# taz.de -- Bewegungsforscher über Klimaprotest: „Gandhi war auch im Hungers… | |
> Klimaaktivist:innen hungern seit drei Wochen. Protestforscher | |
> Dieter Rucht findet die Aktion trotz historischer Vorbilder nicht | |
> aussichtsreich. | |
Bild: Aktivist:innen Henning Jeschke, Jacob Heinze und Lena Bonasera im Regieru… | |
taz: Herr Rucht, die [1][Hungerstreikenden im Berliner Regierungsviertel] | |
fordern ein Gespräch mit den Kanzlerkandidat:innen und deren | |
Versprechen, im Falle ihrer Wahl einen Klimabürgerrat einzurichten. | |
Überrascht Sie die Diskrepanz zwischen der extremen Protestform und den | |
gemäßigten Forderungen? | |
Dieter Rucht: Ja, die überrascht mich. Wenn man glaubt, man müsse in den | |
Hungerstreik gehen, dann muss man doch auch substanzielle Forderungen | |
stellen. Hier sind die Forderungen aber nur formaler Art. | |
Immerhin führt man damit den Vorwurf ad absurdum, die eigenen Vorstellungen | |
durch den Hungerstreik moralisch erpressen zu wollen, also undemokratisch | |
zu sein. | |
Von Erpressung würde ich sowieso nicht sprechen. Dafür müsste ein | |
nennenswerter Schaden auf der gegnerischen Seite eintreten, wenn die | |
Forderungen nicht erfüllt werden. Das halte ich hier nicht für gegeben. | |
Aber so ein Bürgerrat bleibt ein Beteiligungsformat – das macht die Idee | |
nicht schlecht, aber diese Gremien haben keine Entscheidungsmacht. | |
Halten Sie es für aussichtsreich, dass der Hungerstreik sein Ziel erreicht? | |
Jetzt im Vorfeld der Wahl den Kanzlerkandidat:innen die äußeren | |
Bedingungen des Gesprächs zu diktieren und dabei auf Zugeständnisse zu | |
hoffen, halte ich eher für naiv. | |
Kann man aus sozialwissenschaftlicher Sicht Kriterien ausmachen, wann | |
Hungerstreiks erfolgreich sind? | |
Eindeutige Kriterien gibt es aus meiner Sicht nicht. Aber natürlich gab es | |
schon erfolgreiche Hungerstreiks. Der größte, der mir einfällt, ist der | |
Hungerstreik kalifornischer Gefängnisinsassen gegen Isolationshaft im Jahr | |
2013. Daran beteiligten sich über einen Zeitraum von zwei Monaten 30.000 | |
Menschen. Die Behörden reagierten. | |
Und bei komplexen gesellschaftlichen Fragen wie der Klimakrise? | |
Gandhi war mehrfach im Hungerstreik. Aber er hat eben auch andere Aktionen | |
genutzt, vor allem Aktionen des zivilen Ungehorsams. Da einen konkreten | |
Anteil des Hungerstreiks am Ende der britischen Kolonialherrschaft in | |
Indien auszumachen, ist schwierig. | |
Aber können Sie denn auch die Verzweiflung einer Generation verstehen, die | |
im Klimawandel aufgewachsen ist und in ihrer Lebenszeit [2][extreme | |
Einschränkungen von Freiheit und Sicherheit] durch diese Krise zu | |
befürchten hat? | |
Natürlich, aber das Repertoire an anderen Protest- und | |
Widerstandsmöglichkeiten ist bei Weitem noch nicht ausgereizt. Damit meine | |
ich nicht nur fröhlich-freundliche Straßenproteste, sondern auch zivilen | |
Ungehorsam. Sowohl in Qualität als auch in Quantität ist das Spektrum da | |
noch nicht ausgeschöpft. | |
Sollte die Klimabewegung von symbolischen Aktionen des zivilen Ungehorsams | |
– etwa der Besetzung eines Kohletagebaus – zu solchen Protesten übergehen, | |
die praktische Auswirkungen haben? | |
Ja, es gibt Protestformen, mit denen man die Routinen des Alltags stört. | |
Und wenn man sagt: Wir haben das versucht, da kommen nicht genug Leute – | |
dann muss man es erst mal anders versuchen. | |
Das heißt im Prinzip, dass am besten Fridays for Future als große Bewegung | |
mit riesigem Rückhalt die Autobahnen blockieren sollte? | |
Fridays for Future ist diesen Schritt des zivilen Ungehorsams über den | |
Schulstreik hinaus bisher nicht gegangen. Das könnte sich allmählich | |
ändern. Man muss dabei aber sehr darauf achten, dass man das Gros der | |
Bevölkerung nicht gegen sich aufbringt, sondern vielmehr Verständnis weckt. | |
Es kommt auf die Kommunikation mit der Öffentlichkeit an. | |
20 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Schwarz | |
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