# taz.de -- Ausstellung über Prepared Pianos: Ein Klavier aus Klopapier | |
> Eine Ausstellung im KW Institute of Contemporary Art Berlin zeigt | |
> Kunst-Pianos. Sie stammen aus der Sammlung des Mäzens Francesco Conz. | |
Bild: Hier hört das Auge mit: Joe Jones, „Pianoforte in Legno Nero“ (1973) | |
Schon mal mit einem Klavier telefoniert? Bis zum kommenden Sonntag ist das | |
locker drin, unweit des ehemaligen Haupttelegrafenamts in der Oranienburger | |
Straße in Mitte. Am Mittwochabend eröffnete dort im KW Institute for | |
Contemporary Art die Ausstellung „Pause: Broken Sounds / Remote Music“. Sie | |
zeigt eine Auswahl von 24 künstlerisch präparierten Klavieren aus der | |
Kollektion des italienischen Mäzens und Sammlers Francesco Conz. | |
Und links von der Mitte findet sich tatsächlich im Ausstellungsraum ein | |
Trumm von Konzertflügel, in dessen Resonanzraum anstelle der Saiten über 30 | |
Telefone eingearbeitet worden sind. Die Fernsprecher scheinen über einen | |
längeren Zeitraum gesammelt worden zu sein: Einige von ihnen wurden | |
dereinst noch mit einer Drehscheibe bedient, andere sind im Rot des Kalten | |
Krieges gehalten. | |
Ein schwerer schwarzer Kasten wartet mit mehreren Knöpfen zur | |
Weiterverbindung auf, unter einem steht: „Centr“. Nur, dass nicht mehr die | |
Zentrale rangeht, sondern der Apparat Mitglied eines vielstimmig | |
klingelnden Telefonorchesters geworden ist, dirigiert mittels der Tasten, | |
die den Geräten zugeordnet sind. Wer denkt sich sowas aus? | |
Der Ingenieur dieser 1999 entstandenen doppelten Verfremdung von Klavier | |
und Telefon war der US-amerikanische Künstler und Aktionskunst-Theoretiker | |
Allan Kaprow, [1][ein Schüler von John Cage]. Dieser, in Ermangelung eines | |
besseren Wortes der Avantgarde zugeschlagen, hatte um 1940 die Technik des | |
präparierten Klaviers entwickelt, mittels Radiergummis, Metalls und Papiers | |
den Saiten ungewohnte Töne zu entlocken. | |
## Eigenwillige Spielzeuge entwickeln | |
Wie oft in solchen Fällen darf bezweifelt werden, ob Cage Erfinder dieser | |
Technik war, er selbst hätte auf diesen Titel vielleicht auch gar keinen | |
Wert gelegt. Ähnliche Spielweisen der Klaviersaiten lassen sich bis in das | |
18. Jahrhundert zurückverfolgen, mittlerweile ist das präparierte Klavier | |
mit seinen oftmals perkussiven Sounds im Jazz und der Neuen Musik zuhause. | |
Und nicht nur da: Hörer:Innen Nick Caves kennen es vom Album „The Boatman’s | |
Call“ und dem Song „West Country Girl“, in dessen Besetzungsliste Blixa | |
Bargeld unter „Piano Treatment“ verzeichnet ist. So unakademisch jedenfalls | |
lässt sich auch mit dem Klavier umgehen. „Verspieltheit“ sei es, was er von | |
Cage gelernt habe, erinnert sich wiederum Kaprow in „Where the Heart Beats: | |
John Cage, Zen Buddhism, and the Inner Life of Artists“, einem Buch der | |
Kunstkritikerin Kay Larson und erzählt von dem befreienden Effekt, den es | |
gehabt habe, eigenwillige Spielzeuge zu entwickeln und ihnen Geräusche zu | |
entlocken. | |
Wie klingt das noch, so es überhaupt möglich ist? An dieser Stelle muss ein | |
arg strapazierter Satz umformuliert werden; in dieser Ausstellung hört das | |
Auge mit. So ist in unmittelbarer Nachbarschaft von Kaprows fernsprechendem | |
Klavier ein Objekt des italienischen Komponisten Walter Marchetti zu | |
inspizieren, das „Piano del papel higiénico“. | |
## Kunst, Nation und Tradition sind keine Heiligtümer | |
Richtig, ein Ensemble aus vielen, sehr vielen Rollen Toilettenpapier, einen | |
Konzertflügel formend. Dann ist da eine namenlose Installation, zwei | |
Dutzend hölzerne Gehstöcke in ein Klavier und seine Tastatur montiert: ein | |
Objekt des serbischen Konzeptkünstlers Raša Todosijević. Der Belgrader | |
weiß, warum ihm Kunst, Nation und Tradition keine Heiligtümer sind. | |
Und wer hat eigentlich postuliert, dass ein Piano gediegen schwarz zu sein | |
hat? Der Flügel, den die US-Malerin Dorothy Iannone in „A Souvenir for | |
Ajaxander“ verwandelt hat, war einmal schneeweiß gewesen. Sie hat ihn mit | |
detaillierten, farbenfrohen Szenen vergnüglichen Liebeslebens verziert. Und | |
einige Schritte weiter wartet doch glatt ein Haribo-Klavier, ein von der | |
Wahlberlinerin Ann Noël in Gelb und Orange getauchtes Instrument, das mit | |
vier Reihen Gummibärchen in allen Farben, die die Tüte so zu bieten hat, | |
verziert ist. | |
Das kann dann nur das Instrument sein, an welchem der New Yorker Pianist | |
und Organist Charlemagne Palestine seinen Teil des Begleitprogramms | |
bestreiten sollte: [2][Palestine, vorigen Herbst in der Friedrichshainer | |
Zwingli-Kirche zu hören gewesen], ist einer, für den der Teddybär über | |
schamanistische Kräfte verfügt und von daher auf jedem Konzert dutzendfach | |
dabei sein muss. Heute also wird es passieren, dass Gummi- und Stoffpetz | |
einander anrufen. Besucher von Palestines Konzerten wissen, dass dabei das | |
Klavier Cognac trinken dürfte. | |
16 Jan 2020 | |
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## AUTOREN | |
Robert Mießner | |
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