# taz.de -- „Professional People“ von Fehler Kuti: All Ausländer Go To Hea… | |
> Fehler Kutis Album „Professional People“ mischt Jazz, Soul und Postpunk. | |
> Er besingt Herkunft und Klasse – und denkt darüber in einem Buch nach. | |
Bild: Fehler Kuti, hier mit seiner Band Die Polizei | |
Achtung! „Ihr werdet diese Musik nicht auf eurer hippen Post-Pandemie-Party | |
spielen! Sie wird nicht gut ankommen bei euren woken Freunden.“ So warnt | |
Fehler Kuti im Begleitschreiben vor dem Genuss seines neuen Albums. Dabei | |
ist er selber woke. „Wir sind woke Yuppies“, sagt er im Gespräch. | |
Aufklärung folgt. | |
Es ist nicht einfach mit [1][Fehler Kuti], eher mehrfach. Unter seinem | |
Geburtsnamen Julian Warner hat er gerade das Buch „After Europe – Beiträge | |
zur dekolonialen Kritik“ veröffentlicht, als Fehler Kuti das Album | |
„Professional People“. Das sei keineswegs der „Sound der Dekolonisierung�… | |
den ein Kritiker beim Fehler-Kuti-Debütalbum gehört haben wollte. Und keine | |
Feier der Black-Lives-Matter-Kämpfe. | |
Aber was dann? Man könnte jetzt Entwarnung geben. Ja, die Musik | |
funktioniere auch ohne Überbau, ohne die politischen (Sub-)Texte, ohne das | |
Buch zum Album. Aber stimmt das und wenn ja, wäre das gut? Nein, die Musik | |
von Fehler Kuti ist nicht zu haben ohne die Begleitmusik und je mehr du | |
davon kapierst, desto größer der Genuss. | |
## Einflussangstfreier Typ | |
Aber vielleicht doch noch ein Quantum Trost im Algorithmen-Modus: If you | |
like Barry White, Neu!, Shuggie Otis, Fehlfarben, William De Vaughn und | |
Helge Schneider, und if you dir vorstellen kannst, dass ein | |
einflussangstfreier Typ wie Fehler Kuti mit einer versierten Band aus | |
[2][der Münchner Notwist-Blase] einen derart gemischten Referenzsalat in | |
einen suggestiven Soundvoodoo verwandeln kann, dann you might like | |
„Professional People“. Hilfreich auch: keine Abwehr gegen, sondern ein | |
Faible für Denglisch bei Songtiteln wie: „All Ausländer Go To Heaven“, od… | |
„The Price Of Teilhabe“. | |
Denglisch ist auch Julian Warner selbst. Aufgewachsen am Niederrhein als | |
Sohn britischer Soldat:innen, deren Vorfahren aus den ehemaligen Kolonien | |
kamen. In „After Europe“ beschreibt er eine Identitätsfindung, die andere | |
ihm abnahmen: „Als ich 1985 in Deutschland zur Welt kam, war ich ein | |
Ausländer, 2005 wurde ich zum Mitbürger mit Migrationshintergrund, 2010 | |
dann postmigrantisch, 2012 Schwarz, jetzt bin ich wohl BIPoC. Wie viele | |
andere auch unterziehe ich mich verschiedensten kulturinstitutionellen und | |
polizeilichen Anrufungen und Prüfungen.“ | |
Polizeiliche Anrufungen in Gestalt von Racial Profiling erlebt Warner | |
reichlich und thematisiert sie auf dem Fehler-Kuti-Debüt mit dem | |
sprechenden Titel „Schland is the place for me“. Der Nachfolger | |
„Professional People“ beginnt mit einem Blaskapellen-Mantra. Seine | |
bühnengeschulte Stimme – ja, Theater macht er auch – croont: „One, two, | |
three, four, five, six, seven“, aus dem Hintergrund drängt ein Chor aus | |
Uhhhs nach vorne, dann reimt sich auf seven: „All Ausländer Go To Heaven“. | |
Denglisch geht’s weiter mit einem DAF-artigen Stakkato, zu dem die | |
[3][Vocoder-verfremdete Stimme] 41-mal den Songtitel skandiert: „Deutsche | |
