# taz.de -- Gastrosexismus im Restaurant: Die mit dem Bier ist immer der Mann | |
> Wird am Tisch serviert, regiert das Geschlechterstereotyp. Über Machismo | |
> beim Wein, die Damenkarte und andere Gastrosexismen. | |
Bild: Bis der Teller vor dem Gast steht, kann noch viel schiefgehen | |
Wer in Deutschland regelmäßig in mittelgute Restaurants geht, weiß, dass | |
die Person, die dort die Bestellung aufnimmt, oft nicht dieselbe ist, die | |
sie dann auch serviert. Das war schon vor Corona so. Nachdem viele Lokale | |
ihr Personal in der Krise entlassen mussten, haben sie jetzt | |
[1][Schwierigkeiten, genug ausgebildete Leute zurückzugewinnen], was | |
mancherorts zu einer verzweifelten Übersprungshandlung führt: Wenn man | |
einen Serviceprofi nicht finden kann, stellt man eben zwei Laien ein. Aber | |
genauso wenig, wie zwei Menschen eine Schwangerschaft in der halben Zeit | |
durchziehen können, wird der Service besser, je mehr Leute sich gegenseitig | |
im Weg stehen. | |
Da die Information, wer nun eigentlich was bestellt hat, bei derart | |
organisierten Restaurants fast immer verloren geht, werden die Gäste | |
gefragt, wer was hatte. So weit, so unprofessionell. Wenn aber, was oft | |
genug vorkommt, nicht gefragt wird, wird es interessant. Und unangenehm. | |
Sie können darauf wetten, dass, wenn die Bestellung eines Mannes und einer | |
Frau Aperol Spritz und Pils lautet, der Aperitif an die Frau geht. Denn der | |
Mann ist der mit dem Bier. Wird jedoch gemeinsam eine Flasche Wein | |
bestellt, steht das Probierglas schnell vor dem männlichen Gast, der bitte | |
entscheiden möge, ob der Wein gut genug sei. | |
Dem Mann wird vom Service offenbar die größere Weinkompetenz zugeschrieben, | |
aber im direkten Biervergleich das geringere Weininteresse. In bester | |
patriarchaler Tradition soll er sogar die Dinge entscheiden, mit denen er | |
sich weniger auskennt, auch 2021 noch und auch in Berlin-Kreuzberg. Und | |
das, obwohl – so die Sterneköchin Tanja Grandits – heute meist die Frau | |
entscheidet, in welches Restaurant gegangen wird. | |
Dass die Gastronomie, was Geschlechterrollen angeht, noch in der vorletzten | |
Staffel festhängt, ist bekannt. Pöbelnde Gäste, die weiblichen | |
Servicekräften in Bierzelten rumpelige Avancen machen, werden selten | |
kritisiert, und wenn, dann bleibt es folgenlos. Auch wurde in den letzten | |
Jahren [2][verstärkt darüber berichtet], welche fragwürdigen Sitten hinter | |
den Kulissen herrschen, in den Küchen, wo eine Machokultur ungeniert vor | |
sich hin brutzelt, als hätte es [3][#MeToo] nie gegeben. | |
Kein Wunder: von den rund dreihundert Sterneküchen in Deutschland steht nur | |
ein knappes Dutzend unter weiblicher Führung. Obwohl jeder zweite Job in | |
der Gastronomie von einer Frau gemacht wird, liegt der Anteil der | |
weiblichen Auszubildenden in der Küche nur bei etwa einem Viertel. Und | |
während es keinen Mangel an Kochbuchautorinnen gibt, sind weibliche | |
Restaurantkritiker immer noch eine Seltenheit. Vielleicht hört man auch | |
deshalb so wenig vom Sexismus im Service. | |
## Wenn der Gast wie eine Statistik behandelt wird | |
Zudem kommen die Diskriminierungsgesten gegenüber den Gästen so verhuscht | |
daher, dass sie in der allgemeinen Wurschtigkeit untergehen – und dann ist | |
man natürlich erst mal mit Essen und Trinken beschäftigt und entsprechend | |
nachsichtig. Aber wenn von zwei bestellten Gerichten eines vegetarisch ist, | |
bekommt die Frau den Tofu. Geflügel landet auch bei ihr, Rind und Schwein | |
gehen an den Mann. Ich habe es mehrfach ausprobiert, die Stereotype | |
überschreiben die einfache Nachfrage: Wer bekommt was? | |
Dabei geht es nicht nur um Zutaten, sondern auch um Mengen: Wenn jemand nur | |
eine Vorspeise nimmt oder einen Salat, dann muss es die Frau sein. | |
