# taz.de -- Rapperin Pilz aus Lübeck: Die Rollenspielerin | |
> Die Rapperin Pilz übt Systemkritik in aggressiven, oft grenzwertigen | |
> Reimen. Die taz begibt sich auf die Suche nach der Person hinter der | |
> Kunstfigur. | |
Bild: Testet Grenzen: die Lübecker Rapperin Pilz | |
Lübeck taz | Die junge Frau schießt ihre Reime ab wie ein Salvenfeuer, | |
zielgenau und entschieden, mit einem Druck in der Stimme, als hätte sie in | |
sich einen Vulkan aus Wut, der jeden Moment ausbrechen möchte: „Para Para, | |
Paradies, Paranoia, Anarchie. Wer sind hier die Bösen, wenn es knallt? Mehr | |
Armut, mehr Gewalt“. | |
Das Konzert in der Bar Blauer Engel ist ein Heimspiel für die Rapperin | |
Pilz: Hier, in der Lübecker Clemensstraße, trifft sich die alternative | |
Szene, hier ist ihre Crowd. Eine Bandkollegin arbeitet gleich gegenüber, in | |
einem kollektiv betriebenen Hostel. Nach dem Konzert wirbt Pilz für Spenden | |
an ein selbst verwaltetes Projekt in Gründung. Für sich selbst wirbt sie | |
nicht, das übernimmt Rapperkollege Nikolai; Pilz hat an diesem Abend weder | |
CDs noch irgendwelches Promo-Material dabei. | |
Dabei muss sie sich nicht verstecken. Als „beste Rapperin Deutschlands“ | |
bezeichnete sie gleich zu Beginn ihrer Karriere, 2013, der | |
deutsch-libanesische Musiker Saad. Im Februar dieses Jahres hat sie eine | |
neue Platte herausgebracht, ihr viertes Album; der Titel „Straßenköter“ | |
spielt auf ihren eigenen Hund an; dazu kommen etliche Singles und ein | |
Mixtape. | |
In ihrer Stimme liegt immer dieses Nachdrückliche, Getriebene, wenn sie | |
schnell, in Reimen und auf den Punkt artikuliert. Der Sound dazu changiert | |
zwischen minimalistisch eingesetzten Psy-Trance-Elementen, satten | |
Instrumentals und teils ironisch eingesetzten orientalistischen Klängen. | |
„Wir kommen mit gezocktem Mietwagen und rosaroten Skimasken, wir wollen | |
Zwietracht säen“: Inhaltlich macht Pilz, eigentlich Jennifer Wobusa, keine | |
Kompromisse. In „Made in China“ etwa kritisiert sie wirtschaftliche | |
Ausbeutung. Und in „161“ heißt es: „Ich will keine Blumen pflücken, ich | |
will Politiker töten und die Schulsysteme stürzen. Polemisch politisch, ich | |
will, dass wir die Exekutive gesetzlich verbieten“, und weiter: „Ich werfe | |
nur den Meilenstein und wähle die 161“ – „161“ steht für die Buchstab… | |
„AFA“, „Antifaschistische Aktion“. Dieser Text könnte ein Grund dafür… | |
dass sie behauptet, dass sie vom Verfassungsschutz beobachtet wird. | |
Andererseits trat Pilz auch am Rande des G20-Gipfels 2017 in Hamburg auf. | |
Da wirkt es schon fast versöhnlich, wenn sie in „Komm mit“ über das Leben | |
am Rand der Gesellschaft erzählt: „Schäm’ dich nicht, wenn du mit Pfandbon | |
zahlst, da, wo wir leben, ist das ganz normal“. Im dazugehörigen [1][Video] | |
malen Sprayer ein brennendes Polizeiauto auf eine – ganz legale – | |
Graffiti-Wand am Ufer des Lübecker Kanals. | |
Wenn sie in „Verbrannte Erde“ rappt, sie hinterlasse ebensolche, und das | |
mit einer auf einem Kopf zerschlagenen Flasche untermauert, unterläuft sie | |
weibliche Stereotypen von Friedfertigkeit. Sie fordert für sich das Recht | |
ein, Wut zu zeigen, auch und gerade als Frau, als überzeugte Veganerin und | |
– Christin. Ja, Pilz ist links und wütend, aber sie lässt sich darauf auch | |
nicht reduzieren. | |
Einer von Pilz’ weiteren Künstlerinnennamen ist „Mata Hari“, ja, nach der | |
niederländischen Tänzerin und Doppelagentin im Ersten Weltkrieg. Das | |
gleichnamige Lied, in dem sie über ihre Rolle polemisiert, ist persönlicher | |
