# taz.de -- Kunstszene in Norwegen: Trophäe, Trolle und Brühe | |
> In Norwegen wird man zwar bereits am Flughafen in Oslo von einem Edvard | |
> Munch begrüßt. Aber es ist nicht alles Munch in Norwegen. | |
Bild: Henrik Håkansson, „100 pieces of a tree – Norwegian Wood“, im KODE… | |
[1][Die Buchmesse wird daran wenig geändert haben:] das Erste, was einem | |
einfällt, wenn man an Norwegen denkt, sind wohl Fjorde, Berge, Gletscher – | |
die beeindruckende Schönheit einer unberührt wirkenden Natur. Öl! Geld! | |
Teuer! Zur Sicherung des Wohlstands zukünftiger Generationen hat der | |
staatliche Pensionsfonds die Gewinne aus den staatlichen Ölgeschäften so | |
erfolgreich angelegt, dass Anleger auf der ganzen Welt diese Strategien | |
kopieren. | |
Ein Teil der Gelder kommt auch der Kultur zugute. Denn in der jungen | |
Nation, erst 1905 nach einer Volksabstimmung von Schweden in die | |
Unabhängigkeit entlassen, ist man sich ihrer identitätsstiftenden Bedeutung | |
bewusst. | |
Bereits bei der Ankunft auf dem Flughafen Gardermoen in Oslo wird man von | |
einem Gemälde des [2][nationalen Malerhelden Edvard Munch] begrüßt. Im | |
kommenden Jahr soll das neue Munch-Museum mit Blick über den Oslofjord | |
eröffnet werden, ein vom spanischen Architekturbüro Estudio Herreros | |
entworfener, sich ab der Hälfte der 13 Stockwerke leicht zur Seite | |
neigender Kasten aus Glas und Aluminium. | |
In insgesamt elf Hallen wird nicht nur die weltgrößte Munch-Sammlung Platz | |
finden, sondern auch Wechselausstellungen mit zeitgenössischer Kunst im | |
Dialog mit der Sammlung. | |
## Nicht alles ist Munch in Oslo | |
Aber es ist nicht alles Munch in Oslo. Im „Kunstnernes Hus“, dem | |
Künstlerhaus, läuft die Zeichentriennale, das Aushängeschild des | |
norwegischen Verbands der Zeichner. „Human Touch“ hat die norwegische | |
Kuratorin Helga-Marie Nordby ihre Ausstellung genannt, als Verweis auf die | |
Spur des menschlichen Körpers, die Ausdrucksform. | |
Das programmatische Bekenntnis zum Erfassen der Welt, für das manuelle | |
Fähigkeiten die Voraussetzung darstellen, wird perfekt illustriert durch | |
die Kartografien, die Pierre Lionel Matte von seinen eigenen Händen | |
angefertigt hat und die den assoziativen Blick auf seine Welt wiedergeben, | |
oder in Randi Nygårds kleinen Frottagen der eigenen Stirn. | |
Am anderen Ende des Stadtzentrums befindet sich das neue Nationalmuseum, | |
entworfen vom Berliner Büro Kleihues + Schuwerk, noch im Bau, ab | |
übernächstem Jahr werden hier die Museen für Architektur, Design und | |
zeitgenössische Kunst einziehen. Im Sommer hatte die Ankündigung der | |
Direktorin, Karin Hindsbo, eine langfristige Kooperation mit den | |
Kunstsammlerinnen Kathrine und Cecilie Fredriksen einzugehen, Kontroversen | |
ausgelöst. | |
Denn die Töchter des Milliardärs John Fredriksen, Besitzer der größten | |
Tankerflotte der Erde, könnten das Museum zu ihrem Spielball machen. | |
Hindsbo hielt dagegen, dass dadurch Werke von Weltrang, von Künstlern wie | |
Marlene Dumas, Philip Guston oder Agnes Martin, in Oslo ausgestellt würden, | |
die Finanzierung zusätzlicher Forschungsprojekte und einer | |
Ausstellungsreihe wäre abgesichert. | |
## Drohende Entdemokratisierung öffentlicher Institutionen | |
Aber die Vizedirektorin des Vereins junger Künstler (UKS), Ida Madsen | |
Følling, ist nicht überzeugt: „Vom UKS beobachten wir mit großer Sorge | |
diese Art der Entdemokratisierung öffentlicher Institutionen.“ Sie fordert | |
Transparenz in der Politik des öffentlichen Hauses. „Sie sollten sich für | |
konstruktive Kritik öffnen und die öffentliche Debatte über die Prioritäten | |
des Museums nicht scheuen und sich darauf konzentrieren, ihre Sammlung und | |
damit den zukünftigen Kanon aufzubauen!“ | |
Das Astrup-Fearnley-Museum, das der Reeder Hans Rasmus Astrup 1993 gründete | |
und das Ausstellungen amerikanischer und internationaler Kunststars nach | |
Norwegen brachte, kann man sicher als Gegenmodell zum öffentlichen Museum | |
