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# taz.de -- Veganes Hotel in Brandenburg: Ich bin dann mal veg
> Kissen ohne Daunen, Ausflüge auf Bambusrädern und Yoga vor dem Frühstück:
> In der Prignitz hat Deutschlands größtes veganes Hotel eröffnet.
Bild: Der Anblick ist jedenfalls schon mal perfekt: die Burg Lenzen und der daz…
Lenzen taz | Wäre der beste Standort für ein Bademodengeschäft womöglich
der FKK-Strand auf Sylt? Und müsste man nicht, um erfolgreich zu sein,
einen Ski-Shop in Abu Dhabi gründen? Oder einen Fahrradladen am
Nürburgring? Als ich vor wenigen Wochen in meiner Lokalzeitung las, dass
nahe meinem Wohnort, in Lenzen, demnächst „Deutschlands größtes veganes
Hotel“ eröffnet, stellte ich mir solche Fragen.
Lenzen liegt im äußersten Westen von Brandenburg, die nächste
Autobahnauffahrt erreicht man nach rund 60 Kilometern. Die Prignitz
drumherum ist die am dünnsten besiedelte Gegend der Republik und wird immer
leerer: Der Anteil der über 60-Jährigen im Landkreis liegt bei knapp 40
Prozent. Der Anteil der nicht fleischessenden Menschen in der Prignitz wird
nicht erhoben, aber sagen wir mal so: Einmal traf ich hier eine
Vegetarierin, sie war aus Berlin hergezogen. Ansonsten sind die meisten
Leute Freizeit-Jäger und es dauerte nach meinem Umzug hierher nicht lange,
da [1][wohnte ich einer Schweineschlachtung bei].
Ich biss bei der morgendlichen Zeitungslektüre in mein Frühstücksbrötchen
mit einer Scheibe Räucherfleisch von Metzger Schlede und dachte: Wow,
endlich traut sich mal jemand was.
Die [2][Burg von Lenzen] hat in ihrer Geschichte schon manche Leute kämpfen
und untergehen sehen. Bis vor rund 1000 Jahren herrschten hier heidnische
Wenden, die erst von den Sachsen (929), dann von einem Heer Kreuzritter
(1147) niedergemetzelt wurden. Danach gehörte die Burg einigen Vögten und
Markgrafen, einer Adelsfamilie namens „Edle Gans zu Putlitz“ und diente
während der DDR als Parteiveteranenheim „Edwin Hörnle“.
## Wiedereröffnung am 1. Juli
Seit 1993 gehört die Burg schließlich dem Bund für Umwelt und Naturschutz
BUND, der hier neben einem Infozentrum zum „Biosphärenreservat
Flusslandschaft Elbe-Brandenburg“ noch einen Hotelbetrieb mit Restaurant
beherbergt. Der war in den letzten Jahren etwas ins Schleudern geraten, die
Pächter hatten schließlich aufgegeben und der BUND suchte nach Nachfolgern.
Nun hatten sie offenbar welche gefunden.
Ein paar Tage vor der Wiedereröffnung am 1. Juli rief ich an und buchte
eines der 40 Zimmer (ab 72 Euro). Von meinem Haus bis zur Burg braucht es
mit dem Fahrrad sechs Minuten.
Das Gefühl eines Fleischessers beim ersten Betreten eines veganen Hotels
ist vielleicht vergleichbar mit den Empfindungen von Papst Franziskus, als
er die Blaue Moschee in Istanbul besuchte: Respekt vor den Andersgläubigen,
aber auch ein wenig Angst, vielleicht etwas Falsches zu sagen oder zu tun.
Ich kenne diesen Ort ja schon von früher, als er „nur“ ein Bio-Hotel war,
trotzdem öffne ich nun fast ehrfürchtig die Tür zum Haupteingang. Jonas
Mog, der mit 27 Jahren recht junge Hotelchef, begrüßt mich und löst
freundlich-locker meine Verklemmung. Es dämmert schon leicht und auf der
Terrasse ist noch ein Tisch frei. Aus dem weitläufigen Park, durch den das
kleine Flüsschen Löcknitz fließt, hört man die Frösche quaken.
