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# taz.de -- Edvard Munch in Oslo: Das Erbe des Überkünstlers
> Das Edvard-Munch-Museum in Oslo macht vieles richtig. Ohnehin kann man
> den Spuren des Malers in der Hauptstadt Norwegens kaum entgehen.
Bild: Munch-Museum in Oslo mit der Bronzeskulptur von Tracey Emin
Ein kleiner Fußmarsch ist nötig, um an den Ort zu kommen, ohne den es
[1][das berühmteste Werk der norwegischen Kunstgeschichte] nicht gegeben
hätte. Edvard Munch stand auf dem Hügel von Ekeberg im Süden Oslos, als ihm
das widerfuhr, was ihn zu seinem „Schrei“ inspirierte: eine Panikattacke.
Sie ergriff ihn, während die Sonne blutrot über dem Kristianiafjord
unterging. Zitternd vor Angst stand er da und „fühlte etwas wie einen
großen, unendlichen Schrei durch die Natur“. In Munchs Tagebuch kann man
das nachlesen, aufgeschrieben einige Zeit später, im Januar 1892 in Nizza.
Heute ist an der Stelle ein Stahlrahmen angebracht. [2][Marina Abramović]
will damit alle, die vorbeikommen, auffordern, die Pose der Figur auf dem
Bild nachzuahmen. Munch selbst würde sicher auch ohne Zutun Abramovićs Mund
und Augen aufreißen, würde er heute dort herabschauen, so sehr hat sich der
Teil Oslos verändert, auf den man da blickt.
Bjørvika, Oslos Hafenviertel, war vor wenigen Jahren noch ein schäbiges
Industriequartier. Jetzt stehen dort, rund um die schon 2008 eröffnete
Oper, elegante Apartmenthäuser für die Gutbetuchten, Designshops, Galerien,
Cafés. Im Hintergrund reckt sich ein Ensemble schmaler Hochhäuser nach
oben, in dem neben Wohnungen Versicherungen und Unternehmensberatungen
untergebracht sind und das passenderweise den Namen „Barcode“ trägt. Das
Oslo, das sich hier zeigt, ist eines, in dem Geld keine Rolle zu spielen
scheint.
Mittendrin in diesem neoliberalen Idyll steht das neue Munch-Museum. 13
Stockwerke, 26.000 Quadratmeter Fläche, 58 Meter Höhe. 2,8 Milliarden
Kronen (240 Millionen Euro) kostete das Gebäude, das im Oktober 2021
eröffnete und einfach Munch heißt. So steht es draußen an der Fassade, als
handle es sich nicht um den Namen eines Künstlers, sondern um eine Marke.
## Munch-Emoji, Munch-Babystrampler
Gewissermaßen ist Munch das tatsächlich: Aushängeschild der norwegischen
Kunst, ein Massenmagnet, von dessen dramatisch-emotionalen Sujets eines
sogar als Emoji verewigt wurde. Im Museumsshop kann man entsprechend alle
möglichen Munch-Devotionalien kaufen: Strampler und Brillenetuis,
Kühlschrankmagneten, Fingerringe, Servietten.
Das Munch ist ein Prestigeprojekt des neuen Oslos. Als Museum macht es
tatsächlich vieles sehr richtig. Schon beim Bau wurde auf Nachhaltigkeit
geachtet, beim Konzept darauf, möglichst viele Bevölkerungsgruppen
anzusprechen, es gibt verschiedene frei zugängliche Bereiche. Langweilig
wird es nirgends. Wer alles an einem Tag sehen möchte, stößt allerdings an
die Grenzen des Machbaren.
Kein Wunder: Allein die Sammlung, die der Künstler der Stadt vermachte,
Basis des Museums, umfasst mehr als 28.000 Werke, dazu kommen Texte,
Fotografien und persönliche Gegenstände. Und nur dabei belässt es das
Museum nicht. Das Munch will einen Bogen zur zeitgenössischen Kunst ziehen.
