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# taz.de -- 30 Jahre Kunst-Werke in Berlin: Immer ein Teil der Veränderung
> Das KW Institute for Contemporary Art in Berlin feiert an diesem
> Wochenende seine Gründung vor 30 Jahren und blickt mit einer Chronik
> zurück.
Bild: Franz Ackermann, Helicopter Nr. 21, 2005 zur Ausstellung „Zur Vorstel…
Anfang der 1990er Jahre beäugten sich die Kunstszenen von West- und
Ostberlin noch mit Misstrauen. In der ästhetischen Produktion oder den
ethischen Haltungen war man sich manchmal gar nicht so fern; aber die
jahrzehntelange Einübung von Abgrenzung machte es schwer, dies zuzugeben.
Wer wird gefördert? Wo wird die eigene Klientel bedient? Solche Debatten
überschatteten den Prozess der Annäherung.
Womöglich war es ein Faktor für den Erfolg der heute ihre Gründung vor 30
Jahren feiernden Kunst-Werke (die sich mittlerweile KW Institute for
Contemporary Art nennen), dass ihre Initiatoren alle zu jung waren, um mit
diesen Kunstszenen in Ost und West schon verhakelt zu sein, dass sie nicht
aus dem doch etwas provinziellen Milieu der beiden Halbstädte stammten und
dass sie zwar Studenten, aber nicht der Kunst waren.
Westberliner Kunstvereine und -lobbyisten waren schon so ermüdet vom
vergeblichen Kampf um eine Kunsthalle, dass sie gar nicht so groß zu denken
wagten wie diese Newcomer. Unter denen fiel besonders Klaus Biesenbach auf,
fast wie eine etwas surreale Erscheinung auf dem Berliner Parkett, der, so
schreibt er in seinen Erinnerungen, aus den USA mitgebracht hatte, dass
sich groß zu verkaufen weiterbringt.
Vor einer Woche wurde bekannt, dass [1][Klaus Biesenbach,] der seit 2004 am
PS 1 in New York und an weiteren Institutionen in New York gearbeitet
hatte, ab dem kommenden Jahr Direktor der Neuen Nationalgalerie in Berlin
wird. Eine Neuigkeit, die beim [2][Jubiläum des KW] sicher mitgefeiert
wird.
## Neues gründen im Verfall
Die Ausstellungen in den Kunst-Werken, in einer ehemaligen Margarine-Fabrik
in der Auguststraße, erlangten bald eine Sichtbarkeit, die andere der
vielen Initiativen der Off-Szene übertraf. Ein Coup war 1992 das Projekt 37
Räume, das die ganze Auguststraße bespielte, auch Wohnzimmer und leere
Ladenlokalen, viele internationale Künstler zeigte und der Straße etwas von
einem Abenteuerspielplatz verlieh.
Und das brachte den Kunst-Werken, die dank Unterstützung der
Wohnungsbaugesellschaft Mitte eine auch von Verfall bedrohte Immobilie für
sich nutzen konnten, den Vorwurf ein, die Vorhut einer Gentrifizierung zu
sein, die mit kultureller Zwischennutzung ein runtergekommenes Gebiet
aufwertete. Ein Vorwurf, den die Kunst-Werke mit Gesprächsrunden und in
Ausstellungen aufgriffen.
In den ersten Jahren wurden die Gebäude auch von Künstlern als Atelier
genutzt, Rainer Görß, Mitglied der Autoperformationsartisten, arbeitete
dort und [3][Sabine Hornig]. Später beanspruchte der gewachsene Apparat der
Institution immer mehr Räume. Mit der Professionalisierung ging etwas von
der Offenheit verloren, die in den ersten Jahren auch die Anziehungskraft
der Kunst-Werke ausmachte.
Anfangs konnten viele junge Kuratoren an den Kunst-Werken andocken, sie
wurden zu einem Ort von Diskurs und Party. Doch das Ausstellungsmachen
blieb das Kerngeschäft.
## Das Unheimliche und das Abjekte
Vor der Sanierung und dem Bau einer neuen Ausstellungshalle führte der Weg
der Besucher einmal auch in den Dachstuhl. Da saß eine Puppe, die um Hilfe
rief. Eigentlich nur geknäulter Stoff, der einen Kopf markierte, mit einem
aufprojizierten Gesicht, eine Zusammenarbeit von Tony Oursler und Mike
Kelley. Sie ist mir wohl deshalb so präsent in der Erinnerung, weil das
Unheimliche und das Abjekte, das mit seinen Erzählungen vom Bösen und
Grausamen so recht in keinen der Kunstdiskurse passen wollte, auch in
späteren Ausstellungen eine große Bühne fand.
2001 zeigten die Kunst-Werke die [4][düsteren Illustrationen von Henry
Darger], die erst nach dessen Tod 1973 entdeckt worden waren. Sie erzählten
in einem erschreckenden, aber auch sorgfältig und liebevoll gezeichnetem
Universum vom Martyrium von Kindern.
2007 präsentierte die Direktorin Susanne Pfeffer den Amerikaner Joe
Coleman, der seine Ausstellung wie ein Gruselkabinett inszeniert hatte, mit
vielen Mördern als Protagonisten. Sowohl Darger als auch Coleman erlebten
an den Kunst-Werken ihre erste größere Ausstellung in Deutschland.
## Ende des Kalten Krieges
Das Scheunenviertels in Ostberlin, das gegen Ende der DDR baulich in einem
sehr schlechten Zustand war, veränderte sich in den 1990er Jahre in hoher
Geschwindigkeit, die Kunst-Werke waren Teil davon. Die Reflexion vom Ende
des Kalten Krieges und den sozialen Brüchen der Nachwendezeit stand
inhaltlich auch auf der Agenda.
In großartigen Fotografien und suggestiven Videos 2002 auch zu sehen in
einer Ausstellung der [5][britischen Künstlerinnen Jane & Louise Wilson],
die in Kasachstan, auf dem Weltraumbahnhof Baikonur recherchiert hatten.
Ihre Bilder erzählten allein visuell vom Stillstand und Verfall in einem
Gelände, das zuvor für technologischen Fortschritt und die Eroberung des
Weltraums gestanden hatte. Eine Requiem auf eine Weltmacht, die ihre
Selbstgewissheit für einen Moment verloren hatte.
Zum Jubiläum geben die KW eine 496 Seiten dicke Publikation heraus, mit
einer Chronik und einer Analyse ihrer Geschichte, mit Essays unter anderem
von Susanne von Falkenhausen über die Berlin Biennalen und von Jenny
Dirksen, die ein Archiv der KW erarbeitet hat. Beide gehen kritisch mit den
Gründungslegenden und dem Erfolg der KW um. Wer die Anfänge miterlebt hat,
wird gerne darin blättern und sich erinnern.
17 Sep 2021
## LINKS
[1] /Neuer-Direktor-der-Neuen-Nationalgalerie/!5800121
[2] /25-Jahre-Kunst-Werke-in-Berlin/!5360370
[3] /Archiv-Suche/!697782&s=Sabine+Hornig&SuchRahmen=Print/
[4] /Archiv-Suche/!1144639&s=Henry+Darger&SuchRahmen=Print/
[5] /Archiv-Suche/!1125911&s=Jane+Louise+Wilson&SuchRahmen=Print/
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
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