Pässe, Deutsche Pässe, Deutsche Pässe …“ bevor sie ins Englische wechsel… | |
„Your brother wants one (einen deutschen Pass), your sister got one, but it | |
won’t save them if there’s no such thing as society“. | |
Gesellschaft gibt es nicht! Mit Margaret Thatchers Evergreen aus dem | |
Katechismus des Neoliberalismus erklärt Fehler Kuti die beschränkte | |
Schutzfunktion eines Personalausweises für den Fall, dass seine | |
Besitzer:in nicht so aussieht, wie sich schlagkräftige Vollstrecker des | |
urdeutschen Volkswillens das vorstellen. Dass der deutsche Pass nicht vor | |
Ärger schützt, das wusste das Heidelberger HipHop-Trio Advanced Chemistry | |
schon 1992. | |
Der Ausweis hat mittlerweile eine neue Farbe: „Ich habe einen grünen Pass | |
mit ’nem goldenen Adler drauf Dies bedingt, dass ich mir oft die Haare rauf | |
/ Jetzt mal ohne Spaß: Arger hab ich zuhauf / Obwohl ich langsam Auto fahre | |
und niemals sauf“, rappten damals Advanced Chemistry, Deutsche mit | |
Vorfahren aus Ghana, Haiti und Italien, heute ist ihr Song „Fremd im | |
eigenen Land“ Unterrichtsstoff in Gymnasien. | |
Solche Geschichten laufen bei Fehler Kuti im Hintergrund mit. Am Horizont | |
grüßt Brechts episches Theater, auch Die Goldenen Zitronen und ihre Songs, | |
wie etwa „80 Millionen Hooligans“. Aber Warner wehrt sich nicht nur gegen | |
polizeiliche Anrufungen, sondern auch gegen die gutgemeinte Reduzierung | |
seiner Künstlerpersona auf einen Antirassismus, der ihm nach dieser | |
Zuschreibungslogik in Haut und Haar eingebrannt ist. Und gegen linke | |
Afroamerikanophilie. | |
## Deutsche Rezeption von Black Lives Matter | |
Die sieht Warner bei der deutschen Rezeption von Black Lives Matter und | |
fragt nach dem Anschlag von Hanau: „Warum bringt unsere Gesellschaft den | |
eigenen Mitbürger*innen mit kurdischen, türkischen, bulgarischen, | |
bosnischen, afghanischen Migrationshintergründen oder Angehörigen der Roma | |
und Sinti nicht die gleiche Empathie und Solidarität entgegen?“ Die | |
Diagnose Zweiklassensolidarität klingt plausibel: Hier die funky Black | |
Folks, dort die Popfernen aus dem Osten. | |
Aber ist Warners Frage nicht auch wohlfeil? Ist nicht gerade eine | |
popistische Afroamerikanophilie die Triebfeder von Black Lives Matter? Wenn | |
nun der BIPoC Warner fragt, warum Leuten mit kurdischen, türkischen, | |
bosnischen Migrationshintergründen weniger Empathie erfahren, ignoriert er | |
da nicht seine eigene Popsozialisation? Der Weg zum neuen Fehler-Kuti-Album | |
ist gepflastert mit Namen wie Barry White, Neu!, Shuggie Otis, Fehlfarben | |
usw., für kurdisch, türkisch und afghanisch ist im deutschen Pop-Medienraum | |
kein Platz. | |
Also, Julian Warner? „Wenn ich darauf hinweise, dass die | |
Black-Lives-Matter-Bewegung in Deutschland über Afroamerikanophilie | |
funktioniert, meine ich nicht, dass wir uns dem türkischen, syrischen oder | |
rumänischen Liedgut annähern müssen. Im Gegenteil. Es gibt gute Gründe für | |
Afroamerikanophilie. In Deutschland ist Pop der kulturelle Ausweg aus dem | |
Völkischen und aus dem Essenzialismus. Aber anscheinend kann man diese | |
Befreiung des biodeutschen Selbst nur bewerkstelligen über die | |
Essenzialisierung eines anderen, in diesem Fall: Afroamerikaner:innen | |
und ihr Leiden.“ | |