und nachdenklicher als die meisten ihrer Tracks: „Ich bin nicht gern | |
gesehen – gern geschehen, nur die inneren Werte zählen. (....) Wenn du was | |
verändern willst, änder’ dich.“ | |
Unter [2][Rappern] ist „Realness“ wichtig, also die Frage: Wie echt ist der | |
Mensch hinter der Künstlerperson, dem Image? Wie passt in Pilz’ Fall die | |
immer wieder ausgestellte Wut zum christlichen Glauben mit seinem Anspruch | |
der Nächstenliebe? Und wie „real“ ist der aggressive Gehalt der Tracks | |
überhaupt? Ein Reporter kassierte auf diese Frage einmal ein lachendes, | |
unbestimmtes, aber doch irgendwie eindeutiges „Fick dich!“ | |
Die Person Pilz, die in die Konfrontation geht, ist zum Teil | |
[3][Kunstfigur], so viel ist zu erfahren. Die Trennung beider Rollen ist | |
der Rapperin wichtig. Und das offenbar sehr: In akuter Ermangelung anderer | |
Kontaktdaten bat ich sie vor ihrer Tür um einen Gesprächstermin – und | |
überschritt damit offenbar ihre Grenze. Die Folge: Kein Termin, keine | |
Antworten auf neuerliche Anfragen. Jahrelang hatte Pilz sich bei Auftritten | |
hinter einer Schafsmaske verborgen. Sie begründete das mit einem damaligen | |
Job im öffentlichen Dienst, den sie, wie sie sagte, sonst verloren hätte. | |
Dann legte sie die Maske ab und tat etwas, das ihr [4][echte Morddrohungen] | |
einbrachte: 2017 trat Pilz bei einem Rap-Battle in Wiesbaden gegen den | |
Rapper Nedal Nib an, der mit Terroristen-Stereotypen gespielt hatte – sein | |
Bühnenname ergibt rückwärts gesprochen „Bin Laden“. Während des Wort-Du… | |
zog sich Pilz über die Silberkette mit dem Kreuz einen Hijab und rappte: | |
„Darf ich deine muslimische Frau sein? Ich trag’ dir auch die Aldi-Tüten | |
ins Haus rein.“ Sie könnten dann, rappt sie weiter, gemeinsam in die | |
Moschee gehen und auf dem Gebetsteppich Sex haben; Pilz wählt dafür | |
deutlich drastischere Worte. | |
Das Battle-Video ging viral und brachte Pilz einen veritablen Shitstorm mit | |
tausenden Nachrichten voller Beleidigungen und Todesdrohungen ein. Die | |
Verfasser hatten die Performance anti-religiös und anti-muslimisch gelesen. | |
„Rassistischer gehts nicht!“, befand der Blogger Bzet; einer seiner | |
Follower kommentierte: „Du kannst über alles lachen, wenn die Thematik nur | |
nicht dich betrifft.“ | |
Pilz selbst erklärte, sie habe frauenfeindliche Aussagen Nedal Nibs | |
kritisieren wollen. Wie weit entfernt sie von rechten Ideologien sei, zeige | |
schon ihr Jahre langes Engagement gegen Ausländerfeindlichkeit und die AfD. | |
Tatsächlich hat sie in Lübeck wiederholt gegen rechts plakatiert und | |
fremdenfeindliche Schmierereien entfernt. | |
Laut dem Magazin Vice haben Rap-Battles gesellschaftliche Ventilfunktion, | |
sind „lyrischer Kampfsport, in dem es darum geht, den Gegner auf originelle | |
Art und Weise zu beleidigen – auch oft unter der Gürtellinie“. Pilz’ | |
Karriere hatte einst bei so einem „lyrischen Kampf“ ihren Ausgang genommen. | |
Ihren Stil ordnet sie dem „Battle-Rap“ zu – ein Genre, das sein Publikum | |
vor eine Reihe von Fragen stellt: Wo verläuft in der Kunst die Grenze | |
zwischen Selbstverteidigung und Angriff? [5][Welche Rolle spielt Kontext?] | |
Und was oder wer zieht in einer Gesellschaft rote Linien, an denen auch | |
Provokation endet? | |
12 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=YX5D0KpBPrc | |
[2] /Rap/!t5010030 | |
[3] /Urteil-gegen-Gangsta-Rapper-erwartet/!5837919 | |
[4] /Rapperin-Pilz-ueber-Live-Battle/!5401294 | |
[5] /Kommentar-Causa-Holger-Burner/!5126322 | |
## AUTOREN | |
Friederike Grabitz | |
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