, was genau wie vor
sich geht. Auch, um einen Beitrag zu leisten, dass sich Dinge verbessern,
für die Betroffenen und die, die an den Zuständen beteiligt sind.
Haben Sie ein Beispiel?
Ich habe früher zum Beispiel Bordellrazzien beobachtet. Da habe ich mich
schon gefragt: Muss das so sein? Die Beamten sind ziemlich hart in die
Bordelle reingegangen. Wenn sie an die Türen gewummert haben, sind manche
Frauen voller Angst auf die Fensterbänke geklettert. Viele kommen ja aus
Ländern, wo man mit der Polizei ganz schlimme Erfahrungen machen kann.
Im Frühjahr erreichte Sie die Anfrage des Berliner Innensenators, ob Sie
eine unabhängige Studie zu Rassismus und Diskriminierung bei der Polizei
Berlin machen wollen. Was war Ihr erster Gedanke?
Extrem ambivalent. Auf der einen Seite fand ich das total spannend. Auf der
anderen Seite war die Befürchtung mit Blick auf die im Herbst anstehenden
Berliner Landtagswahlen: Ist das jetzt ein Feigenblatt? Man will sich ja
nicht instrumentalisieren lassen.
Sie sind eigentlich eher in der linken Szene zu Hause.
Nicht in der autonomen Szene, aber in der Bürgerrechtsbewegung schon. Ich
habe in Frankfurt am Main Soziologie studiert und da die ganzen
Abrüstungsdemos miterlebt: die Wasserwerfer, über Gartenzäune abhauen und
auch, dass Steine geworfen wurden. Heute erlebe ich die Polizei vielleicht
noch im Verkehr. Wenn sie einen drangsalieren, wenn man mit dem Fahrrad
nicht so fährt, wie man sollte (lacht), also rausgefischt wird.
Sie haben auch eine Migrationsgeschichte, nur anders herum. Wie sind Sie
aufgewachsen?
Geboren bin ich im Ruhrgebiet. Meine Mutter war Lehrerin, mein Vater
Elektrotechniker. Mitte der Sechziger, ich war vier und meine Schwester
zwei, haben unsere Eltern uns unter den Arm geklemmt und sind ausgewandert.
Einfach so?
Das Nachkriegsdeutschland war für sie zu dem Zeitpunkt, glaube ich, einfach
zu eng. Über verschiedene Kontakte hatte es sich ergeben, dass mein Vater
in Eritrea als Elektrotechniker in einer Zementfabrik arbeiten konnte. Ich
habe auch Tigrinya gesprochen, die dortige Landessprache. Danach sind meine
Eltern mit uns in den Iran, das war noch unter dem Schah. Dort bin ich dann
auch zur Grundschule gegangen, habe fließend Persisch gesprochen. Bis
1974/75 waren wir dort. Dann waren wir knapp vier Jahre in Deutschland an
vier verschiedenen Orten in Hessen, im Rheinland, in Westfalen. Als ich 14
war, sind wir nach Kairo. Ich habe in Grundzügen Arabisch gesprochen, bei
Jugendlichen geht das ja schneller. Auf einer zweisprachigen Schule in
Kairo habe ich mein Abitur gemacht, mein Vater ist dort auch beerdigt.
Wie sehr hat Sie das geprägt?
Ich sag mal, ich habe zu Deutschland ein eher äußerliches Verhältnis. Zwar
durchaus teilnehmend, aber so, dass ich mich immer wieder hinsetze, etwas
beobachte und mich frage: Wieso passiert das hier jetzt eigentlich? Ich
muss dazu sagen, es gab ja diese knapp vier Jahre, die wir in Deutschland
waren. Mit 11 bin ich das erste Mal bewusst in mein Ursprungsland gekommen,
das war Mitte der 1970er Jahre. Das Erleben war ganz schön krass. Man kann
mir eine Migrationserfahrung ja nicht sichtbar zuschreiben.
Sie sind weiß, Deutsch ist Ihre Muttersprache und auch Ihr Name ist nicht
ungewöhnlich.