Mog ist ein smarter Typ, schmal, wache Augen und beim Erzählen des ersten
Gedankens schon im Kopf beim zweiten. Zwischen seinem Heimatort Tübingen
und Lenzen liegen 700 Kilometer und eine Menge an Erfahrungen. Er hat
Hotelmanagement in Berlin studiert und arbeitete in verschiedenen großen
Häusern, zuletzt als Rezeptionschef im Lighthouse Hotel in Büsum, wo er
seine jetzige Geschäftspartnerin Kim Stellbrinck kennenlernte. „ahead
burghotel“ haben die ihr veganes Hotel getauft, ahead wie voraus, wie
vorne, wie hinterm Horizont, wo man ankommt, wenn der Tag lang ist.
Die Basis für das ahead hatte Mog schon in seiner Bachelor-Arbeit in Berlin
gelegt. Thema: Über die Zukunftsaussichten veganer Hotellerie. Vor allem
jung, weiblich und großstädtisch würde sein Zielpublikum werden, das wusste
Mog schon, als er noch keinen Schimmer hatte, wo das Hotel einmal liegen
würde. „Die Region war uns im Prinzip egal“, sagt er. Wichtig sei vielmehr
gewesen, „dass sie viel Natur und Platz zum Entspannen bietet.“ Das
abgelegene Lenzen in der leeren Prignitz passt dafür wie die Blüte fürs
Pfauenauge: weit genug von Hamburg und Berlin entfernt und doch von dort
innerhalb von gut zwei Stunden erreichbar.
Wir sitzen noch eine ganze Weile auf der Terrasse, lauschen dem
Froschkonzert – und dem Gläserklirren, denn vom Eröffnungstag an war das
ahead gut gebucht. „Wir mussten nicht einmal viel Werbung machen, das hat
sich in den sozialen Medien und vor allem in den veganen Blogs rasend
schnell herumgesprochen“, sagt Mog, ehe er sich in die Nacht verabschiedet.
## Das Rauschen der Blätter als kleine Nachtmusik
Mit dem Gang über die ehemalige Zugbrücke, die von einem Storchenpaar im
Nest bewacht wird, verlässt der Gast die Welt der Nutztiere. Was jetzt noch
im Garten kreucht und fleucht, ist freiwillig hier. Nicht einmal im
Kopfkissen befinden sich tierische Produkte, die Füllung ist aus Baumwolle.
Bei offenem Fenster stört kein menschengemachter Lärm den Schlaf, und nur
das Rauschen der Blätter in den uralten Eichenkronen weht als kleine
Nachtmusik vom Park herüber. Am nächsten Morgen erinnert mich ein entfernt
gackerndes Huhn daran, dass ich jetzt gleich im Wintergarten ein Frühstück
bekomme, ohne Ei.
Doch vorher dürfen Hotelgäste im Teehaus des Burgparks noch eine Yogastunde
einlegen – die erste meines Lebens. Kora heißt meine Lehrerin und sie
verantwortet tagsüber in der Küche die Patisserie. Außer mir hat sich nur
noch ein junges Paar eingefunden. Draußen vor dem Fenster verschlingt ein
Storch gerade einen kleinen Frosch. Schon bei der zweiten Übung soll ich
auf der Matte sitzend mit ausgestreckten Beinen meine Zehen anfassen. Ein
Ding der Unmöglichkeit. Zu viel Fleischkonsum soll die Gicht auslösen. Kora
lächelt mir zu; ich interpretiere es als Freundlichkeit, nicht als Mitleid.
