| # taz.de -- Wie der Kommerzfußball erfunden wurde: Speckflagge und harte Drinks | |
| > Vor 50 Jahren begannen Werder, der HSV und Braunschweig, den Fußball zu | |
| > kommerzialisieren. Heute ist keiner der Kommerz-Pioniere noch in der 1. | |
| > Liga. | |
| Bild: Die Anfänge der Trikotwerbung: Eintracht Braunschweigs Kicker im Juli 19… | |
| Es gibt Bilder, die möchte ein Werder-Bremen-Fan nicht sehen, schon gar | |
| nicht kurz nach einer Niederlage im Nordderby gegen den HSV. Und doch muss | |
| an dieser Stelle an einen einmaligen Vorgang erinnert werden, der südlich | |
| der Wümme seit fünfzig Jahren kollektiv verdrängt wird. Also stark sein, | |
| Werder-Fans! | |
| Ein kleiner Trost vorweg: In dieser Kolumne gibt es kein Foto dieses | |
| Vorgangs. Das Schwarz-Weiß-Bild würde zeigen, wie die Werder-Profis Herbert | |
| Laumen und Werner Görts finsteren Blickes nach der 1:2-Niederlage im | |
| Hinrunden-Derby der Saison 1971/1972 den Platz im Volksparkstadion | |
| verlassen. Doch das Unfassbare ist unter ihren Gesichtern zu sehen: Auf | |
| ihren dunklen Shirts prangt die gleiche Raute wie auf den weißen Trikots | |
| der neben ihnen gehenden HSV-Spieler Uwe Seeler und Georg Volkert: die | |
| HSV-Raute. | |
| Vor der Saison hatte Werder sieben neue Spieler an die Weser gelockt, | |
| darunter Stammkräfte aus Mönchengladbach und Dortmund, hinter denen die | |
| halbe Liga her war. Leisten konnte sich der notorisch klamme Club die | |
| „Millionenelf“, wie sie bald genannt wurde, nur durch die großzügige | |
| finanzielle Unterstützung von Stadt und Wirtschaft. | |
| Als Gegenleistung für die Staatskohle tauschten die Werderaner ihr | |
| traditionelles Grün-Weiß gegen das Rot-Weiß der Bremer Speckflagge. Ist | |
| allein das heute aus Marketing- und Fansicht ein Grund zum Fremdschämen, | |
| kam es im erwähnten Derby zur Vollkatastrophe: Schiedsrichter Walter | |
| Eschweiler konnte die Bremer nicht von den ebenfalls in rot-weißer Kluft | |
| auflaufenden Hamburgern unterscheiden und ordnete zur Halbzeit einen | |
| Trikotwechsel an. Werder hatte aber nur einen Trikotsatz dabei und musste | |
| sich beim Gastgeber blaue Hemden mit der HSV-Raute leihen. | |
| ## Werders „Millionenelf“ verschliss sechs Trainer | |
| Wirtschaftlich war der Zeitpunkt der Bremer Transferoffensive dennoch klug | |
| berechnet: Im Jahr darauf fiel die Transferhöchstgrenze von 100.000 Euro | |
| und die Preise stiegen sprunghaft an. Sportlich schlug sie allerdings fehl, | |
| die von Neid zerfressene Mannschaft verschliss sechs Trainer und landete | |
| auf Platz 11. | |
| Das Wettrüsten auf den Trikots war eröffnet und zwei Jahre später setzte | |
| Eintracht Braunschweig die nächste Wegmarke. Für 100.000 Mark druckte der | |
| Verein das Hirschlogo eines bekannten Kräuterschnapses auf die Trikots. Da | |
| Trikotwerbung noch verboten war, erklärten die einfallsreichen | |
| Niedersachsen den Hirsch kurzerhand zu ihrem neuen Vereinsemblem. Das | |
| durfte man anbringen, wo man wollte. | |
| Kurz darauf fiel das Trikot-Werbeverbot. Als erster griff HSV-Präsident | |
| Peter Krohn den Ball auf und ließ die Spieler in rosafarbenen Trikots mit | |
| Campari-Werbung auflaufen, holte Elefanten und Blödelbarden ins Stadion. So | |
| konnte sich der HSV mit Kevin Keegan den ersten ausländischen Weltstar in | |
| der Bundesliga leisten. | |
| Heute ist keiner dieser drei Kommerz-Pioniere mehr in der 1. Bundesliga. | |
| Dort steht stattdessen der VfL Wolfsburg ganz oben, der erst 25 Jahre nach | |
| Erfindung der Trikotwerbung in die Bundesliga aufstieg. Dafür sind die | |
| beiden Großbuchstaben auf seiner Brust heute mit Abstand die teuersten in | |
| der ganzen Bundesliga. Auf 70 Millionen Euro schätzt der Kicker den Betrag, | |
| den sich der Mutterkonzern die Werbung kosten lässt. Das dürfte ungefähr | |
| dem Betrag entsprechen, den der Autobauer insgesamt zum Etat der Wölfe | |
| beisteuert. | |
| 2014 untersuchte die UEFA, ob der Werksklub damit gegen das Financial Fair | |
| Play verstößt. Es ging um die Frage, ob die Sponsorengelder des Konzerns in | |
| einem akzeptablen Verhältnis zum Werbewert des Klubs stehen. Die | |
| Ermittlungen wurden eingestellt, da keine Verstöße festgestellt werden | |
| konnten. Zum Vergleich: Werder Bremen erhielt in seiner letzten | |
| Erstligasaison etwa ein Neuntel der Wolfsburger Summe von seinem | |
| Trikotsponsor. | |
| 21 Sep 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralf Lorenzen | |
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