# taz.de -- Protestaktion in Berlin: Der falsche Weg | |
> Der Hungerstreik in Berlin ist ehrenwert, aber auch naiv und gefährlich. | |
> Scholz, Baerbock und Laschet werden sich nicht erpressen lassen. | |
Bild: Die ursprüngliche Gruppe der Hungerstreikenden. Die beiden Frauen sind i… | |
Berlin taz | 23 Tage, so lange haben die vier Klimaaktivist*innen in | |
Berlin nichts gegessen. Ihr Gesundheitszustand verschlechtert sich rapide. | |
Sie haben starke Gliederschmerzen, Aufstehen und Sprechen fällt ihnen immer | |
schwerer. Aktivist [1][Jacob Heinze] aus Dortmund liegt seit Samstag in der | |
Charité. „Mein Herz scheint Probleme zu haben“, twitterte der 27-Jährige … | |
Tag seiner Einlieferung. | |
Zwei der [2][ursprünglich sechs Aktivist*innen] haben den Hungerstreik | |
zur Rettung des Klimas am Samstag beendet. Nachdem die 19 Jahre alte Lina | |
Eichler aus Hamburg an Tag 20 im Camp nahe dem Reichstagsgebäude | |
zusammengebrochen und mit einem Rettungswagen in die Charité eingeliefert | |
worden war, musste sie das Hungern aus gesundheitlichen Gründen abbrechen. | |
Die zweite Aktivistin, die sich Mephisto nennt, beendete den Streik aus | |
psychischen Gründen. | |
Während zwei Aktivist*innen aufgeben mussten, haben sich den | |
verbliebenen Hungerstreikenden vier weitere Menschen angeschlossen. Die | |
Gruppe fordert ein öffentliches Gespräch mit den | |
Kanzlerkandidat*innen Armin Laschet (CDU), Olaf Scholz (SPD) und | |
Annalena Baerbock (Grüne) noch vor der Bundestagswahl. Als Termin haben sie | |
den 23. September um 19 Uhr festgelegt. „Wir beenden unseren Hungerstreik, | |
sobald wir eine Zusage bekommen“, heißt es auf der [3][Webseite] der | |
Initiative „Hungerstreik der letzten Generation“. | |
Sollte das Gespräch nicht stattfinden, will ein Teil der Gruppe den | |
Hungerstreik abbrechen, ein anderer Teil wiederum möchte dann in den | |
sogenannten trockenen Hungerstreik treten und auch auf Flüssigkeit | |
verzichten. | |
Der Hungerstreik ist in diesem Fall unangebracht | |
So ehrenwert der Einsatz der Klimaaktivist*innen ist, so | |
jugendlich-naiv und obendrein gefährlich ist er aber auch. Glauben die | |
Aktivist*innen wirklich, dass sich die Kanzlerkandidat*innen auf | |
Erpressung einließen? Und das so kurz vor der Bundestagswahl? | |
Angenommen, Laschet, Scholz und Baerbock gäben nach und sagten dem Treffen | |
am 23. September zu. Dann würden übermorgen die nächsten ihr Zelt im | |
Regierungsviertel aufschlagen und einen Hungerstreik antreten, zum | |
Beispiel, weil sie eine Impfpflicht für alle Bürger*innen fordern. Oder | |
das Ende der Coronamaßnahmen. Oder, oder, oder. Es ist doch so wie mit | |
einem schreienden Kind, das unbedingt ein Eis möchte. Kauft man es ihm, nur | |
weil es lang und laut genug schreit, dann wird es immer wieder schreien, um | |
seinen Willen zu bekommen. Allein schon aus diesem Grund wollen und werden | |
die Kandidat*innen nicht nachgeben. | |
Und ganz abgesehen davon: Was würde das Gespräch am 23. September bringen? | |
Keine*r der drei Kandidat*innen würde unmittelbar nach dem Treffen die | |
deutsche Klimapolitik auf den Kopf stellen und über Nacht den Fleischkonsum | |
der Deutschen massiv verringern oder die Kurzstreckenflüge verbieten – zwei | |
von vielen Maßnahmen, die für das Erreichen des [4][1,5-Grad-Ziels] und | |
damit der Rettung des Planeten notwendig wären. | |
Klar, die Klimakrise stellt eine existenzielle Bedrohung für die junge | |
Generation dar, und die Zeit ist extrem knapp, um die Auswirkungen der | |
Erderhitzung noch einzudämmen. Die kommende Legislaturperiode wird über die | |
kommenden Jahrhunderte entscheiden. Aber wenn die Aktivist*innen nicht | |
bald etwas essen, dann kann das zu bleibenden gesundheitlichen Folgen bis | |
hin zum Tod führen. Bei den Hungerstreikenden kommt es auf die nächsten | |
Tage, vielleicht sogar Stunden an. Bei der Klimakrise hingegen auf die | |
nächsten ein bis zwei Jahre. Auch aus diesem Grund ist der Hungerstreik als | |
Form des Protests unangebracht. | |
Andere Protestformen sorgen auch für Aufmerksamkeit | |
Ihre Schmerzen seien nichts gegen das, was heute schon Menschen wegen der | |
Klimakrise durchmachen müssten, sagen die Aktivist*innen. Deswegen würden | |
sie weiter hungern. Folgte man dieser Logik, könnte man sein Leben aber | |
doch komplett an den Nagel hängen. Dann würde man nie wieder sauberes | |
Wasser trinken oder in die Uni gehen können, weil andere Menschen auf der | |
Welt diese Privilegien nicht haben. Was bringt es den Menschen, die wegen | |
Ernteausfällen schon heute Hunger leiden oder sterben, wenn junge Menschen | |
in Deutschland freiwillig hungern? | |
Um die Kanzlerkandidat*innen auf die vor ihren Augen (Flutkatastrophe | |
in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, Waldbrände in Südeuropa) | |
eskalierende Klimakrise hinzuweisen und wachzurütteln, könnten die | |
Aktivist*innen genauso gut zu humaneren Methoden greifen, die für | |
ähnliche mediale Aufmerksamkeit sorgen würden: Anketten, Sitzblockaden oder | |
Demonstrationen zum Beispiel. Das Gute: Diesen Formen des Protests könnten | |
sich viele Millionen junge Menschen auf der ganzen Welt anschließen, ohne | |
dabei ihr Leben zu riskieren. | |
21 Sep 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Jacob-Heinze-hungert-fuer-das-Klima/!5797534 | |
[2] /Hungerstreik-vor-dem-Reichstag/!5797513 | |
[3] http://hungerstreik2021.de/ | |
[4] /UN-Klimaziele-vor-dem-Scheitern/!5797656 | |
## AUTOREN | |
Rieke Wiemann | |
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