betrachten. 2002 wurde Jeff Koons’ Porzellanplastik „Michael Jackson und | |
Bubbles „für 5,1 Millionen Dollar erworben, zehn Jahre darauf zog das | |
Museum in den flachen, eleganten Neubau von Renzo Piano. | |
Dort sind Arbeiten von Koons neben Damien Hirsts mittig geteilte Kühen in | |
Formaldehyd, „Mother and Child (Divided)“, und Gemälden von Francis Bacon | |
und David Hockney zu sehen. So großartig einzelne Werke auch sein mögen, | |
die Präsentation wirkte seit Langem muffig, weniger Kunstsammlung als | |
Trophäenschau. | |
Aber seit bekannt ist, dass die Direktorin der Renaissance Society in | |
Chicago, Solveig Øvstebø, im neuen Jahr die Leitung des Hauses übernimmt, | |
wird es wieder spannend. Vorher war sie zehn Jahre lang Direktorin der | |
„Kunsthall Bergen“, und baute die kleine Institution zu einer bedeutenden | |
Anlaufstelle für junge internationale Kunst auf. | |
## Transparenz von Machtstrukturen | |
Aktuell unter der Leitung von Axel Wieder belegt dies die Ausstellung „SONW | |
– Shadow of New Worlds“ von Sandra Mujinga mit ihren Installationen, Videos | |
und Musikperformances. Bildschirme, Kleidung und menschliche Haut bilden in | |
den Narrativen der im kongolesischen Goma geborenen Norwegerin die | |
Schnittstellen zur Welt und werden somit Gegenstand dynamischer | |
Verhandlungen zur Sichtbarkeit von Körpern, der Transparenz von | |
Machtstrukturen. | |
Parallel dazu wurde nebenan eine Installation des schwedischen Künstlers | |
Henrik Håkansson eröffnet, „100 pieces of a tree – Norwegian Wood“, im | |
wichtigsten Museum in Bergen, dem zweitgrößten des Landes, KODE. Es umfasst | |
neben drei historischen Komponistenhäusern von Edvard Grieg, Ole Bull und | |
Harald Saeverud und einem Konzerthaus eigene Abteilungen für Design und | |
Handwerk sowie eine Kunstsammlung, die vom 14. Jahrhundert bis in die | |
Gegenwart reicht. | |
Bis vor wenigen Wochen war KODE auch einer der Ausstellungsorte für die | |
unter Leitung des Direktorenpaars des Württembergischen Kunstvereins, Hans | |
D. Christ und Iris Dressler kuratierten Bergen Assembly. | |
Unter dem Titel „Actually, the dead are not dead“ setzte die alle drei | |
Jahre stattfindende Ausstellung auf Werke, die soziales Leben als Gegenidee | |
zur Nekropolitik eines grassierenden Kapitalismus vorstellbar machen, und | |
konnte sich damit auf erfrischende Weise sowohl vom dauererhitzten | |
internationalen Kunstbetrieb abheben als auch in Norwegen hoffentlich | |
nachhaltige Akzente setzen. | |
## Der Wettbewerb zwischen Bergen und Oslo | |
„Die Energie liegt im Wettbewerb zwischen Bergen und Oslo“, stellt | |
KODE-Direktor Petter Snare fest, aber „zweifellos saugen die Oslo-Projekte | |
dem Rest des Landes die Luft aus. Ich freue mich über die Bauten und deren | |
Finanzierung in Oslo, aber es gibt absolut keine Balance. Der Rest von | |
Norwegen bekommt nur Krümel. KODE erhält nur rund 4 Prozent der Mittel der | |
Nationalmuseen, unseren 30 Millionen stehen deren 780 Millionen gegenüber. | |
Es gibt eine große Energie in der norwegischen Kunstszene. Aber die lebt | |
hauptsächlich von Selbstorganisation und Eigeninitiative von | |
Kunstorganisationen.“ | |
Wie etwa der von wenigen Enthusiasten getragene Kunstverein der Kleinstadt | |
Bryne. Hier zeigt Ottar Karlsen großformatige Bleistiftzeichnungen | |
akribisch genau gesehener Pflanzenmotive, denen er kryptische Texte | |
hinzufügt. So entstehen Bilder mit ambivalenten, unterschwellig | |
bedrohlichen Botschaften, von Pilzen vor dunklem Hintergrund, die mit | |
„einem helleren Morgengrauen“ in Verbindung gebracht werden. | |
Die Kunsthalle Elefant im Skiort Lillehammer betreibt der Maler Mads | |
Andreas Andreassen seit 2014 gar ganz alleine. Mit nur geringer | |
finanzieller Unterstützung der Region organisiert er Ausstellungen junger, | |
aber auch etablierter Kollegen. | |
Auch in Oslo gibt es derartige Initiativen, wie 222T, wo Anders Smebye in | |
seiner Ausstellung „Kraft“ auf einem Holzklotz eine zum Zylinder geformte | |
