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# taz.de -- Debütalbum von Rapper Kay Shanghai: Der Solitär hat es schwer
> Auf seinem Album „Haram“ zeigt sich Kay Shanghai als einer der ersten
> offen schwulen deutschsprachigen Rapper. Es ist Feier und Schmerz
> zugleich.
Bild: Der Rapper Kay Shanghai erzählt ohne Attitüde
„[1][John Waters] hat mal gesagt, er dankt dem lieben Gott auf Knien, dass
er schwul und katholisch ist“, sagt Kay Shanghai, „so wird Sex immer
dreckig für ihn sein.“ Shanghai muss es wissen. Denn er ist selbst im
katholisch geprägten Westdeutschland aufgewachsen, in Mülheim an der Ruhr
besuchte er ein katholisches Gymnasium für Knaben. Das hat er nach der
zwölften Klasse ohne Abschluss geschmissen, sich dann als Schauspieler
probiert und nachdem ihm ein Theaterregisseur eine große Karriere
vorhergesagt hatte, seine wahre Berufung gefunden: als Clubbetreiber.
Vor ziemlich genau 18 Jahren hat Kay das „Hotel Shanghai“ in der Innenstadt
von Essen gegründet. Ursprünglich war es in den achtziger Jahren eine jener
New-Wave-Discos gewesen, wie es sie damals im ganzen Ruhrgebiet gegeben
hat.
Mittlerweile ist es unter der Regie von Kay Shanghai ein Solitär in der
Clublandlandschaft des Reviers: ein Laden, der von Electroclash über Indie
hin zu [2][Cloud Rap] vielen Stilen eine Heimat geboten hat und der dabei
immer eine Art von Charme-Signatur besaß: ein wenig nerdy, ein wenig flirty
und mit dem nötigen Gespür, dass eine Clubnacht ohne Trash nicht viel
taugt.
Und Kay Shanghai war immer mittendrin. Im Club verbrachte er seine Nächte
und nahm frühmorgens auch manchmal selbst das Mikrofon in die Hand. Etwa,
als die versammelte Kreativwirtschaft des Ruhrgebiets sich 2007 an der
Aussicht erfreute, endlich die abgehalfterte Loveparade in den Pott zu
holen. Aber damals widersprach Kay Shanghai ihnen öffentlich: Man solle
doch besser die Lokalszene fördern statt solcher fragwürdiger Großevents.
Den [3][Größenwahn der Ruhrgebiets-Kulturfunktionäre bezahlten 2010 in
Duisburg bei der Massenpanik während der Loveparade 21 Menschen mit ihrem
Leben]. Das Hotel Shanghai gibt es immer noch, auch wenn die Pandemie den
Club momentan in eine Zwangspause geschickt hat. Dass Kay Shanghai schwul
war, war in dieser ganzen Zeit kein großes Geheimnis. Aber irgendwie war es
auch nie so richtig wichtig.
## Wie authentisch ist Kay Shanghai?
Jetzt, mit Mitte 40, hat Shanghai sein offizielles Coming-Out: „Ich bin der
erste offen schwule deutschsprachige Rapper Deutschlands.“ Das stimmt zwar,
aber nur so halb. Denn schon im Sommer 2021 hatte sich der Battle-Rapper
Tobi High als schwul geoutet, aber in seinen Battle-Raps spielt es keine
große Rolle. Der Frankfurter Rapper Ash M.O. ist ihm sogar noch ein Jahr
zuvorgekommen, rappt aber auf Englisch.
Und dann ist da noch Juicy Gay. Der kokettierte schon vor einem halben
Jahrzehnt damit, der erste schwule Rapper zu sein, und rappte über seine
spritzige Wasserpistole. Aber letztlich entpuppte sich Juicy Gay – wie
viele Rapper – als Kunstfigur. Wie authentisch ist dann Kay Shanghai? „Es
stimmt nicht immer alles hundertprozentig, was in meinen Songs vorkommt“,
sagt er. „Aber das ist dem Reim geschuldet. Ich muss nichts erfinden oder
chiffrieren. Eigentlich öffne ich mich nur.“
Das Tagebuch dieser Öffnung heißt „Haram“: zehn Stücke, die von Kays
schwulem Leben erzählen – vom Anbandeln auf der Clubtoilette bis zum
glücklichen Frühstück zu zweit. Selbst eine Hommage an die doppeldeutigen
Anmachsprüche schwuler Datingportale ist dabei und unterschreitet das
Niveau ihrer Wortspiele problemlos. Das alles erzählt Kay Shanghai ohne
Attitüde – mit wem sollte er sich auch messen wollen?
„Wo grad noch Kuscheltiere waren / Da liegst jetzt du in meinem Bett“,
rappt er auf „Vanilla Love“ und bezeichnet sich kurz danach als Schmusebär.
„Ich weiß, welche Kapitel in meiner Vergangenheit die Songs betreffen. Ich
habe aus Menschen Songs gemacht, so dass ich besser damit abschließen
kann“, sagt Kay Shanghai. „Das Album ist sehr gefühlvoll, aber dies wird
oft durch den Sound gebrochen.“
## Was fehlt, ist die Geschichte queerer Dancemusic
Verantwortlich für diesen Sound sind die Produzenten der Essener
Proll-HipHop-Crew 257ers. „Für die ist das eine Gegenwelt zu dem, was sie
sonst produzieren“, meint Kay Shanghai. Für ihn haben sich seine
Produzenten einmal durch die Stilvielfalt von HipHop gebastelt: von
prolligem Electro-Pop bis zu verstolperten Garage-Rhythmen. Was fehlt, ist
die Geschichte queerer Dancemusic – Ballroom oder House –, mit der schwule
Rapper wie Le1f oder Lil Nas X so gerne flirten.
Dafür hat sich Kay Shanghai in die schlierenziehenden Synthesizer und 808s
von Trap verliebt. Aber wo diese Sounds in Atlanta von Drogenkicks
erzählen, rappt Shanghai auf „Haram“ mit tief gepitchter Stimme: „Komm l…
uns einen spliffen / Vielleicht lass ich mich dann ficken“ – und
signifiziert damit doch einen emotionalen Tiefpunkt. „Das ist keine
Provokation. ‚Haram‘ ist ein sehr persönlicher Song“, erzählt er. „Es…
um Begehren und Ausgrenzung, um geächtete Liebe.“
In Momenten wie diesen wird deutlich, was Kay Shanghai, der spät berufene
Schulabbruchs-Rapper aus Essen, und die flamboyant perfekte Performance
eines Lil Nas X gemeinsam haben: Wenn sie über ihre Sexualität rappen, dann
ist es Feier und Schmerz zugleich.
„Auch wenn man schwul ist, muss man kein Abziehbild, keine Karikatur sein“,
sagt Kay Shanghai und erzählt davon, wie er in der Bochumer Innenstadt
gemeinsam mit seinem Freund homophobe Sprüche gedrückt bekommen hat. „Ich
drehe mich dann um und fronte das. Aber ich will nicht, dass Kids mit
dieser Angst groß werden und sich verstecken müssen. Wenn ich dafür ein
Vorbild sein kann, dann wäre mir das eine Ehre.“
2 Jan 2022
## LINKS
[1] /Filmemacher-John-Waters-wird-75-Jahre/!5762375
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[3] /Verteidiger-ueber-Loveparade-Prozess/!5676939
## AUTOREN
Christian Werthschulte
## TAGS
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