# taz.de -- Künstlerin Sandra Mujinga geehrt: Geister der Vergangenheit | |
> Der Preis der Nationalgalerie geht an die norwegisch-kongolesische | |
> Künstlerin Sandra Mujinga. Sie beschäftigt sich mit kolonialer | |
> Vergangenheit. | |
Bild: Die Künstlerin Sandra Mujinga lebt in Oslo und Berlin | |
Freundlich wirken sie nicht, die Gestalten, die Sandra Mujinga aus Stahl | |
und Stoffen zusammenbaut. An Schaufensterpuppen erinnern sie bisweilen, | |
mehr noch an deren gruselige Verwandtschaft, düstere Wesen ohne Gesichter | |
in ebenso düsteren Kutten, aber sie haben der Künstlerin Glück gebracht. | |
Mujinga wird in Berlin mit dem Preis der Nationalgalerie 2021 | |
ausgezeichnet. | |
Geister stünden für sie für die Idee, dass nichts wirklich verschwinde. Sie | |
verkörperten jene Dinge, die wir glaubten, hinter uns gelassen zu haben, | |
die aber doch wieder auftauchten. [1][Die koloniale Vergangenheit und deren | |
Systeme der Gewalt etwa], oder das, was Menschen nichtmenschlichen Wesen | |
auf diesem Planeten angetan hätten. So erklärt Mujinga es selbst in einem | |
Video, das während der Preisverleihung am Donnerstagabend abgespielt wurde. | |
Vergessen, sagt sie darin noch, sei ein Überlebensmechanismus, aber ein | |
Privileg, das rassifizierten Personen nicht zur Verfügung stünde. | |
Spannend ist es, beim Betrachten ihrer Skulpturen diese Ideen mitzudenken, | |
nötig ist das aber gar nicht mal unbedingt. Ihre beklemmende Wirkung | |
entfalten diese so oder so. Überlebensgroß sind die Bestien, die sie für | |
die Shortlist-Ausstellung im Berliner Museum Hamburger Bahnhof anfertigte. | |
## Schatten der Geschichte | |
Eine Skulptur hat etwas von einem dystopischen Tyrannosaurus Rex, andere | |
ähneln breitschultrigen Sensenmännern oder unsympathischen Figuren aus der | |
Fantasyliteratur, Dämonen, in denen man auch die eigenen verkörpert sehen | |
kann. So riesenhaft sind sie jedoch, dass sie in den Räumen im Obergeschoss | |
etwas hineingestopft wirken. Für ihre Einzelausstellung im Hamburger | |
Bahnhof, die auf die Auszeichnung im kommenden Herbst folgen wird, wird sie | |
mehr Platz haben. | |
Mujinga, 1989 im Kongo geboren und in Norwegen aufgewachsen, lebt heute in | |
Oslo und Berlin. In diesem Jahr hatte sie Einzelausstellungen unter anderem | |
im Swiss Institute in New York und im Kunstmuseum Göteborg. Die Zeit | |
scheint reif für ihre Geister der Vergangenheit. [2][Sandra Mujinga gehört | |
zu einer jungen Generation von Künstler*innen der afrikanischen | |
Diaspora], die derzeit die Kunst bereichern mit ihren Perspektiven auf das | |
Hier und Jetzt und die Schatten der Geschichte, aber auch auf das Leben | |
zwischen den Kontinenten – und mit zeitgemäßen Zugängen zu traditionellen | |
Genres. | |
Einstimmig hat sich die Jury, bestehend aus Emre Baykal vom Istanbuler | |
Kunstmuseum Arter, Emma Lavigne vom Pariser Palais de Tokyo, Yesomi Umolu | |
von der Londoner Serpentine sowie Sven Beckstette und Gabriele Knapstein | |
vom Hamburger Bahnhof, für Mujinga entschieden und damit zum fünften Mal in | |
Folge, nach Marina Castillo Deball, Anne Imhof, Agnieszka Polska und | |
Pauline Curnier Jardin, für eine Künstlerin. | |
## Eine vergangene Zukunft | |
Mujingas Skulpturen erweckten den Eindruck, als kämen sie aus einer | |
vergangenen Zukunft, so hieß es in der Begründung unter anderem. Sie | |
erinnerten daran, dass wir für unser Überleben auf andere Lebewesen | |
Rücksicht nehmen müssten und von ihnen Strategien lernen könnten, sich an | |
eine sich stets verändernde Umwelt anzupassen. | |
Sandra Mujingas Konkurrenz war in diesem Jahr dabei sehr stark. | |
Entsprechend sehenswert ist die Ausstellung der Shortlist, die noch bis zum | |
27. Februar läuft. Nominiert waren neben ihr Calla Henkel & Max Pitegoff, | |
Sung Tieu und Lamin Fofana. | |
Was alle Finalist*innen verbindet, ist, dass sie auf die eine oder | |
andere Weise von Räumen erzählen und sich auseinandersetzen mit dem Gefühl, | |
irgendwo dazuzugehören oder eben nicht. Hören wird man sehr wahrscheinlich | |
von ihnen allen weiterhin. Ebenso illuster wie die Liste der | |
Ausgezeichneten sind beim Preis der Nationalgalerie schließlich ebenso die | |
der Nominierten, die leer ausgingen. | |
8 Oct 2021 | |
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## AUTOREN | |
Beate Scheder | |
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