Und dennoch haben meine Schwester und ich uns offenbar anders verhalten. Es
gibt diese Erfahrungen, auf dem Schulhof zu stehen und angespuckt zu
werden, permanent nach vorne zitiert zu werden an die Tafel, weil der
Lehrer den Nachweis erbringen wollte, dass man des Deutschen nicht mächtig
ist; Schüler, die einen geärgert haben; Lehrkräfte, die einen nicht
geschützt haben. Mir wurde aufgelauert, ich habe mich heftig wehren und
prügeln müssen. Ich hatte Atemprobleme, dann hieß es, ich hätte einen
Herzfehler, dabei waren es Rippenquetschungen von Schlägen. Meine Eltern
waren damit schwer beschäftigt, wir alle unterschiedlich in tiefster
Trauer, auch meine Schwester musste gucken, wie sie klarkommt. Das war
richtig schwierig, ist aber auch typisch für Migrationen. Wir sind dann
wieder umgezogen innerhalb von Deutschland und dann konnte ich sagen, ich
komme aus der und der deutschen Stadt.
Das hat Sie dann geschützt?
Die Begrifflichkeit für das, was meine Schwester und ich sind, ist Third
Culture Kids, weil wir in mehreren sogenannten Kulturen aufgewachsen und
nicht wirklich zuordenbar sind. Wir haben in gewisser Weise eine dritte
Kultur dazwischen entwickelt. Ich konnte dann auf Hidden Migration machen.
Wie meinen Sie das?
Ich konnte mit dem ersten Umzug innerhalb Deutschlands mein ganzes Werden
bis dahin verstecken. Das können sicht- und hörbar Zugewanderte oder
Menschen, denen dies zugeschrieben wird, hier nicht. Mir war und ist
bewusst, dass es ein enormes Privileg ist, weiß zu sein, so konnte ich
darunter durchsegeln. Aber es war auch eine immense Kraftanstrengung, diese
Anpassung zu leisten. Ich habe dann lange überlegt, ob ich wirklich in
Deutschland studieren soll. Irgendwann habe ich dann gesagt, ich gebe dem
Land noch eine Chance. Inzwischen denke ich, diese Erfahrungen haben mich
vielleicht auch für meine Forschungen prädestiniert.
Inwiefern?
Ich bin mit dieser Mehrperspektivität groß geworden. Dass Eritrea ganz
anders ist als Iran, Ägypten oder Deutschland. Dass Menschen ganz viele
Möglichkeiten haben, ihr Zusammenleben zu gestalten. Bei der Forschung, die
ich mache, geht es immer wieder um dieses Gefühl: Ein bisschen so
dazwischenzustehen und auch einen Blick von außen darauf legen zu können.
Auch das ist eine gute Voraussetzung für die Studie über die Berliner
Polizei.
Sie arbeiten im Zentrum für Technik und Gesellschaft der Technischen
Universität Berlin. Der Auftrag kam nicht von ungefähr und Berlin ist auch
nicht das einzige Bundesland, das eine Polizei-Rassismus-Studie durchführt.
Hintergrund ist, dass bundesweit zunehmend rechte Netzwerke bei der Polizei
aufgedeckt werden.
Meines Wissens machen auch Niedersachsen und Rheinland-Pfalz eine solche
Studie. Hamburg und andere Bundesländer überlegen das ebenfalls, weil sie
mit dem Seehofer-Diskurs nicht wirklich zufrieden sind.
Sie meinen die Bundesstudie, mit der Bundesinnenminister Horst Seehofer
(CSU) die Deutsche Hochschule der Polizei in Münster Ende 2020 beauftragt
hat – polemisch auch Feelgood-Studie genannt. Was ist der Unterschied zu
Ihrer Untersuchung?
Die Bundesstudie ist eine auf drei Jahre angelegte, vorrangig quantitative
Studie. Im Groben ist das vor allem eine statistische Vollerhebung. Alle
300.000 Polizist*innen in der Bundesrepublik bekommen einen Fragebogen,
der online mittels Ankreuzen ausgefüllt wird. Abgefragt werden Motivation,
Einstellung und Gewalterfahrungen im Polizeialltag. Wir hier in Berlin
machen eine ethnografische Studie, eine komplett qualitative Studie. Es war
die einzige Bedingung der Berliner Innenverwaltung, das in Form von
Interviews mit den Beteiligten und sogenannter teilnehmender Beobachtung
vor Ort zu machen. Aber das ist ohnehin mein Spezialgebiet. Abgesehen davon
haben wir vollkommen freie Hand.
Was genau ist der Plan?