Programmatisch wirkt schon die riesige Bronze direkt vor dem Bau, eine
Ersatzmutter für Munch, der seine früh verlor, geschaffen von Tracey Emin,
in Auftrag gegeben vom norwegischen Kulturministerium. Auch im Audioguide
zur Sammlung ist Emin, bekennende Munch-Bewunderin, zu hören.
## Plattform für junge Künstler*innen
Aber nicht nur für etablierte Positionen ist Platz. Tominga O’Donnell,
Senior-Kuratorin für zeitgenössische Kunst, ist unter anderem für eine
Reihe von Einzelausstellungen junger in Oslo lebender Künstler*innen
namens Solo Oslo zuständig. Sandra Mujinga war die erste, die in diesem
Rahmen ausgestellt wurde, es folgte Apichaya Wanthiang.
Die nächste Ausstellung eröffnet im September: „Es ist unser Weg, jungen
Künstler*innen eine Plattform zu bereiten, wenn man es etwas kitschig
ausdrücken möchte, ihnen zu ermöglichen, ein neuer Munch zu werden“, sagt
O’Donnell. Dennoch wäre es O’Donnell eigentlich lieber, die jungen
Künstler*innen würden Munch einfach vergessen und sich auf sich selbst
konzentrieren. Leichter gesagt als getan ist das vermutlich, wenn man in
Norwegen mit dem Überkünstler aufwächst.
Ist Munchs Vermächtnis eine Bürde? Für Admir Batlak, den Nächsten für Solo
Oslo, ist es eher eine Chance. Batlak, 1982 im bosnischen Mostar geboren,
hat sich in einem offenen Bewerbungsverfahren durchgesetzt. Studiert hat er
in Mailand Mode, nicht Kunst. Nach seiner Rückkehr verschob sich nach und
nach sein Fokus. Seine letzte Kollektion brachte er 2018 heraus, seitdem
konzentriert er sich auf textile Skulpturen und Objekte.
Anfang Juni zog Batlak in Vorbereitung von Solo Oslo in das ehemalige
Winteratelier Munchs in Ekely mit Kisten voll Pailletten. Diese wird er
bedrucken und zusammenschweißen, um sie wie Baumaterial benutzen zu können.
„Ich versuche Monumentalität mit etwas vorzutäuschen, das fragil ist“,
erklärt er. Ob es eine direkte Beziehung seiner Kunst zu Munch gibt, wisse
er nicht, aber auf jeden Fall zu dem Ort. Vielleicht entsteht erstere in
den drei Monaten noch, die er in Munchs Studio arbeitet.
## Munch kommt nach Deutschland
Batlak wird von der Osloer Galleri Riis vertreten. Abhängig ist er vom
Kunstmarkt derzeit kaum. Wie viele seiner Kolleg*innen profitiert er von
der norwegischen Kulturförderung. Momentan bezieht er ein fünfjähriges
Arbeitsstipendium, erhält pro Jahr 299.289 Kronen (25.600 Euro).
Munch hätte das nicht gebraucht, er ist durch die Kunst reich geworden und
konnte sich so 1916 Ekely ohne Weiteres leisten, ein 40.000 Quadratmeter
großes Grundstück, wo er bis zu seinem Tod 1944 lebte und arbeitete. Heute
gibt es dort neben dem Winteratelier, dem einzigen aus Munchs Zeiten
erhaltenen Gebäude, 44 weitere Studios, erbaut in den 1950ern. Vieles hat
sich verändert, aber gewissermaßen um Munch und seinen Geist herum;
entgehen kann man dem in Oslo sowieso nicht.
Wer das ohnehin nicht will, muss die Reise gen Norden in diesem Jahr noch
nicht einmal machen. Im Herbst starten zwei große Munch-Ausstellungen in
Deutschland: Am 15. September eröffnet in der Berlinischen Galerie „Edvard
Munch. Zauber des Nordens“, am 18. November „Munch. Lebenslandschaft“ im
Barberini in Potsdam, entstanden in Zusammenarbeit mit dem Munch.
Die Reise wurde von der norwegischen Botschaft unterstützt.
10 Jun 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Beate Scheder
## TAGS
Oslo
Norwegen
Moderne Kunst
Museum
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