Entsprechend heißt bei der die USA emulierenden, aber treudeutschen | |
Steakhauskette Block House das halbe Pfund starke Rumpsteak „Mr. | |
Rumpsteak“, die 180-Gramm-Version „Mrs. Rumpsteak“. Und zwar, von den | |
Zeitläufen völlig ungestört, seit Jahrzehnten. Immerhin ist das Steak für | |
die Frau ein paar Euro billiger. | |
Ist es schlicht aus der Zeit gefallener casual sexism oder gewieftes | |
Männer-Upselling, weil man Herren mit wackeligem Selbstbild (sogenannten | |
echten Kerlen) unterstellt, natürlich kein Frauensteak bestellen zu wollen | |
und dann lieber etwas tiefer in die Tasche zu greifen? Man weiß es nicht. | |
Und wenn sie das jemals ändern, dann vermutlich nur um den Preis, dass das | |
kleine Steak dann à la Starbucks tall heißt und das große venti. Das ist | |
dann einfach auf andere Weise doof. | |
## Damenkarten existieren noch | |
Der Gastrosexismus indes beginnt schon bei der Bestellung und endet auch | |
bei der Bezahlung nicht. Als ich im Winter 2018 mit einer Freundin in einem | |
südbelgischen Städtchen essen ging, erhielt sie etwas, das ich für | |
ausgestorben hielt: eine Damenkarte, also ein Menü ohne Preise. In der | |
wallonischen Provinz gibt es diese als Dezenz sich gebende sexistische | |
Unsitte noch, anderswo wurde sie durch eine gedankenlose Geste ersetzt, die | |
sich ihren diskriminierenden Kern jedoch erhalten hat: Wenn es ans Bezahlen | |
geht, wird das Kartenlesegerät ganz ungeniert dem Mann hingehalten. | |
In Peru musste vor einigen Jahren das Luxusrestaurant La Rosa Naútica wegen | |
sexistischer Diskriminierung 55.500 Euro Strafe zahlen, weil es solche | |
Damenkarten ausgehändigt hatte. Es wurde obendrein dazu verpflichtet, die | |
preislosen Menüs zu entfernen und dem Personal eine entsprechende Schulung | |
angedeihen zu lassen. | |
Mit besserer Schulung könnte man auch den Problemen hierzulande begegnen. | |
Zu oft arbeiten im Service schlecht bezahlte Minijobber*innen, in deren | |
Ausbildung die Restaurants nicht investieren. Es geht ja hier nicht um | |
Service als Berufung, aber doch wenigstens als Beruf. | |
Doch selbst in Restaurants mit gehobener Küche rumpelt und knirscht es ganz | |
erheblich im Umgang mit den Gästen, weil oft genug die (meist männlichen) | |
Köche neben der Küche auch das Management des Restaurants verantworten, | |
sich aber eigentlich nur für die Küche interessieren. Seit Corona drücken | |
wir Gäste noch mehr Augen zu als vorher, weil es der Branche schlecht geht | |
und gute Küche mit schlechtem Service noch besser ist als gar keine Küche. | |
Der Gastrosexismus muss aber trotzdem aufhören. | |
Was also tun? Selbst wenn tatsächlich in neun von zehn Fällen der Mann das | |
Bier und die Frau den Aperol Spritz trinkt, dann gebietet es schlicht die | |
Höflichkeit, den Gast nicht wie eine Statistik zu behandeln. Voreilige | |
Schlüsse zu ziehen ist uncool, jeden Gast als Individuum behandeln nicht. | |
Aber es ist mühsam, nicht in Automatismen zu verfallen, wenn die | |
Arbeitsbedingungen das Personal zermürben – und man sich dann noch mit | |
rüpeligen Gästen herumschlagen muss. Und so sind die meisten mittelguten | |
Restaurants einfach nur Abbild der allgegenwärtigen schlechten, das heißt | |
wurschtig-sexistischen Umgangsformen. | |
Neulich saßen wir zu zweit in einem Lokal und bestellten das gleiche | |
Gericht. Der Ober kam an den Tisch, sagte: „Zweimal Eiernudeln mit Huhn“, | |
und blickte fragend in unsere Gesichter, wer jetzt wohl was bestellt hat. | |
Er war aber auch einfach sehr, sehr müde. | |
7 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Gastronomie-und-Corona/!5774710 | |
[2] https://www.zeit.de/2021/37/sternerestaurant-arbeitsklima-stress-gastronomi… | |
[3] /Schwerpunkt-metoo/!t5455381 | |
## AUTOREN | |
Gabriel Yoran | |
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