# taz.de -- Hungerstreik für das Klima: „Mir geht es nicht gut“ | |
> Zehn Tage haben Klimaaktivist:innen im Regierungsviertel nichts | |
> gegessen. Im Kohledorf Keyenberg hungert ein Denkmalschützer für die | |
> Kirche. | |
Bild: Seit Tagen befinden sich die jungen Menschen im Hungerstreik | |
Berlin taz | Mephisto läuft über eine Wiese im Berliner Regierungsviertel, | |
heraus aus der Sonne, ein Stück in den Schatten. Ein müdes Lächeln huscht | |
zur Begrüßung über das Gesicht der 18-jährigen Klimaaktivistin, die sich | |
selbst den Namen des Teufels gegeben hat. Ihre Bewegungen sind vorsichtig | |
und spärlich. Es ist Mittwochmittag und der zehnte Tag, an dem die junge | |
Frau nichts isst. | |
Sie gehört zu den sieben Aktivist:innen, die einen Steinwurf entfernt vom | |
Bundeskanzleramt ein Zeltlager aufgebaut haben und in den [1][Hungerstreik] | |
getreten sind, um eine bessere Klimapolitik einzufordern. | |
Der Hunger hinterlässt Spuren. „Ich würde sagen, mir geht's nicht so gut“, | |
sagt Mephisto, die als einzige der sieben nicht mit ihrem echten Namen | |
auftreten will. „Es ist ziemlich anstrengend; meine Beine tun total weh“, | |
sagt sie und nippt an einer Tasse, aus der das Bändchen eines Teebeutels | |
hängt. „Ich hab die ganze Zeit das Bedürfnis, mich einfach nur hinzulegen, | |
aber andererseits weiß ich, dass das nicht gut ist.“ | |
Aus dem ärztlich begleiteten Training, das die Aktivist:innen zwischen | |
18 und 27 Jahren durchlaufen haben, ist ihr klar: Dann werden zu viele | |
Muskeln abgebaut. | |
## Die Hungernden wollen einen Klima-Büger:innenrat | |
Die Aktion ist unbefristet angelegt. Essen wollen die Aktivist:innen | |
erst wieder, wenn ihre zwei Forderungen erfüllt sind: dass die drei | |
Kanzlerkandidat:innen sich auf ein öffentliches Gespräch einlassen | |
und versprechen, im Falle ihrer Wahl einen Bürger:innenrat fürs Klima | |
einzurichten. | |
Aus anderen Ländern und auch [2][einem zivilgesellschaftlich organisierten | |
Format in Deutschland] weiß man, dass diese Gremien in der Regel zu | |
deutlich progressiveren Ergebnissen kommen als die Regierungen, obwohl ihre | |
Mitglieder per Los bestimmt werden und keineswegs nur Ökos sind. Umgesetzt | |
werden die erstrittenen Vorschläge, wie gerade in Frankreich geschehen, | |
allerdings oft nur in verwässerter Form. | |
Es sind fast zahme Forderungen, umso extremer erscheint das Mittel der | |
Wahl. „Wir wollten etwas fordern, das auch realistisch ist“, erklärt | |
Mephisto. Natürlich: Erst mit dem Hungern aufhören, wenn Deutschland genug | |
dafür tut, dass die Erderhitzung die 1,5-Grad-Marke nicht knackt – das | |
dauert und dafür müssten viele Räder in Gang gesetzt werden. Die jetzigen | |
Forderungen können jeweils die einzelnen Adressat:innen erfüllen. | |
Gemeldet hat sich bisher allerdings nur Grünen-Kandidatin Annalena | |
Baerbock. Die habe angerufen und habe die Gruppe darum gebeten, mit dem | |
Hungern aufzuhören, berichtet Mephisto und streicht sich einen ihrer zwei | |
pinken Zöpfe hinter die Schulter. Die Einladung zu einem öffentlichen | |
Gespräch habe sie allerdings ignoriert. | |
Ähnlich äußerte sich ein Sprecher Baerbocks auch gegenüber der taz. „Sie | |
teilt das Ziel, möglichst bald klimaneutral zu sein, und wird sich dafür in | |
der kommenden Bundesregierung mit aller Kraft einsetzen“, sagte er. „Aber | |
es darf nicht sein, dass sich Menschen durch einen Hungerstreik in solche | |
Gefahr bringen und ihr eigenes Leben riskieren.“ | |
Von CDU-Mann Armin Laschet und dem SPD-Kandidaten Olaf Scholz habe man noch | |
nichts gehört, sagt Mephisto. Auch auf Anfragen der taz reagierten die | |
beiden bis Redaktionsschluss nicht. | |
Was passiere, wenn die Forderungen nicht erfüllt werden? „Der Streik ist | |
unbefristet“, wiederholt Mephisto. Sie wollen weiter hungern, selbst wenn | |
sie im Krankenhaus lande. Ob sie Angst davor habe? Nicken. | |
## Hungerstreik im Kohledorf | |
Sechshundert Kilometer vom Regierungsviertel entfernt ist noch jemand in | |
den Hungerstreik getreten – ebenfalls aufgrund der Folgen der fossilen | |
Energiegewinnung. Der 57-jährige Dokumentarfilmer Uwe Brustmeier aus dem | |
nordrhein-westfälischen Gummersbach hat am Dienstag vor der Kirche des | |
Dorfs Keyenberg mit dem Essen aufgehört. „Durch Fastenzeiten weiß ich, wie | |
das ist“, erzählt er am Telefon. | |
Das Dorf soll seit vielen Jahren dem Braunkohletagebau Garzweiler weichen, | |
mittlerweile steht der Erhalt aber doch wieder im Raum. Trotzdem hat die | |
Erkelenzer Pfarrei Christkönig, die den Grund und Boden schon an RWE | |
verkauft hat, bereits die Glocken aus der noch nicht entwidmeten Kirche | |
entfernt. | |
Das empört den ehrenamtlichen Denkmalschützer Brustmeier, der Keyenberg und | |
die umliegenden Dörfer durch ein früheres Filmprojekt gut kennt. Er will | |
denn auch erst wieder essen, wenn die Glocken wieder in der alten Kirche | |
sind. Weiterhin fordert er, dass das denkmalgeschützte Gebäude zumindest an | |
diesem Sonntag zugänglich gemacht werde, wenn nämlich Tag des offenen | |
Denkmals ist. | |
Noch ist Brustmeier guten Mutes. Er bekomme viel Zuspruch, sagt er. | |
Menschen, die in Keyenberg wohnen oder gewohnt hätten, kämen ihn ständig | |
besuchen. „Das einzig Schwierige ist, dass direkt gegenüber vom Portal der | |
Kirche die beste Bäckerei der Welt geöffnet ist.“ | |
8 Sep 2021 | |
## LINKS | |
[1] http://hungerstreik2021.de/ | |
[2] /Buergerinnen-gestalten-Klimapolitik/!5782872 | |
## AUTOREN | |
Susanne Schwarz | |
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