| # taz.de -- Kinotipp der Woche: Richtig gute Filme | |
| > Die 15. Ausgabe des Xposed Queer Film Festival Berlin ist in diesem Jahr | |
| > auf acht Kinos und über die ganze Stadt verteilt. Eine Übersicht. | |
| Bild: Coming-of-age-Drama: “52 Tuesdays“ (Regie: Sophie Hyde) | |
| Die Bilder von der Räumung der besetzten Häuser in der Mainzer Straße in | |
| Friedrichshain im November 1990 sind immer noch verstörend. Brennende | |
| Barrikaden, Straßenschlachten, ein überdimensionierter Einsatz der Polizei: | |
| man hat das Gefühl, in Berlin herrschte damals Krieg. | |
| Zu sehen sind diese Zustände in Ausschnitten in der Dokumentation “The | |
| Battle of Tuntenhaus“ von der Regisseurin Juliet Bashore, die diese damals | |
| für den britischen Sender Channel 4 drehte. Gezeigt wird der Film nun | |
| [1][im Rahmen der 15. Ausgabe] des Xposed Queer Film Festivals auf der | |
| großen Leinwand. | |
| Die Dokumentation ist ein wunderbares Zeitdokument über Berlin kurz nach | |
| der Wende und die autonome Hausbesetzerszene von damals. Und vor allem | |
| darüber, wie queere Personen innerhalb dieser Szene versuchten, ihr ganz | |
| eigenes Biotop im sogenannten “Tuntenhaus“ zu gestalten. | |
| Interessant ist, dass Autonome damals überhaupt bereit waren, sich bei | |
| ihren Aktivitäten und im Alltag von einem Fernsehsender filmen zu lassen. | |
| Berliner Autonome heutzutage igeln sich ja lieber ein und versuchen erst | |
| gar nicht mehr, ihre Lebenswelt nach außen zu vermitteln. | |
| Man ist in Bashores Film dabei, wie die Tunten in den Plena über ihre | |
| Vorstellungen von Sozialismus und Kommunismus diskutieren. Wie sie sich zum | |
| gemeinsam Chorsingen treffen und die nächsten Aktionen gegen Nazis | |
| organisieren. Diese, die damals gewalttätige Angriffe gegen die besetzten | |
| Häuser in der Mainzer Straße starteten, sieht man in der Dokumentation auch | |
| und sie kommen sogar zu Wort. | |
| Wobei das, was diese so von sich geben, kaum besser klingt als so mancher | |
| Kommentar von vermeintlich bürgerlichen Anwohnern. Einer von diesen kramt | |
| auf die Frage, wie er denn so zu den Autonomen und den Tunten stehen würde, | |
| eine Pistolenattrappe aus der Tasche – eine klare Antwort. | |
| “The Battle of Tuntenhaus“ handelt von linken Träumen und Utopien und | |
| davon, wie diese zerplatzen. Wer heute durch die Mainzer Straße streift, | |
| findet dort ein paar Cafés für Hipster und keine Tunten mehr, die für ihre | |
| Ideale kämpfen. Gut, dass dieser Film nun auch mal ordentlich im Kino zu | |
| sehen ist, obwohl man ihn sich auch auf Youtube ansehen kann. | |
| Das “Xposed“ ist in diesem Jahr auf acht Kinos über die ganze Stadt | |
| verteilt. [2][Wolf Kino], [3][Moviemento] und [4][Il Kino] sind etwa mit | |
| dabei. Aber auch im Freien können queere Filme gesehen werden, etwa im | |
| [5][Freiluftkino Rehberge] oder im [6][Open Air Kino Mitte]. Und das | |
| Programm ist aufregend bunt. Dokus sind genauso mit dabei wie Kurz- und | |
| Langfilme. | |
| Neues ebenso wie der “Tuntenhaus“-Film aus dem Archiv oder ein Klassiker | |
| wie Lizzie Bordens “Born in Flames“ aus dem Jahr 1983. In diesem | |
| Science-Fiction-Film kämpfen militante Feministinnen gegen das Patriarchat | |
| und zwar nicht nur mit Worten, sondern mit Waffen. Fun Fact: Die | |
| Regisseurin und spätere Oscar-Preisträgerin Kathryn Bigelow ist in dem | |
| Streifen in einer Nebenrolle zu sehen. | |
| Das Schöne beim “Xposed“-Filmfestival ist, dass man auf das Queere Wert | |
| legt, vor allem aber darauf, einfach richtig gute Filme zeigen zu wollen, | |
| bei denen es einem irgendwann auch mal egal sein darf, ob es da nun um | |
| etwas explizit Queeres geht oder auch nicht. | |
| So ein Film ist beispielsweise das australische Coming-of-age-Drama “52 | |
| Tuesdays“ der Regisseurin Sophie Hyde. In diesem bekommt die 16-jährige | |
| Billie eines Tages von ihrer Mutter Jane gesagt, dass diese nun eine | |
| geschlechtsangleichende Maßnahme vornehmen und sich in Zukunft James nennen | |
| werde. Ab sofort soll Billie deswegen bei ihrem Vater leben, um von dem | |
| Wandlungsprozess ihrer Mutter weniger direkt betroffen zu sein. | |
| Nur noch wöchentlich an den Dienstagen werden die beiden sich fortan sehen. | |
| Und so hangelt man sich als Zuschauer wie Billie von einem Dienstag zum | |
| nächsten in diesem wunderbar einfühlsamen Film. Man sieht, wie Jane von | |
| Woche zu Woche immer mehr zu James wird. Wie sich ihre Stimme verändert, | |
| ihre Frisur, ihre Körperhaltung, ihr Selbstbewusstsein. Und auch welche | |
| Krisen Jane alias James durchlebt. | |
| Gleichzeitig aber ist Billie auch immens mit sich selbst beschäftigt. Sie | |
| entdeckt ihre eigene Sexualität, verliert sich in einer vertrackten | |
| Dreiecksbeziehung, muss ihr Verhältnis zu ihrem Vater neu ausloten und das | |
| mit ihrer Mutter natürlich erst recht. Am Ende sind wirklich alle froh, | |
| dass die Ausnahmesituation für alle Beteiligten und die 52 Dienstage | |
| endlich vorbei sind. | |
| 7 Aug 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.xposedfilmfestival.com/2021/ | |
| [2] https://wolfberlin.org/ | |
| [3] https://www.moviemento.de/ | |
| [4] https://ilkino.de/ | |
| [5] http://www.freiluftkino-rehberge.de/ | |
| [6] https://www.kino-central.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Hartmann | |
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