# taz.de -- Kinotipp der Woche für Berlin: Nahaufnahme Beethoven | |
> Die Reihe „Vom Klang bewegt – Das Kino und Ludwig van Beethoven“ zeigt | |
> die filmische Wirkung des Komponisten und einige besondere Konzertfilme. | |
Bild: Musikalischer Bio-Pic: „Beethoven. Tage aus einem Leben“ (DDR 1976) | |
Alex ist ein Sadist und liebt es, andere zu quälen. Und er ist großer Fan | |
von Ludwig van Beethoven, den er nur den guten alten “Ludwig van“ nennt. | |
Dessen Musik nimmt in Stanley Kubricks Verfilmung von Anthony Burgess Roman | |
“Clockwork Orange“ eine Schlüsselrolle ein. | |
In einer Szene, in der sich Alex für seine nächsten Greueltaten aufputscht, | |
legt er dessen “Neunte Symphonie“ auf, was ihn zum Phantasieren anregt. Er | |
sieht sich selbst als Vampir, hat blasphemische Gedanken, imaginiert vor | |
seinem geistigen Auge die Szene einer Erhängung. Der mächtige Sound von | |
Beethovens Über-Symphonie bringt ihn erst so richtig auf Touren. | |
Später soll in dieser Dystopie der nun inhaftierte Alex von seiner | |
unstillbaren Lust auf das Böse befreit werden. Dubiose Wissenschaftler | |
wenden eine Art exorzistische Brachialtherapie an, bei der Alex so vielen | |
Gewaltbildern ausgesetzt wird, bis ihm schlecht wird. Fortan soll er schon | |
bei dem leisesten Gedanken, anderen etwas Ungutes antun zu möchten, | |
körperlich zusammenbrechen. | |
## Die Therapie funktioniert | |
Da während der Prozedur an Alex im Hintergrund auch Beethovens Musik läuft, | |
ist ein Nebeneffekt: der “Geheilte“ hält das Hören der “Neunten“ fort… | |
einfach nicht mehr aus. Doch zu seinem Glück funktioniert die Therapie, die | |
“Ludovico“ genannt wird, am Ende doch nicht so wie erwünscht. | |
Kubricks effektvoller und exponierter Einsatz von Beethovens Musik zeigt | |
exemplarisch, was sich mit dieser im Medium Film alles anstellen lässt. | |
Auch wenn der große Komponist bereits in Burgess’ Roman eine große Rolle | |
spielt, hätte es für Kubrick auch nahe liegen können, in einem Film, der | |
1971 den Anführer einer Jugendgang aus einem Vorort Londons portraitiert, | |
den aktuellen Sound der rebellischen Jugend zu verwenden. | |
Irgendwas von den Stones vielleicht. Aber dass Alex ausgerechnet Beethoven | |
hört, den Liebling des Großbürgertums und der Elite, gegen deren Regeln er | |
aufbegehrt, lässt diesen noch unberechenbarer erscheinen, dämonischer gar. | |
Gleichzeitig passt Beethoven vielleicht aber auch sowieso, war der doch | |
einer der Lieblingskomponisten der Nazis. | |
Beethovens Musik kann also für alles Mögliche zwischen unfassbar überhöhtem | |
Geniekult bis hin zu den schrecklichsten Ausformungen nationalischten | |
Überschwangs stehen. Sie ist bereits enorm mit Bedeutung aufgeladen, bevor | |
sie in den diversesten Filmen neu kontextualisiert wird, was ihre | |
Verwendung oft so kraftvoll erscheinen lässt. | |
In welch unterschiedlichen Formen Beethovens Musik in Filmen auftaucht, das | |
untersucht nun die Filmreihe “[1][Vom Klang bewegt – Das Kino und Luwig van | |
Beethoven]“, die vom 3. Oktober bis zum 13. November im Berliner Zeughaus | |
Kino gezeigt wird. | |
## Jenseits ausgelutscher Klänge | |
Der Kurator der Reihe, Stephan Ahrens, unternimmt dabei ausdrücklich den | |
Versuch, echte Beethoven-im-Film-Schmankerl anzubieten und mehr zu bieten | |
als Werke, in denen irgendetwas wahrscheinlich Berauschendes zu den | |
ausgelutschten Klängen der “Ode an die Freude“ passiert. | |
Er gräbt steinalte Beethoven-Biopics aus, Experimentalfilme und politisch | |
engagierte Dokumentationen, die darauf setzen, mit Hilfe von Beethovens | |
Musik leichter ein Publikum gewinnen zu können. Gezeigt wird auch, wie | |
immer wieder versucht wurde, die reine Darbietung einer Beethoven-Symphonie | |
filmisch in Szene zu setzen. | |
Hugo Niebeling filmte etwa 1972 Herbert von Karajan dabei, wie dieser die | |
Aufführung der dritten Symphonie Beethovens dirigierte. Er begnügte sich | |
dabei aber nicht damit, das Orchester und seinen Chef bloß abzufilmen. | |
Sondern er arbeitete mit Totalen und Close-Ups und schnitt diese wie eine | |
eigene Komposition zusammen. | |
## Nahaufnahme eines Maestros | |
Man sieht das ganze Orchester, dann einen Trommelwirbel in Nahaufnahme oder | |
ein paar Streicher. Und dazwischen immer wieder die Hände des Maestros am | |
Dirigentenpult, also die magischen Hände, die den ganzen Klankorpus mit | |
ihren Bewegungen zusammenhalten. | |
Von Karajan war über Niebelings Arbeit jedoch überhaupt nicht erfreut. Für | |
seinen Geschmack trat hier zu sehr ein anderer Künstler als er selbst in | |
den Vordergrund. Er bastelte die Aufnahmen, die erst viel später | |
restauriert wurden, komplett um. | |
Auch kritische Auseinandersetzungen mit der teils ins Groteske getriebenen | |
Überhöhung Beethovens gibt es bei “Vom Klang bewegt“. Etwa in Mauricio | |
Kagels Film von 1970, dessen Titel wie eine Hommage an Burgess klingt, | |
nämlich “Ludwig van“. | |
In einer völlig bizarren Szene klemmt sich hier eine Gestalt mit grotesk | |
verrzerrtem Gesicht hinter einen Flügel und spielt Beethovens | |
“Waldstein“-Sonate. Die Pianistin wiederholt sich an irgendeiner Stelle | |
ständig, ihr Spiel kommt nicht mehr vom Fleck. Gleichzeitig wird ihr Haar | |
immer länger, so lang, dass es sich irgendwann über dem Flügel ausbreitet. | |
Man sagt, Kagel, selbst prägender Komponist seiner Zeit, wollte damit der | |
Pianistin Elly Ney eins auswischen, die eine berühmte Beethoven-Interpretin | |
war. Aber auch bekennende Nationalsozalistin. | |
1 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.dhm.de/zeughauskino/filmreihe/vom-klang-bewegt/ | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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