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# taz.de -- Kinotipp der Woche: Kleine Filme, ganz groß
> Im Filmland Schweiz gibt es jede Menge zu entdecken, wie die dritte
> Ausgabe des Berliner Festivals Film:Schweiz wieder einmal beweist.
Bild: Der Büezer („Der Arbeiter“), Schweiz 2019, R: Hans Kaufmann
Merke: niemals nach dem Baden die in der Badewanne zurückgebliebenen Haare
durch den Abfluss stopfen. Denn diese können die Rohre verstopfen. Oder,
viel schlimmer, man kann beim Wegfummeln der Haare mit einem Finger im
Abfluss hängen bleiben. Und dann droht einem ein ähnlicher Horror wie Lara
Stoll in Cyrill Oberholzers Film “[1][Das Höllentor von Zürich]“ aus dem
Jahr 2019.
Die Schweizer Musikerin und Poetry-Slammerin, die sich in diesem Trash-Film
selbst spielt, findet sich genau in dieser erst peinlichen, dann
unangenehmen und irgendwann dramatischen Situation wieder. Sie kriegt ihren
Finger einfach nicht mehr aus dem Abfluss und macht eine Art
Nahtoderfahrung oder auch psychedelischen Trip, man weiß das nie ganz genau
in diesem grellbunten Schabernack, der mit praktisch keinem Budget gedreht
wurde und auch genau so aussieht.
Psychothriller, Horrorfilm, Kömodie und ein Riesenquatsch: “[2][Das
Höllentor von Zürich]“ ist alles auf einmal. Und ein Beweis dafür, dass aus
der als so bieder geltenden Schweiz auch völlig unerwartbare Filme kommen
können.
Das Land der Berge, Banken und Blochers als vielfältige Filmnation zu
präsentieren, [3][darum geht es dem Festival Film:Schweiz], das nun zum
dritten Mal statt findet, vom 29. Juli bis zum 4. August im Berliner Kino
Brotfabrik. Zu sehen sind hier neue und alte Filme, Dokumentationen genauso
wie Kurzfilme. Und einer der wenigen Filme, die der große Schauspieler
Maximilian Schell als Regisseur verantwortet hat: “[4][Der Richter und sein
Henker]“ von 1975 nach der berühmten Romanvorlage von Friedrich Dürrenmatt.
## Eine Brise Hollywood-Glamour
Der Schweizer Schriftsteller hat sogar einen Kurzauftritt in dem Film, in
dem außerdem internationale Stars wie Donald Sutherland und Jacqueline
Bisset auftreten und dem Film aus der Schweiz eine zusätzliche Brise
Hollywood-Glamour verleihen.
Die Filme des Festivals zeichnen kein klischeehaftes Bild eines idyllischen
Landes. Sondern beschäftigen sich mit Themen wie etwa Migration und
Zukunftsangst bei Jugendlichen. Und dass schon in den Fünfzigern aus der
Schweiz mehr kam als bloß Heimat- und “Heidi“-Filme, zeigt ein weiteres
Werk nach einem Dürrenmatt-Roman: “[5][Es geschah am hellichten Tag]“ von
1958 mit Gert Fröbe. Der Schwarz-Weiß-Streifen von Ladislao Vajda ist ein
echter Film noir, auch wenn er nicht in Los Angeles oder Paris, sondern in
einem schweizer Kaff namens Mägendorf spielt.
Dass es so einiges im Filmland Schweiz zu entdecken gibt, beweist auch
gleich der Eröffnungsfilm des Festivals: “[6][Der Büezer]“ des jungen
Regisseurs Hans Kaufmann, der bei der Vorführung in der Brotfabrik auch
zugegen sein wird.
## Der Mann vom Bau
In “Der Büezer“, was auf Schweizerdeutsch so viel heißt wie “Der Arbeit…
verliebt sich der Sanitärtechniker Sigi in Hannah, die einer Freikirche
angehört und die Sache mit ihrem Glauben ziemlich genau nimmt. Sigi ist ein
sensibler Typ, der Verständnis dafür aufbringt, dass es Hannah mit ihm
langsam angehen möchte. Doch seine eher bodenständigen Kollegen bei der
Arbeit reichen ihm diverse Bauarbeiter-Sprüche rein und versuchen ihm klar
zu machen, dass er endlich mal rangehen müsse, sonst sei er ein echtes
Weichei.
Sigi gerät zunehmend in einen Identitätskonflikt, der freilich auch daher
rührt, dass er sich gegenüber Hannah als jemand ausgibt, der in einer
Werbeagentur arbeitet. Denn er hat gelernt: als Mann vom Bau gilt man bei
manchen Frauen als Unterschichtler, was diese nicht so attraktiv finden.
Als Hannah dann zufällig Sigis wahren Beruf herausbekommt, wendet sie sich
auch prompt von ihm ab und beendet den Kontakt.
## Vom Sozialdrama zum Rachefilm
Was bei Sigi zu einer gewaltigen Krise führt und seinen Wunsch nährt, mit
möglichst großem Knall gegen allerlei Ungerechtigkeiten auf dieser Welt
vorzugehen. Aus dem Sozialdrama “Der Büezer“ entwickelt sich nun langsam
ein Rachefilm. Und etwas, das einem echten Remake von Martin Scorseses
“Taxi Driver“ ziemlich nahe kommt.
Wie der von Robert de Niro gespielte Travis Bickle im New York der
Siebziger will auch Sigi mit der gesellschaftlichen Verwahrlosung um ihn
herum im Zürich von heute aufräumen, wofür ihm selbst das Mittel der
Selbstjustiz recht ist.
Der Sprung vom einfühlsamen Arbeiter-Film hin zum Krimi mit Scorsese-Touch
kommt ziemlich unvermittelt und die “Taxi Driver“-Zitate wirken in ihrer
Deutlichkeit fast schon grotesk. Aber letztendlich bekommt der Film, der
sich echt etwas traut, diesen Genre-Spagat hin. “Der Büezer“ ist ein
kleiner Film aus der Schweiz, der ganz groß ist.
24 Jul 2021
## LINKS
[1] http://filmschweiz.com/das-hoellentor-von-zuerich/
[2] http://filmschweiz.com/das-hoellentor-von-zuerich/
[3] http://filmschweiz.com/
[4] http://filmschweiz.com/der-richter-und-sein-henker/
[5] http://filmschweiz.com/es-geschah-am-hellichten-tag/
[6] http://filmschweiz.com/der-bueezer/
## AUTOREN
Andreas Hartmann
## TAGS
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Schwerpunkt Rassismus
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