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# taz.de -- Favourites Film Festival in Berlin: Lieblinge des Publikums
> Das Favourites Film Festival in Berlin zeigt nur Werke, die mit
> Zuschauerpreisen bedacht wurden. Und die Menge ist in dem Fall sehr
> geschmackssicher.
Bild: Im privaten Rettungswagen unterwegs: Die Familie Ochoa in Mexiko
Die Grundidee des [1][Favourites Film Festival], das nun zum neunten Mal in
Berlin statt findet, ist so simpel wie bestechend. Gezeigt werden hier
ausschließlich preisgekrönte Werke. Jedoch nicht solche, die von den
sicherlich stets fachkundigen Jurys diverser Filmfestivals mit dem Prädikat
“außerordentlich“ bedacht wurden, sondern von den vielleicht nicht ganz so
cineastisch versierten Besuchern dieser Festivals geliebt und mit
sogenannten Publikumspreisen bedacht wurden.
Das heißt nun freilich nicht, dass man beim Favourites Film Festival eher
massenkompatiblen Mainstream zu erwarten hat. Das Publikum, das auf den
diversen Filmfestivals zugegen ist, mit denen “Favourites“ kooperiert,
scheint vielmehr weitgehend geschmackssicher zu sein. Diesen Eindruck
bekommt man jedenfalls angesichts des hervorragenden Programms, das vom 22.
bis zum 26. September im [2][City Kino Wedding] geboten wird.
Schon der Eröffnungsfilm des Festivals, “A Son“, der Debütfilm von Mehdi …
Barsaoui aus dem Jahr 2019, ist ein außergewöhnlich intensives
Familiendrama, das während des Arabischen Frühlings 2011 in Tunesien
spielt. Ein Paar gerät hier unvermittelt auf einer Urlaubsreise in einen
Konflikt mit Islamisten, die ihr Auto beschießen. Dabei wird ihr Sohn
lebensbedrohlich verletzt. Schnell ist klar: er braucht eine
Lebertransplantation. Fares, der Vater des Jungen, will sich als
Organspender zur Verfügung stellen.
Doch es stellt sich heraus: er ist gar nicht dessen Vater. Dieser Schock
für Fares droht die Familie zu zerreißen, gleichzeitig muss nun aber
schnell der Junge gerettet werden. Während der hektischen Suche nach einer
Ersatzleber spiegelt sich der Familienkonflikt in einer Region, die sich
gerade im Aufruhr befindet, und in einer Gesellschaft, die sich in ihrer
Verhaftung in Traditionen und dem Willen nach Aufbruch noch nicht gefunden
hat.
## Nahost-Drama um Einreise nach Israel
Ebenso mitreißend ist das Nahost-Konflikt-Drama “200 Meters“ aus dem Jahr
2020 von Ameen Nayfeh. Auch in diesem Film will ein Vater um jeden Preis
seinem Sohn zur Hilfe kommen, der gerade im Krankenhaus liegt. Nur liegt
der Sohn in Israel, während der Palästinenser Mustafa im Westjordanland
lebt und seine Papiere, die ihn zur Einreise nach Israel berechtigen,
abgelaufen sind.
Also macht er sich auf, um in einem Schmugglerauto doch noch irgendwie in
den jüdischen Staat zu kommen. Ein wilder Roadtrip durch ein zerrissenes
Land beginnt. Es geht vorbei an jüdischen Siedlern und Checkpoints und
Mustafa wird ständig begleitet von der Angst, dass sein Vorhaben entdeckt
wird. Was die Konsequenz hätte, seine Einreiseberechtigung nach Israel
endgültig und damit vielleicht auch seine Familie zu verlieren.
## Private Rettungswagen in Mexiko
Der wahre Knüller des Favourites Film Festival aber ist der Dokumentarfilm
“Midnight Family“ von Luke Lorentzen (2020). Begleitet wird hier die
Familie Ochoa in Mexico City bei der Arbeit. Und was man hier zu sehen
bekommt, kann man streckenweise eigentlich kaum glauben. Ein Vater und
seine beiden Söhne betreiben in der Metropole ein privates
Rettungswagen-Business. Nachts hängen sie in ihrem Krankentransporter ab
und hören den Polizeifunk. Wenn es dann dort heißt: Schrecklicher Unfall an
dieser oder jener Straßenecke, rasen sie dorthin, um den oder die Verletzte
ins nächste Krankenhaus zu kutschieren.
Straßenrennen mit konkurrierenden Rettungswagen gehören dabei mit zum
Arbeitsalltag. Die Verletzten, die gleichzeitig Kunden sind, haben
Schusswunden, eine gebrochene Nase oder sind aus dem vierten Stock eines
Hauses gefallen. Was halt so vorkommt in einer Stadt wie Mexiko City. Sie
wollen nun begutachtet, notverarztet, auch mal in den Arm genommen und
möglichst schnell zur nächsten Rettungsstelle gefahren werden. Mal haben
sie eine Krankenversicherung, mal nicht, es kommt nicht selten vor, dass
die Ochoas nach getaner Arbeit keinen Peso sehen. Dann gibt es als Imbiss
leider keine Tacos, sondern bloß wieder Thunfisch aus der Dose mit
Majonnaise auf Crackern. Und korrupte Polizeibeamte wollen immer mal wieder
auch noch bestochen werden.
Wer “Midnight Family“ sieht, ist schlagartig ziemlich dankbar, dass
derartige Zustände in Deutschland undenkbar scheinen. Und erlebt
gleichzeitig eine Familie im Überlebenskampf, die bei aller Notwendigkeit,
sich auf zweifelhafte Art und Weise ihren Lebensunterhalt verdienen zu
müssen, ihren Ethos gegenüber Mitmenschen in Not nicht verliert. Die Ochoas
sind als Teil eines kaputten Systems in gewisser Weise auch Helden.
19 Sep 2021
## LINKS
[1] https://www.favouritesfilmfestival.de/
[2] https://citykinowedding.de/
## AUTOREN
Andreas Hartmann
## TAGS
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