Unser Fokus ist Rassismus und Diskriminierung. Diskriminierung ist noch mal
weiter gefasst als Rassismus. Auf jeden Fall geht es um Rassismus gegen
schwarze Menschen, um antimuslimischen Rassismus und um Antiziganismus, der
insbesondere auch im öffentlichen Raum stattfindet. Wir sondieren noch, wie
weit wir die Schwerpunkte ausdehnen können. Das Projekt ist ja auf ein Jahr
befristet.
Was ist der erste Schritt?
Wir treffen uns mit den Betroffenenverbänden und sprechen mit ihnen über
ihre Erfahrungen mit der Polizei. Wir lassen uns auch Orte nennen, an denen
sie mit der Polizei negative Erfahrungen machen.
Wo Racial Profiling stattfindet, man also allein wegen seines Aussehens
verdächtigt und kontrolliert wird?
Genau. Oder Orte, wo sich immer wieder eine Eskalationsdynamik zeigt,
beispielsweise aufgrund von Nutzungskonflikten. Die Verbände haben großes
Interesse signalisiert. Wir fragen auch ab, was sie sich an Verbesserung
wünschen. Das mit aufzunehmen ist uns sehr wichtig. Dann verdichten wir die
Interviews und bringen die Problematiken auf den Punkt. Damit konfrontieren
wir dann die Polizei.
Und dann gehen Sie ins Feld?
Wir werden bis zu fünf Monate in verschiedenen Polizeiabschnitten und
-einheiten mitlaufen, sie in ihrem Arbeitsalltag begleiten.
Embedded, wie man so schön sagt?
Genau, ethnografisch.
Einen authentischen Eindruck werden Sie so wohl kaum bekommen.
Ich bin früher schon mal ein knappes dreiviertel Jahr lang beim Berliner
LKA mitgelaufen – zum Thema bürgerfreundliches Agieren. Am Anfang war es
etwas merkwürdig, aber wenn das über Wochen oder Monate geht, wird es
relativ schnell normal. Man sitzt mit dabei oder hinten im Funkwagen drin
und vorne wird normal geredet.
Sitzen Sie stumm da, in der Hoffnung, dass man Sie vergisst?
Das muss nicht so sein. Ich kann mich auch in die Gespräche einschalten.
Ich bin damals auch viel von den Beamt*innen gefragt worden. Es gibt
Überraschungen in beide Richtungen. Als ich das erste Mal bei der Polizei
war, war ich extrem erstaunt, was für ein kommunikativer Haufen das ist,
wie ein Bienenschwarm. Ich hatte mir das alles viel bürokratischer und
hierarchischer vorgestellt.
Sie mussten mit Ihrem eigenen Polizeibild kämpfen?
Ja, sehr. Das tut man automatisch, wenn man diese Behörde betritt. Darüber
haben wir jetzt auch in unserem Team gesprochen. Wie sind eigentlich unsere
eigenen Erfahrungen mit der Polizei? Wir machen die Studie zu fünft und
sind ein sehr gemischt positioniertes Team mit unterschiedlichen
Erfahrungen und Hintergründen.
Hat sich Ihr Bild von der Polizei durch die Forschung verändert?
Ich habe festgestellt, dass das ein wirklich krass herausfordernder Beruf
ist. Ich rede jetzt nicht von Demos. Ich habe mitbekommen, dass Stress den
Blick verengt. Die Polizei wird ja immer gerufen, wenn wirklich was los
ist. Du bekommst einen Anruf von der Zentrale, es gibt einen Konflikt auf
der Straße, du musst sofort reagieren. Du kannst dir nicht lange einen
Überblick verschaffen.
Gehen Sie auch in die Polizeiakademie?
Wir haben einen Schwerpunkt Ausbildung in unserem Konzept, wir werden uns
auch in bestimmte Module setzen. In der Polizei Berlin gibt es einen
relativ hohen Prozentsatz Männer und Frauen mit Migrationsgeschichten, es
gibt eine Beschwerde- und Konfliktkommission. Auch da wollen wir andocken.
Wir gucken, wie die Struktur und der Arbeitsalltag beschaffen sind, um dann
zu schauen, wodurch Rassismus befördert und wodurch er minimiert wird. Kann
man es auch anders machen? Vielleicht geht es auch gar nicht anders? Alles
ist offen. Ich bin sehr neugierig darauf.
Das klingt so harmlos. Aber nirgends ist Rassismus so problematisch wie bei
der Polizei.
