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# taz.de -- Neues Album „Suvenýr“ von Marc Schmolling: Erinnerungen aus de…
> Hier klingt Nostalgie frisch und abenteuerlustig: Das Werk „Suvenýr“ des
> Berliner Pianisten bewegt sich zwischen Improvisation und Komposition.
Bild: Verdichtung statt Weitschweifigkeit: der Pianist Marc Schmolling
Tonträger können dieser Tage wieder eine ganz neue Qualität gewinnen. Neben
dem gestreamten Einerlei von Film, Musik und Videokonferenz auf dem Telefon
oder Computer hat eine Schallplatte den klaren Vorteil, als bloßes Objekt
ein wenig Abwechslung vom digitalen Alltag zu bieten.
Musiker können mit Alben sogar nach wie vor auf sich aufmerksam machen,
neben Live-Auftritten im Internet wohlgemerkt, um daran zu erinnern, dass
mittelfristig ein Konzertbetrieb wieder ermöglicht werden muss, um
Künstlern und Veranstaltern ihre Existenz zu sichern.
Solange das nicht geht, ist der Kauf einer Platte oder CD zumindest eine
Solidaritätsgeste. Ganz abgesehen davon, dass so ein lästig herumstehendes
oder -liegendes Objekt weiterhin als räumliche Erinnerung an die Musik
darauf dienen kann. Ein Souvenir, oder, auf Tschechisch, „Suvenýr“, wie der
Berliner Pianist Marc Schmolling sein zweites Soloalbum genannt hat.
Der Titel ist seinerseits ein bisschen eine Erinnerung an Marc Schmollings
Mutter, die aus Prag stammende Dichterin Inka Machulková, die 2014 starb.
Doch erkunden die zehn auf der Platte versammelten Nummern weit mehr als
Momente der Vergangenheit. Überhaupt ist die Frage, ob es alles
Erinnerungen an Gewesenes sind, die sich hinter Titeln wie „UFO Promenade“
verbergen. Sie könnten genauso gut aus der Zukunft stammen.
## Keine Frage mehr des exakten Improvisationsanteils
Obwohl sein erstes Soloalbum „Not So Many Stars“ erst 2016 erschien, hat
der geborene Münchner, der seit 2006 in Berlin lebt, in anderer Besetzung
eine Reihe von Platten veröffentlicht, darunter allein vier mit seinem Marc
Schmolling Trio. Auf „Suvenýr“ setzt er den introspektiven Ansatz seines
Solodebüts fort, vor allem aber seine Lust am Entdecken, am Finden aus der
spontanen Intuition heraus. Jazz ist auch längst nicht mehr eine Frage des
exakten Improvisationsanteils im dargebotenen Material.
Marc Schmolling jedenfalls, der zu den Mitgründern des seit 2007
bestehenden Jazzkollektivs Berlin gehört, bezeichnet sich ganz
selbstverständlich als Komponist. Einer, der, teils der Jazztradition
US-amerikanischer Vorbilder folgend, teils in Anlehnung an das europäische
Kunstlied, schon mal für ein Projekt „Songs“ schreibt, die nach Noten
darzubieten sind. Für Chor hat Schmolling ebenfalls komponiert, namentlich
in seinem Projekt „The Sounds of Silence“.
Auf „Suvenýr“ lotet Schmolling die Übergänge von Improvisation und
Komposition aus, lässt seine Melodien und Harmonien auf Entdeckungsreise
gehen, selten ganz eindeutig tonal oder atonal. Das kann sich, wie im
Titelstück, sehr lyrisch verdichtet gestalten, Weitschweifigkeit oder
Redundanz sind seine Sache nicht. In „Twas Brig“ ist die Suchbewegung
rhythmisch unruhiger, geht erst in die eine, dann in die andere Richtung,
ziellos wirkt die Entwicklung allerdings nie.
## Vom Flügel zum prepared piano
Für „Klíče“ hat er den Flügel zum prepared piano umgebaut und Objekte…
einige Saiten gelegt, ohne den Klang des Instruments allzu stark zu
verfremden. Die Töne scheppern lediglich etwas metallisch. Der Titel ist
die tschechische Bezeichnung für „Schlüssel“, womit er zugleich einen
Hinweis auf die im Flügelinneren verwendeten Gegenstände gibt.
Im Hintergrund ist oft noch ein weiteres Instrument zu hören: Marc
Schmolling begleitet seine Stücke beim Spielen mit leisem Singen. Hier
findet er sich in Gesellschaft von Kollegen wie Keith Jarrett oder Glenn
Gould. Wobei Schmolling schöner singt als Letzterer.
Selbstbewusst selbstironisch zeigt er sich in Titeln wie „Rock'n'Schmoll“,
beginnt das Stück mit einer kantigen Melodie als eine Art Hommage an den
Jazz-Innovator und Pianistenkollegen Thelonious Monk, spinnt sich von dort
aus immer freier fort, auch diesmal unter Einsatz seiner Stimme. Das eigene
Label, auf dem er „Suvenýr“ veröffentlicht hat, heißt übrigens
Schmollingstones.
Am 9. Juni stellte Schmolling sein Album [1][im A-Trane ohne Publikum als
Livestream] vor, das Konzert ist auf Youtube abrufbar. Im März hatte er
zuvor einen Auftritt in der [2][Online-Konzertreihe „Into the Shed“], die
sein Jazzkollektiv-Mitstreiter, der Gitarrist Ronny Graupe, seit dem
Corona-Lockdown veranstaltet. Bleibt zu hoffen, dass die Zeit für Konzerte
ohne Bildschirmbarriere nicht allzu lange auf sich warten lässt.
22 Jun 2020
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=mPuskb5ZKl4
[2] https://ronnygraupe.com/into-the-shed/index.html
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
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