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# taz.de -- Neues Album des Jazztrios Grünen: Aufgehobener Zeilensprung
> Pianist Achim Kaufmann gehört zu den Größten seines Fachs. Über die
> Konzertpause hinweg hilft das Album „Disenjambment“ seines Trios Grünen.
Bild: Hat viel Sinn fürs Offene und für Überraschungen: der Pianist Achim Ka…
Musiker, bewusst oder unbewusst, denken in Musik. Sie hat Strukturen, folgt
Regeln, die man enger oder weiter fassen kann, es gibt in ihr Formen wie
Satz oder Phrase. Was die Frage aufwirft, wie sich Musik und Sprache
zueinander verhalten. Ist Musik am Ende eine Sprache?
So heißt es gern über Musiker, sie hätten eine bestimmte „Klangsprache“
entwickelt. Was einerseits verständlich ist, hat Musik doch Rhythmus, es
gibt auch so etwas wie Intonation. Überhaupt findet sich vieles, was die
Musik in ihrem Klang kombiniert, in nahezu identischer Form in der Sprache.
Dort ist umgekehrt von Dingen wie „Sprachmelodie“ die Rede.
Trotzdem ist die Frage nicht so eindeutig zu beantworten. Zumal man mit
Musik allein kaum ein Bier bestellen oder Nachrichten formulieren kann.
Provisorisch könnte man festhalten, dass Musik strukturiert ist wie eine
Sprache.
Der Pianist Achim Kaufmann hat in dieser Frage eine sehr differenzierte
Ansicht. Zwar stimmt er zu, dass Musik „kein eindeutiges
Kommunikationsmittel für Inhalte und Bedeutungen“ ist. Andererseits hält er
dagegen: „Was jedoch nicht heißen soll, dass es nicht auch konkrete
Botschaften und Signale in Musik geben kann, die – zumindest in einem
spezifischen kulturellen Zusammenhang – allgemein verstanden werden
können.“ So könne Musik „für bestimmte Ideen, Bilder, Emotionen, Impulse
auch das geeignetere Medium (die geeignetere Sprache) sein als ‚Sprache‘“.
Kaufmann hat sich einen ähnlich ausdifferenzierten Zugang zu seinem
Instrument erarbeitet. Haarfein zwischen Komposition und Improvisation
bewegt sich seine Musik, die man getrost Jazz nennen kann. Keine
unverbindlichen Freundlichkeiten zur Hintergrundbeschallung diskreter Bars.
Dafür viel Dichte, manche Reibereien und sehr viel Sinn fürs Offene. Der
Reiz beim Musikmachen besteht für ihn in der „Ambiguität“.
## Solo ebenso aktiv wie in diversen Projekten
In den achtziger Jahren studierte Kaufmann in Köln bei den Pianisten Frank
Wunsch und Rainer Brüninghaus. Danach lebte er in Amsterdam, vor gut zehn
Jahren zog er nach Berlin. Er arbeitet viel solo, spielt und spielte aber
zugleich in verschiedenen Gruppen. Unter seinen aktuellen Projekten ist
auch das 2009 gegründete Trio Grünen mit dem Bassisten Robert Landfermann
und dem Schlagzeuger Christian Lillinger. „Disenjambment“ heißt der Titel
ihres in diesem Jahr erschienenen zweiten Albums. Womit man wieder bei der
Frage nach der Sprache angelangt wäre.
Denn „Enjambement“ ist ein Stilmittel der Dichtung. Es bezeichnet einen
Zeilensprung, der meistens dadurch zustande kommt, dass eine Satzeinheit
länger ist als das Ende des Verses: „Warte nur! Balde/ Ruhest du auch“, um
ein berühmtes Beispiel zu nehmen (Goethe). Beim „Disenjambment“, nach dem
die Platte benannt ist, fehlt hingegen nicht bloß ein „e“ in der Mitte, es
hinterlässt einen vor allem ratlos, wie das Präfix „Dis“ zu verstehen ist,
das normalerweise für Verneinung steht.
Geht es um den verneinten Zeilensprung, also Versmaß as usual? Was auf
gehobenen Quatsch hinausliefe. Oder, ganz anders, ist das „Dis“ musikalisch
gemeint, als der Ton Dis, bei dem man landet, wenn man sich vom D einen
Halbton aufwärts bewegt? Also ein Zeilensprung, welcher Art auch immer, bei
dem das Dis eine maßgebliche Rolle spielt?
## Durch unbekanntes Terrain
Egal, welche Option man bevorzugt, landet man bei einem Wortspiel, in dem
Kaufmann eine intellektuell spielerische und verspielte Herangehensweise
ans Musizieren erkennen lässt: Bei aller Strenge der Ausführung, in der das
Trio Grünen auf höchstem Niveau wie selbstverständlich durch unbekanntes
Terrain navigiert, sind stets etwas Leichtes in der Beweglichkeit und viel
Freude am Unbekannten zu hören. Zu Beginn eines Stücks weiß man nie, was
einem unterwegs an Entwicklungen begegnet. Von denen gibt es viele
unerwartete.
Grünen ist eine Art Kammerjazz-Gipfeltreffen, alle drei Beteiligten sind
auf Augenhöhe im höchst anspruchsvollen „Gespräch“ miteinander. Man kann
diese Art des Aufeinander-Hörens akademisch finden, was allerdings
vorwiegend nominell zutrifft: Zwei der drei Musiker sind Professor an einer
Musikhochschule, Kaufmann seit 2018, Landfermann seit 2019.
„Akademisch“ heißt bei dieser Aufnahme ganz sicher nicht blutarm, sondern
blitzschnelles Reagieren, feines Ausspinnen von Einfällen – und ein
Zusammenspiel, bei dem gar nicht immer klar ist, was frei und was nach
Noten zustande gekommen ist. Energisch ist im Zweifel beides. Wobei die
Unvorhersehbarkeit nichts mit Regellosigkeit zu tun hat.
Für Grünen sind Regeln keine Handlungsanweisungen, die die eigene
Bewegungsfreiheit beschränken, sondern umgekehrt die zugrundeliegenden
abstrakten Prinzipien, die ihre spontane, strukturierte Freiheit in alle
denkbaren Richtungen ermöglichen. Rhythmisch, harmonisch, melodisch und
klanglich. Und dass nicht alles harmonisch klingt, kommt im Jazz halt hin
und wieder vor. „Zusammen“ bedeutet schließlich weder zwangsläufig
„unisono“ noch „konsonant“.
10 May 2020
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
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