Hierarchisierung, Ausgrenzung, Rassismus und Diskriminierung sind
Bestandteil unserer Gesellschaft. Das gilt für alle Bereiche, also auch für
die Polizei. Wir alle müssen das immer wieder reflektieren, auch wenn es
schwer ist, weil wir alle Rassismen in uns tragen. Aber die Polizei hat
eine besonders hohe Anforderung, das kritisch zu reflektieren, weil sie die
Behörde mit dem Gewaltmonopol ist. Sie hat den Auftrag, das Grundgesetz zu
schützen, in dem das Gleichheitspostulat festgeschrieben ist.
Werden Sie auch politische Einstellungen der Polizistinnen und Polizisten
abfragen?
Nein, das wäre wohl auch eher Gesinnungsschnüffelei. Man merkt aber unter
Stress und im Alltag, wie Leute ticken. Wie Verdacht generiert wird, wie es
an diesem oder jenem Ort zu dieser oder jener Reaktionsweise kommt. Wir
werden uns da einiges angucken.
Rechnen Sie mit großen Überraschungen?
Meine Erfahrung ist: Die Sachen sind meist viel komplizierter, als man
gedacht hat. Ich glaube nicht, dass es einfach wird.
Um den Bogen noch mal zur Sexarbeit zu schlagen. Sie haben auch eine Studie
über Freier gemacht. Nicht überall sind Sie damit auf Zustimmung gestoßen.
Oh ja, es gab heftige Diskussionen, als ich das Ergebnis vorgestellt habe.
Ihr Fazit, kurz zusammengefasst?
Zugespitzt gesagt, hat sich im Geschlechterverhältnis in Bezug auf
Sexualität viel weniger getan, als wir das vielleicht gerne hätten. Nach
wie vor ist Sexualität mit einer sehr starken Aufspaltung in
Aktiv-Passiv-Rollen verknüpft, die zugeordnet werden und damit immer wieder
ihre Bestätigung erfahren.
Erklären Sie das bitte noch einmal genauer.
Um in den Bildern Männlichkeit und Weiblichkeit zu bleiben: Er begehrt. Sie
wird begehrt. Als guter Liebhaber gilt, wer weiß, wie Frauenkörper
funktionieren, wie ihre Lust gestaltet ist. Dass das mehr ist, als nur
08/15 und der Koitus. Dabei liegt die Betonung beim Mann ganz stark auf
aktiv, er trägt letztlich die Verantwortung.
Was heißt das nun in Bezug auf die Freier?
Das Fazit meiner Befragung ist letztendlich banal und zugleich erhellend.
Natürlich gibt es unter den Freiern auch gewaltbereite und gewalttätige,
ähnlich wie bei Ehemännern, aber über die rede ich hier nicht. Im Ergebnis
haben die Freier gesagt: Wenn ich zur Prostituierten gehe, kann ich mich
zurücklehnen und entspannen, muss nicht aktiv sein. Sie ist die Chefin im
Ring, sie hat das Heft in der Hand, sie ist die Expertin. Einmal der Pascha
sein, hat es einer auf den Punkt gebracht.
Und was sagt die Forscherin? Wie kommen Frauen und Männer da raus?
Ich überspitze mal (lacht): Der Typ kommt müde von der Arbeit nach Hause,
die Frau hat Lust, sie schmeißt ihn aufs Bett und sagt: Ich mach es dir und
uns jetzt mal schön. Paare, die das hinbekommen und die eng gesteckte
Geschlechterstruktur verlassen können, haben bestimmt noch lange Spaß.
Sie beobachten das alles nüchtern von außen. Versteckt man sich nicht auch
ein bisschen hinter dem ethnografischen Blick?
Er ist mir wohl eigen und ich finde ihn hilfreich. Wenn ich einen Schritt
zurückgehen kann, bin ich nicht mehr so involviert. Es ist eine
Distanzierung, die hilft, die Dinge klarer zu erkennen.
Gibt es in Ihnen trotzdem eine Parteilichkeit?
Ja sicher, aber die ist nicht gruppierungsspezifisch. Vielleicht ist es
eher eine Vision. Dass ich die Bereiche von Gesellschaft und diejenigen
Menschen unterstütze, die sich für ein wertschätzendes, akzeptierendes,
gleichwertiges Miteinander einsetzen. Egal, ob es in den Verbänden, der
Polizei oder bei der Sexarbeit ist.
10 Oct 2021
## AUTOREN
Plutonia Plarre
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