# taz.de -- Bruckners Romantische Symphonien: Ein Alpendröhnen | |
> Anton Bruckner nahm in seiner Musik Trends des 20. Jahrhunderts vorweg. | |
> Hören und sehen kann man das in einem kundigen Dokumentarfilm. | |
Bild: Bruckner-Konzert in der Stiftsbasilika St. Florian im Film „Anton Bruck… | |
Pada-bambambambam, Pada-bambambambam, Ta-ta-ta-ta-ta-ta-ta-taaa. Die Klänge | |
des Orchesters schieben sich unaufhaltsam rhythmisch voran wie ein | |
gewaltiges Felsmassiv, dazwischen stürzen Melodietöne der Streicher herab | |
wie Vögel. Bei Anton Bruckner drängen sich gern starke Bilder auf, wenn man | |
seine Musik beschreiben möchte, hier zu einer Figur aus dem zweiten Satz | |
seiner neunten Symphonie. | |
Dass dabei oft Begriffe aus dem Umfeld des Montanen herangezogen werden, | |
erklärt sich ein bisschen aus der Herkunft Bruckners. Er war | |
Oberösterreicher. Wäre er von der Nordsee gekommen, hätte man sich | |
womöglich mit anderen Bildern beholfen. Doch ist sehr die Frage, ob | |
Bruckner dann solche Symphonien geschrieben hätte. | |
Die beste Art, seine Musik kennenzulernen, ist, sie anzuhören. Auch wenn es | |
zum Phänomen Bruckner viel zu sagen gibt. Einiges davon kommt im jüngst in | |
den Kinos gestarteten Dokumentarfilm „Anton Bruckner – das verkannte Genie�… | |
zur Sprache. Dirigenten wie Kent Nagano oder Sir Simon Rattle würdigen den | |
Komponisten, seine Biografin Elisabeth Maier gibt Hinweise, wie sich sein | |
Werk verstehen lässt. Dazwischen immer wieder Ausschnitte aus Konzerten mit | |
dem Dirigenten Valery Gergiev, der verschiedene Symphonien Bruckners in der | |
ausladend barocken Stiftsbasilika St. Florian dirigiert, auch die eingangs | |
erwähnte neunte. | |
Der sehr kundige Film von Reiner E. Moritz macht neugierig auf das Schaffen | |
Bruckners, der nach dem frühen Tod des Vaters als Sängerknabe im Stift St. | |
Florian angenommen wurde und sich von da an stetig erst den Ruf eines | |
herausragenden Orgelvirtuosen und dann, gegen Ende seines Lebens, auch als | |
innovativer Komponist erarbeitete. | |
## Vorliebe für Klangballungen | |
Bruckner gehört mittlerweile zum Standardrepertoire der Orchester, dennoch | |
bleibt seine Musik eigenartig, eigenwillig. Selbst wenn sie heute in ihrer | |
visionären Herangehensweise weit besser verständlich erscheint. Die | |
Berliner Philharmoniker haben sich seit ihren Anfängen seiens Werks | |
angenommen; unter Dirigenten wie Herbert von Karajan entstanden diverse | |
Zyklen seiner Symphonien. Mit dem jüngsten Zuwachs, einer Zusammenstellung | |
von Aufnahmen aus den vergangenen zehn Jahren, hat das Orchester einen | |
ungewöhnlichen Zyklus vorgelegt. Denn die neun Symphonien werden von | |
insgesamt acht Dirigenten dargeboten, darunter auch Rattle, der mit der | |
neunten abschließt. | |
Könnte man bei den ersten beiden Symphonien noch meinen, es mit einem | |
Romantiker zu tun zu haben, der eine Vorliebe für Klangballungen hat, wird | |
die Lage spätestens mit der dritten Symphonie unübersichtlicher. | |
Buchstäblich, denn die Musik beginnt fast statisch; die Bewegung der | |
einzelnen Orchesterstimmen erscheint verworren, doch gibt es nach und nach | |
in der Wiederholung eine Steigerung. | |
Wiederholung und Steigerung sind Kennzeichen von Bruckners Ansatz. Er setzt | |