Am veganen Frühstückbuffet erholt sich mein durchgeyogter Körper. Mit ein
wenig Fantasie schmeckt das Tofu-Crumble sogar fast wie Rührei. Als veganer
Anfänger bin ich noch auf dem Vergleichstrip: Was aussieht wie eine Salami
ist nur ein Nachbau aus Irgendetwas mit Kreuzkümmel und die
Die-so-tut-als-Leberwurst schmeckt verdächtig echt. Irgendwann hört man
wahrscheinlich auf, sich zu fragen, ob ein Cappuccino mit Milch besser
schmeckt als einer mit Haferdrink, man isst schließlich im Bewusstsein,
kein Tier für sein Essen bestohlen oder gar getötet zu haben.
Mitgeschäftsführerin Kim Stellbrinck, 37, managt als gelernte
Restaurant-Fachfrau die Abteilung Essen&Trinken im ahead. Seit ihrer
Kindheit ernährt sie sich mindestens vegetarisch, was sie nicht daran
gehindert hat, in großen Hotels den Gästen auch Fleisch anzubieten,
darunter im Burj al Arab in Dubai. Stellbrinck macht aus ihrer Überzeugung
keine Religion, „aber es war schon lange mein Wunsch, irgendwann ein Hotel
zu führen, das dem ganzheitlichen Gedanken von Ernährung entspricht“.
Nach dem Frühstück erwartet mich ein Ausflug mit den hauseigenen
Bambusfahrrädern ins Biosphärenreservat. Bambusfahrräder? Ich hatte sie mir
zierlicher vorgestellt, mit Speichen aus Schilf, und statt einer
Metallklingel eine Schnarre aus nachwachsendem Teakholz vielleicht.
Stattdessen wirken sie mit ihrem Rahmen aus dicken Bambus-Stangen
(immerhin: „der am schnellsten wachsende pflanzliche Rohstoff“) etwas
klobig.
Viele Fahrradtouristen vom Elberadweg, der unweit an der Burg vorbeiführt,
hätten staunend davor gestanden, erzählt mir ein Hotelgast, der sein
Fahrrad gerade zurückbringt. Ich begnüge mich mit einer kleinen Proberunde
und streife lieber zu Fuß durch die Deichlandschaft an der Elbe. Ein
Pärchen mit Hund, das mir beim Frühstück auffiel, kommt mir entgegen und
ich mache mir Gedanken, ob die emotionale Ausbeutung eines Tieres nicht
auch auf die vegane Ächtungsliste gehören sollte. Dann freue ich mich auf
das letzte „Mein erstes Mal“ dieses Kurz-Urlaubs: das Abendessen im
Burg-Restaurant „Place to V“.
Ein Platz auf der Terrasse mit Blick über den Park stimmt jeden gnädig, der
bis dahin ein rosa gebratenes Rinderfilet oder geschmorte Schweinebäckchen
für den Höhepunkt eines Tages hielt. Die Speisekarte ist nicht üppig,
bietet aber ein paar spannende Begegnungen mit ungewohnten
Aromakombinationen.
Das Räuchertofu auf einer Mousse aus Topinambur mit Sesam, Röstgemüse und
einer Misosauce (20 Euro) macht mächtig Spaß und meine Begleitung ist nicht
minder verzückt vom geschnetzelten Seitan mit Waldpilzen und Semmelknödel
(16 Euro). Beim jungen Chefkoch Jonathan Gebhard spürt man die Lust, nach
seinen Stationen in Sterneküchen hier mal sein ganz eigenes Ding zu drehen
und zu beweisen, dass eine gehobenen vegane Gastronomie nicht als Verzicht,
sondern als Erweiterung zu verstehen ist.
Anschließend fahre ich die drei Kilometer zurück in mein eigenes Bett. Ich
kuschel mich in mein (Daunen-)Kissen und freue mich, dass der Arsch der
Welt jetzt zum Sehnsuchtsort der Avantgarde gehört.
5 Sep 2021
## LINKS
[1] /Beim-Schlachter-in-der-Prignitz/!5602153
[2] https://www.burg-lenzen.de/burg_lenzen/startseite/
## AUTOREN
Philipp Mausshardt
## TAGS
Ruhe
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Veganismus
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