# taz.de -- Hungerstreik vor dem Reichstag: Lassen Sie sich erpressen! | |
> Gehen die drei Kanzlerdandidat*innen auf die Hungerstreikenden | |
> ein, könnten sie einen Präzedenzfall schaffen. Doch es geht um | |
> Menschenleben. | |
Bild: Lea Bonasera und Jacob Heinze im Hungerstreik im Berliner Regierungsviert… | |
Seit drei Wochen haben die [1][Hungerstreikenden] in Berlin jetzt nichts | |
mehr gegessen. Sie fordern ein ehrliches, öffentliches Gespräch mit den | |
drei Bundeskanzlerkandidat*innen über ihre Sorgen bezüglich der | |
Klimakrise. Stattfinden soll es noch vor der Wahl. Wenn sie das bekommen, | |
wollen sie wieder anfangen zu essen. An Tag 22 haben sie noch immer keine | |
Zusage für ein solches Gespräch. Was, wenn sie sie nie bekommen? Sie sagen: | |
Dann bleiben wir im Hungerstreik. Unbefristet. | |
Die drei Kanzlerkandidat*innen sind in einer schwierigen Lage. Wenn | |
sie auf die Forderung der Hungerstreikenden eingehen, schaffen sie | |
vielleicht einen Präzedenzfall für diese Form des Protests – machen sich | |
erpressbar. Diese Sorge ist verständlich. Aber sie sollte nicht größer sein | |
als die Sorge um die jungen Menschen, die im Hungerstreik sind. | |
Es ist vielleicht schwer vorstellbar, dass es wirklich dazu kommt, dass | |
direkt neben dem Bundestag ein Mensch im Hungerstreik stirbt. Und ja, drei | |
Streikende haben nach gesundheitlichen Problemen abgebrochen. Die anderen | |
drohen hingegen, den Streik noch zu verschärfen: Ab Donnerstag wollen sie | |
auch die Aufnahme von Flüssgigkeit einstellen, wenn sie kein Gespräch | |
bekommen. An Tag 22 des Streiks muss man also langsam die Frage zulassen: | |
Was, wenn hier wirklich jemand stirbt? | |
Die Last, die die Streikenden auf ihren Schultern tragen, ist groß. Da ist | |
diese riesige Angst vor der Klimakrise, vor einer Zukunft in Chaos. Da ist | |
die Angst, im Hungerstreik zu sterben. Und da ist die Verantwortung | |
weiterzumachen. Es geht den Streikenden darum, die Dramatik zu vermitteln, | |
die sie angesichts des [2][Klimawandels] verspüren. Dass sie jung sind und | |
eigentlich nicht sterben wollen, heißt nicht, dass sie dafür nicht wirklich | |
den eigenen Tod in Kauf nehmen werden. | |
Selbst wenn sie letztlich zu der Überzeugung kommen sollten, dass die | |
Aktion fehlgeschlagen ist und sie doch lieber auf Demos weiterkämpfen | |
wollen als zu sterben: Wer sagt, dass nach drei Wochen des öffentlichen | |
Streiks nicht der Druck gewinnt, sich für die Sache und gegen das Leben zu | |
entscheiden? | |
Frau Baerbock, Herr Laschet, Herr Scholz, nehmen Sie diesen jungen Menschen | |
die Last dieser Entscheidung! Und wenn das heißt, dass Sie sich damit | |
erpressen lassen, dann lassen Sie sich eben erpressen. Wenn Sie die | |
Streikenden schon nicht ernst nehmen, dann seien Sie wenigstens die | |
Erwachsenen hier. Die Streikenden wollen ein Gespräch. Sie haben echte | |
Ängste, echte Sorgen. | |
Man mag sie übertrieben finden, aber man kann sie deswegen nicht | |
ignorieren. Geben Sie diesen Menschen angesichts der Klimakrise einen | |
Grund, keine Angst mehr zu haben – oder wenigstens etwas weniger | |
verzweifelt zu sein. Sie haben nicht genug in der Hand, um sich darauf zu | |
verlassen, dass sich die Streikenden am Ende noch für ihr Leben | |
entscheiden. | |
21 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Lena Wrba | |
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