# taz.de -- Jazz in Berlin: Neue Wege für den Jazz | |
> Seit DDR-Zeiten sorgt Assi Glöde und Jazzkeller 69 dafür, dass in Berlin | |
> gejazzt wird. Jetzt zieht es die Jazzmacher erstmals in den Westen der | |
> Stadt. | |
Bild: Alte Heimat: der Hinweis zum Jazzkeller Treptow, nicht mehr gültig | |
BERLIN taz | Wolf-Peter Glöde, der Mann mit dem schlohweißen Pferdeschwanz, | |
steht in der Mitte, um ihn herum auf der einen Seite der Bundespräsident | |
Frank-Walter Steinmeier und auf der anderen dessen Frau Elke Büdenbender. | |
Das Trio ist auf einem Foto zu sehen, das Glöde an einer Wand in seiner | |
Wohnung in Lichtenberg angebracht hat. Zum Neujahrsempfang des Präsidenten | |
vor drei Jahren ist das Bild entstanden. Der bekennende Jazzfan Steinmeier | |
hatte das Urgestein aus der Szene der Berliner Jazzkonzertveranstalter zu | |
diesem Event eingeladen, als Anerkennung für dessen Verdienste um den Jazz | |
auch über die Grenzen Berlins hinaus. | |
„Ich war schon gebauchpinselt von der Einladung“, sagt Glöde. Eine CD hatte | |
er als Präsent für den Bundespräsidenten auch mit dabei, auf dem Foto hält | |
er sie noch in seinen Händen. Eine CD der Leipziger Big Band Brigade Futur | |
3, mit der er mal zusammengearbeitet hat. „Ich weiß aber nicht, ob der Herr | |
Steinmeier sich diese jemals angehört hat“, sagt er. | |
Der Konzertveranstalter, der in seinem eigentlichen Beruf als Bauingenieur | |
inzwischen in Rente ist, nennt sich selbst „Assi“. Das sei nun mal sein | |
Spitzname, sagt er. Zu dem kam er, als er gerade seinen Wehrdienst bei der | |
NVA in der DDR beendet, mit dem Studium aber noch nicht begonnen hatte. | |
„Ich fühle mich gerade ein bisschen asozial“, habe er damals im Kreis | |
seiner Freunde gesagt. Seitdem ist er eben „Assi“. Er sagt: „Es gibt | |
schlimmere Namen, ich hab mit dem noch richtig Glück gehabt.“ Er denke da | |
auch an einen Kumpel aus vergangenen Zeiten, der gerne mal einen gehoben | |
hat. Den habe man „Spritti“ getauft. | |
Glöde alias Assi zog Anfang der Achtziger aus der damaligen | |
Karl-Marx-Stadt, dem heutigen Chemnitz, nach Berlin. Er war zu der Zeit | |
längst Jazz-Fan und in seiner neuen Heimatstadt dann recht schnell | |
regelmäßiger Besucher des Jazzkellers Treptow, der vom Kreiskulturhaus | |
Treptow unterhalten wurde. Irgendwann stand er gelegentlich selbst am | |
Einlass des Clubs und bald begann er, gemeinsam mit ein paar anderen immer | |
freitags Konzerte zu organisieren. | |
Ein optimaler Tag für Jazz, wie Assi findet: „Die Woche ist vorbei, ab geht | |
es in den Jazzkeller Treptow.“ Die Jazzszene in der damaligen DDR war | |
klein, aber ziemlich vital, auch nach ihrer Blütezeit in den Siebzigern. | |
„Ich habe mich bei meinen Bookings immer am zeitgenössischen Jazz | |
orientiert“, erklärt Assi. Und das gilt letztlich bis heute. | |
Damals hat er all die Größen des DDR-Free-Jazz von Ulrich Gumpert bis Conny | |
Bauer in den Jazzkeller geholt, nach der Wende dann auch die | |
Modern-Jazz-Musiker aus dem Westen. Und bis heute ist klar: wenn Assi ein | |
Konzert organisiert, darf man meist Abenteuerliches aus dem Bereich der | |
musikalisch offenen und frei improvisierenden Szene erwarten. | |
Anfang der Neunziger gründete Assi, der auch im Vorstand der Berliner IG | |
Jazz sitzt, mit ein paar Mitstreitern den Verein Jazzkeller 69, der fortan | |
die Konzerte in dem Treptower Jazzclub organisierte. 2004 war der | |
Jazzkeller-Club dann Geschichte, die freitäglichen Konzerte wanderten | |
weiter in das Aufsturz in Mitte. Den guten Ruf, den dieser heute in der | |
Jazzszene genießt, verdankt er zum Teil auch Assis Verein. | |
Doch während Corona ist irgendetwas passiert in seinem Verhältnis mit dem | |
Club. Assi kann sich auch nicht so genau erklären, was schief gelaufen ist. | |
Jedenfalls will das Aufsturz fortan freitags keine Konzerte mehr von Assi | |
organisiert bekommen. Deswegen gastiert der Jazzkeller 69 fortan im | |
Schöneberger Zig Zag Jazz Club. Zwar nun nicht mehr jede Woche freitags, | |
sondern an den Montagen, Assi glaubt aber, das gehe genauso in Ordnung, | |
auch wenn an den Montagen die Woche immer erst beginnt. Los geht es mit den | |
Konzerten schon am 6. September, mit dem Quartett des Berliner | |
Jazzgitarristen Andreas Willers. | |
Bis heute ist Assi als Veranstalter von Jazzkonzerten mehr oder weniger | |
ehrenamtlich tätig. Sein Verein bekommt regelmäßig Fördergelder, auch in | |
diesem Jahr um die 100.000 Euro. Wegen Corona konnte er die Gelder für weit | |
weniger Konzerte als eigentlich gedacht verwenden. Aber er tut sein Bestes, | |
um diese doch noch unter die Jazzer zu bringen. In Oberschöneweide läuft | |
noch bis 25. September das „Jazzkeller 69“-[1][Freiluftfestival Jazz am | |
Kaisersteg] und dazu organisiert er Konzerte im Industriesalon in | |
Schöneweide, von denen es in diesem Jahr noch ein paar geben wird. | |
Auch wegen der Fördergelder sind Assis Veranstaltungen in der Jazzszene, in | |
der man zu oft unter prekären Bedingungen auftreten muss, beliebt. „Die | |
Musiker wissen: Der Jazzkeller kümmert sich um angemessene Gagen und ein | |
angemessenes Umfeld“, so Assi. | |
Dass er nun im Zig Zag Jazz Club das erste Mal überhaupt auch Konzerte im | |
Westen Berlins organisiert, das wäre ihm kaum aufgefallen: „Dank der Musik | |
bin ich durch und durch internationalisiert. Ich habe gar kein | |
Ost-West-Gefühl mehr.“ | |
5 Sep 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.jazzkeller69.de/ | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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