tiefbraune, karamellartige Masse zeigt – eine über ein halbes Jahr | |
eingekochte, hochkonzentrierte Brühe als fragile Plastik, die auf | |
Veränderungen der Luftfeuchtigkeit durch Betrachter reagiert. | |
## Picasso als Postkartenmotiv der Oslo Biennale | |
Oder das von vier Künstlern betriebene Noplace, wo Sverre Gullesen ein | |
Betonrelief zeigt, als Hommage an den Architekten Erling Viksjø und den | |
„Naturbetong“, der die darin verarbeiteten Kieselsteine sichtbar lässt. Das | |
Verfahren kam auch im Regierungsgebäude Y-Blokka zum Einsatz, das seit dem | |
terroristischen Bombenanschlag 2011 vor dem Abriss steht, trotz Protesten | |
in der Bevölkerung und einem Bild Picassos auf der Fassade. | |
Dieses Motiv ziert eine der Postkarten der Künstlerin Katja Høs, die im | |
Rahmen der Oslo Biennale auf Ständern an verschieden Orten der Stadt | |
ausgelegt wurden. Sie dürfen mitgenommen werden, als Souvenirs, nicht nur | |
des Gebäudes, sondern für das sozialdemokratische Gemeinwesen, das sie | |
zunehmend unter neoliberale Räder kommen sieht. | |
Doch nicht alles so toll im Norden? Marianne Hultmann vom Osloer | |
Kunstverein lobt die Arbeit der Künstlervereinigungen und | |
Kunstorganisationen, die sich gegenseitig unterstützen: „Wenn etwas in der | |
Politik passiert, das uns nicht gefällt, können wir ganz schnell und | |
geschlossen Stellung beziehen. Das findet Gehör.“ Es wird sich zeigen. | |
14 Dec 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Norwegische-Ministerin-ueber-Buchmesse/!5634711 | |
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Edvard_Munch | |
## AUTOREN | |
Andreas Schlaegel | |
## TAGS | |
Norwegen | |
zeitgenössische Kunst | |
Kulturpolitik | |
GNS | |
Oslo | |
Ausstellung | |
zeitgenössische Kunst | |
Kunst | |
Norwegen | |
zeitgenössische Kunst | |
Kupfermine | |
Norwegen | |
Wale | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Literaturnobelpreis für Jon Fosse: Nordischer Favorit seit 22 Jahren | |
Der Norweger Jon Fosse wird seit Jahrzehnten als Kandidat für den | |
Literaturnobelpreis gehandelt. Nun wird er für seine Dramen und Romane | |
ausgezeichnet. | |
Edvard Munch in Oslo: Das Erbe des Überkünstlers | |
Das Edvard-Munch-Museum in Oslo macht vieles richtig. Ohnehin kann man den | |
Spuren des Malers in der Hauptstadt Norwegens kaum entgehen. | |
Preis der Nationalgalerie Sandra Mujinga: Invasion der Architektur | |
Sandra Mujinga, Trägerin des Preises der Nationalgalerie, eröffnete ihre | |
Installation „IBMSWR“ in Berlin. Ihre Kunst befragt die Architektur der | |
Gesellschaft. | |
Kunstriennale in Norwegen: Eindringlinge in der Hafenstadt | |
Sie stiftet Verwirrung und macht Spaß: die Kunsttriennale Bergen Assembly | |
in Norwegen. Sie ist versponnen und spricht urbane Probleme an. | |
Künstlerin Sandra Mujinga geehrt: Geister der Vergangenheit | |
Der Preis der Nationalgalerie geht an die norwegisch-kongolesische | |
Künstlerin Sandra Mujinga. Sie beschäftigt sich mit kolonialer | |
Vergangenheit. | |
Sehenswerte Ausstellungen in Norwegen: Häuser an der Nordsee | |
Zwei norwegische Ausstellungen verbinden Wasser, Natur und menschengemachte | |
Eingriffe in diese. „House of Commons“ in Moss und „The Ocean“ in Berge… | |
Zu Besuch auf der Plattform apex.art: Zum Dahinschmelzen | |
Die Ausstellung „Goodbye, World“ von Andreas Templin und Raimar Stange | |
bringt die Kunst ins ewige Eis. Dort geht sie dann zugrunde. | |
Oslo genehmigt umstrittene Kupfermine: Der Fjord als Müllkippe | |
Norwegens Regierung gibt grünes Licht für den Betrieb einer Kupfermine. | |
Deren Giftschlamm soll in einen Meeresarm eingeleitet werden. | |
A-ha auf Tour in Deutschland: Mein Coming-out als Fan | |
Schwärmereien für Stars sind peinlich, fand unsere Autorin mit zwölf. | |
Jetzt, Mitte 40, hat sie sich ihre Leidenschaft für A-ha eingestanden. | |
Tracking von Buckelwalen: Theresia kommt wieder angebuckelt | |
Norwegische ForscherInnen haben einer Wal-Dame im Januar einen | |
Satellitensender verpasst. Nach 299 Tagen wurde sie an der gleichen Stelle | |
gesichtet. |