das Repetitive allerdings nicht prozesshaft ein wie im 20. Jahrhundert die | |
Vertreter der Minimal Music, sondern als Mittel der Emphase und zur | |
Freisetzung des Klangs im Raum. Seine simpel wirkenden, luftig gehaltenen | |
Melodien, etwa die vom Horn vorgetragenen Grundtöne am Anfang der vierten | |
Symphonie, spielen mit Obertönen, verlegen die Komplexität in das Innere | |
des Tonmaterials. | |
## Von den Nazis vereinnahmt | |
Im 20. Jahrhundert sollten dann insbesondere die französischen | |
Spektralisten das Komponieren mit Obertönen systematisieren. Bruckners | |
Zeitgenossen hingegen wunderten sich oft über die scheinbare Leere oder | |
Redundanz in seiner Musik. „Keine Zeitvorgaben und sich ausdehnende Räume“, | |
so fasst der Dirigent Kent Nagano Bruckners Musik im Film aus gegenwärtiger | |
Sicht zusammen. | |
Der sehr katholische Bruckner meißelte sein orchestrales Gotteslob dabei | |
nicht bloß in maximal laute große Gesten, er ließ dazwischen viel Platz für | |
zarte, lyrische Momente in kleiner Besetzung. Wie er überhaupt vermeintlich | |
Unvereinbares völlig selbstverständlich zusammenbringen konnte. So nennt | |
Elisabeth Maier im Bruckner-Film das Ende des letzten Satzes der dritten | |
Symphonie, in dem eine Polka melodisch mit einem Choral kombiniert ist. Das | |
Gegenüberstellen von Erhabenem und Trivialem, das Bruckners Freund Gustav | |
Mahler in seinen eigenen Symphonien perfektionieren sollte, ist darin | |
vermutlich schon angedeutet. Maier deutet ebenfalls an, dass Bruckner, der | |
seinerseits Wagner verehrte, später von den Nazis stark vereinnahmt werden | |
sollte. | |
Man kann sich im Zyklus der Berliner Philharmoniker wunderbar verlieren. | |
Nicht allein, weil Bruckners Symphonien mitunter weit über eine Stunde | |
dauern. Es sind Aufstiege im Gebirge, bei denen man irgendwann merkt, dass | |
sich die Landschaft verändert hat, obwohl man meint, nicht recht vom Fleck | |
weggekommen zu sein. Bei den Berliner Philharmonikern strahlen die Gipfel | |
dann umso transparenter. Unabhängig davon, wer gerade am Dirigentenpult | |
steht. | |
28 Jul 2020 | |
## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
## TAGS | |
Komponist | |
Klassik | |
Romantik | |
Berliner Philharmoniker | |
Dokumentarfilm | |
IG | |
Dokumentarfilm | |
Komponist | |
Ennio Morricone | |
Free Jazz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Dokumentarfilm über Anne-Sophie Mutter: Der Weltstar mal nahbar | |
Bald feiert die Geigerin Anne-Sophie Mutter ihren 60. Geburtstag. Die | |
Dokumentarfilmerin Sigrid Faltin gratuliert mit einem Filmporträt. | |
Chormusik aus dem 20. Jahrhundert: Mickymaus-Mystizismus? Aber nein! | |
Arvo Pärt gilt als einer der schroffsten Komponisten unserer Zeit. Ein neu | |
aufgelegtes Album präsentiert seine Chorwerke aus der Wendezeit. | |
Filmkomponist Ennio Morricone ist tot: Mut zur Maultrommel | |
Mit der Filmmusik zu „Spiel mir das Lied vom Tod“ wurde er weltberühmt. Nun | |
verstarb der Komponist Ennio Morricone im Alter von 91 Jahren. | |
Neues Album „Suvenýr“ von Marc Schmolling: Erinnerungen aus der Zukunft | |
Hier klingt Nostalgie frisch und abenteuerlustig: Das Werk „Suvenýr“ des | |
Berliner Pianisten bewegt sich zwischen Improvisation und Komposition. |