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# taz.de -- Kunst über das Leben im Plattenbau: Variationen über ein herunter…
> Die Schau „Wohnkomplex“ im Potsdamer Minsk zeigt Kunst über das Leben im
> Plattenbau. Mit geisterhaften Betonlandschaften, Mief und
> Rechtsterrorismus.
Bild: Scharfe Linien und grafische Raster: Uwe Pfeifer, „Häuser am Abend“,…
Die „Platte“, dieses schon immer ambivalente Stück
DDR-Architekturgeschichte, ist jetzt im Museum. Also jene Wohngebäude nach
Einheitsbausystem, die von den 1960ern bis zu den 1980ern massenhaft vor
ostdeutschen Städten emporwuchsen. Sie galt zu DDR-Zeiten als Ausweis der
sozialistischen Leistungskraft, als „Arbeiterschließfach“ im Volksmund, und
– wie in [1][Brigitte Reimans Kultbuch „Franziska Linkerhand“] – als Sy…
für die ideologische Verkrustung der Gesellschaft.
Fast ein Viertel aller DDR-Bewohner lebte in einer Platte. Besonders häufig
verbaute man die Wohnbauserie WBS 70 vom Architekten Wilfried Stallknecht.
Ihr Prototyp in Neubrandenburg steht mittlerweile unter Denkmalschutz.
Ohnehin schaut man auf die nach der Wende zum traurigen Spielort der
Baseballschlägerjahre gewordene, vielfach abgerissene oder farblich
aufgepeppte Platte heute anders. Sie stellte eben für sehr viele Menschen
in Deutschland eine „Sozialisationsumgebung“ dar. So bezeichnet es der
Kurator Kito Nedo, selbst in Leipzig aufgewachsen.
In Nedos Ausstellung „Wohnkomplex“ im Potsdamer Kunsthaus Das Minsk scheint
der Plattenbau nun zu einem musealen Objekt erklärt, zum
erinnerungswürdigen Kulturgut.
So wirkt es, wenn die Schau mit Markus Drapers Architekturmodellen im
klischeehaften Betongrau beginnt (es sind die Rekonstruktionen der
tatsächlichen Wohnbauten, in denen die Stasi flüchtige RAF-Mitglieder
unterbrachte), wenn der Architekturforscher Philip Meuser eine Chronologie
der Platte vom ersten Versuchsbau 1953 bis zum nie realisierten Typ WBS 90
von 1989 aufführt und der Katalog ein Glossar bietet, das so abhanden
gekommene Begriffe klärt wie das „IWC“, die begehrte Toilette in der
Wohnung.
Doch wie das so ist mit den Dingen, die als erinnernswert gelten, sie sind
nicht immer einfach. Das bringt schon der Ausstellungstitel „Wohnkomplex“
zum Ausdruck. Der Begriff, aus der UdSSR in die DDR übergeschwappt,
beschreibt eigentlich ein Ensemble aus Wohnbauten für rund 5.000 Personen
mit Nahversorgungszentrum. Es geht aber nun um das komplexe, das
gesellschaftlich schwierige Kulturgut Plattenbau, dem sich die Potsdamer
Schau mit 60 teils zu Ostzeiten, teils nach 1990 entstandenen Kunstwerken
von an sich schon sehenswerten Künstlern wie [2][Ruth Wolf-Rehfeldt],
Manfred Pernice oder [3][Wenke Seemann] annähert.
## Verträumte Momente zwischen der Sachlichkeit
Scharfe Linien und grafische Raster bildet die bis an den Horizont
reichende geisterhaft unbewohnte Architektur von Halle-Neustadt auf den
Malereien von Uwe Pfeifer aus den 1970er Jahren. Manchmal schiebt Pfeifer
verträumte Momente in seine durchkomponierte Sachlichkeit: eine rote
Wäscheleine im Morgennebel, eine Steinkette im Wind.
Auf [4][Sybille Bergemanns Fotoserie] aus dem Berlin-Lichtenberg der späten
1970er hat der monotone Wohngrundriss der Platte jeglichen Individualismus
verschlungen. Jede der menschenleeren Innenaufnahmen zeigt den gleichen
Wohnzimmermief. Von der resignierten Eingerichtetheit der Bewohner eine
Epoche und den Mauerfall später werden zwei Raver aus Berlin-Mitte im Film
von Nina Fischer und Maroan el Sani ernüchtert, die in Marzahn erfolglos
eine coole Clublocation suchen.
Von Enge, Mief und Ausbruchsfantasien künden auch die expressiven
Gouache-Malereien auf Raufasertapete von Sebastian Jung. Wie die
Fassadenkacheln manch ostmodernen Baus hängen 26 knallbunte abstrakte
Gesichter nebeneinander mit vor Schreck geöffneten Mündern – [5][Munchs
„Schrei“] denkt man, „Ost-Schrei“ betitelt Jung sie 2025.
Jung stellte kürzlich noch in heruntergekommenen Plattenbauten in Leipzig
aus. Und auch erst vor Kurzem eröffnete in Chemnitz ein
Dokumentationszentrum zur Neonazi-Terrorgruppe NSU. Deren politischen
Anfängen in einer Siedlung von Jena-Winzerla spürt Henrike Naumann in der
Potsdamer Ausstellung mit der beklemmenden Rekonstruktion zweier
Plattenbau-Jugendzimmer nach. Wir sind also noch mittendrin in der
Aufarbeitung der Platte. Und hinterrücks wird klar, dass man eine museale
Distanz zu diesem betonschweren Kulturgut jetzt nicht haben kann, das will
die Schau auch gar nicht. Die Platte ist ja Gegenwart.
14 Sep 2025
## LINKS
[1] /Franziska-Linkerhand-auf-der-Buehne/!5635661
[2] /Nachruf-auf-Ruth-Wolf-Rehfeldt/!5995442
[3] /Buch-ueber-Kindheit-in-der-DDR/!6079705
[4] /Fotografie-in-Ostdeutschland/!5860892
[5] /Edvard-Munch-in-Oslo/!5937246
## AUTOREN
Sophie Jung
## TAGS
Plattenbau
DDR
Beton
zeitgenössische Kunst
Kunst
Rechtsterrorismus
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
Schwerpunkt Utopie nach Corona
Oslo
Fotografie
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