## Blut auf dem Gemüse | |
Also kontert Fehler Kuti die Verklärung von Race mit der Politisierung von | |
Class. Er besingt osteuropäische Tagelöhner, deren Blut am Lieblingsgemüse | |
des deutschen Wohlstandsbürgertums klebt: „In Every City, In Every Aldi The | |
Blood Of My Brothers And Sisters Taints Your Spargel“. „Proposal for | |
worker’s anthem at DMU2 Daglfing“ führt uns in ein Logistikzentrum von | |
Amazon im Münchner Osten, vor dem sich Lieferwagen der Subunternehmer | |
stauen, was Alteingesessenen missfällt. „Subunternehmer sind das unterste | |
Glied in der Kette“, sagt Warner und widmet sich den unbesungenen Brothers | |
and Sisters der modernen Arbeitswelt, ohne die kein Warenstrom fließt. | |
Die Falle, dass hier auf die paternalistische Tour neue revolutionäre | |
Subjekte verklärt werden, umschifft der 35-Jährige, indem er seine | |
musikalischen Freiheiten ausschöpft, groovy V-Effekte einbaut und auf | |
Brecht vertraut: „Glotzt nicht so romantisch!“ Wobei sein Versuch, dem | |
Horror von Hanau mit narrativer Empathie zu begegnen, nicht ohne projektive | |
Romantisierung auskommt. „Automobile Love“ mit seiner | |
kastriertephilosophenhaften Tribal Goth Mood ist „der Versuch, ich sage | |
jetzt mal ganz blöd, die postmigrantischen BMW-3er-Prolls in Hanau zu | |
besingen, die weich zu zeichnen, also diesen kanakischen Körper in so ein, | |
na ja, Begehren zu ziehen oder eine Empathie“, sagt Warner, sich | |
rantastend. | |
Rantasten ist ein Modus Vivendi im Warner-Sprech (und mitunter seiner | |
Musik), tastend kommen auch steile Thesen besser an: „Ich wollte über diese | |
neue Bourgeoisie of Color sprechen, der ich selbst angehöre.“ Die | |
„Professional People“, das sind „wir People of Color, die wir jetzt Einga… | |
in die Institutionen erhalten haben. Wir sind woke Yuppies.“ | |
Julian Warner zählt sich zur prekären Elite: Kulturell, politisch, | |
ästhetisch versierte Leute, die sich von Lehrauftrag zu Zeitvertrag zu | |
Kurator:innenjob hangeln und dabei auch mal von ihrer migrantischen | |
Biografie profitieren. „Was wir in Deutschland Dekolonisierung oder | |
Diversity nennen, ist jetzt ein Markt geworden. So stabilisieren diese | |
Inhalte nur die Verhältnisse. Wenn ich singe,If I ever enter history, what | |
will the west have in store for me?', dann denke ich an meine Eltern, die | |
aus den Kolonien in den Westen kamen. Das ist für mich die Essenz des | |
bürgerlichen POCs. Ich will damit einen Widerspruch aufzeigen.“ | |
Nicht der einzige. „Natürlich ist es fortschrittlich, für die Teilhabe von | |
rassistisch marginalisierten Menschen einzutreten. Aber wenn diese Menschen | |
Teil der Nation werden, verändern sich nicht die Verhältnisse. Der | |
britische Premierminister Boris Johnson hat ein ultradiverses Kabinett, | |
aber das macht rechte Politik. Und CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet war | |
der erste deutsche Integrationsminister. Also gibt es einen konservativen | |
Antirassismus oder aus der Sicht der People of Color gesagt: Es gibt ein | |
Begehren, auch privilegiert zu sein, und das ist was anderes als ein | |
Begehren, die Verhältnisse zu verändern.“ Fehler Kuti, King of | |
Widersprüche. | |
22 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Klaus Walter | |
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