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# taz.de -- Victoria Bar: „Ein Freiraum der Nacht“
> Die Victoria Bar ist ein Schmuckstück unter Berliner Bars. Jetzt feiert
> sie ihr 20. Jubiläum. Ein Gespräch mit der Barfrau Beate Hindermann.
Bild: Immer noch fasziniert vom Nachtleben: Beate Hindermann
taz: Frau Hindermann, Sie sind Mitinhaberin der Victoria Bar. Was macht
eine gute Barfrau aus?
Beate Hindermann: Standfestigkeit, gute körperliche Konstitution und
Widerstandsfähigkeit. Am wichtigsten ist aber das Einfühlungsvermögen in
die Gäste, abgesehen von den fachlichen Qualitäten natürlich.
Sind Sie auch Mixerin?
Ich habe früher sehr viel gemixt, aber seit ein paar Jahren kümmere ich
mehr um die Gäste. Das Mixen ist körperlich auch sehr anstrengend.
Wie das?
Du musst jede Flasche hochheben, das ist immer ein Liter, und das über acht
Stunden hinweg. Man kann das durchaus von der sportlichen Seite sehen. Die
Gäste am Tresen gucken dir fasziniert zu, wenn du technisch gut drauf bist
und geschmeidig agierst. Wenn alle Gläser gleich gefüllt sind und die
Drinks gleich schön aussehen. Aber Kommunikation ist dabei nicht möglich,
weil du hochkonzentriert sein musst bei diesen ganzen komplizierten
Rezepten. Wir haben eine sehr umfangreiche Karte mit an die 120 Drinks.
Mich hat Mixen zum Schluss nicht mehr glücklich gemacht.
Am Samstag feiert die Victoria Bar ihr 20-jähriges Jubiläum. Was hat den
Ausschlag gegeben, den Laden ausgerechnet in der [1][Potsdamer Straße]
aufzumachen?
Wir hatten vorher die Greendoor Bar am Winterfeldtplatz. Nach sieben Jahren
sind wir da raus und wollten etwas Neues machen. Ein Meisterstück in der
Berliner Barlandschaft schwebte uns vor. Wir wollten aber unbedingt in
Schöneberg bleiben. Ausschlaggebend für den Standort war, dass eine
wirklich lange Theke in den Laden passt.
Die Theke ist 18 Meter lang. Was ist an der Victoria Bar noch besonders?
Wir sehen uns in der Tradition und Historie der American Bars. Die wohl
berühmteste ist die Harry’s New York Bar in Paris. Eine ganz kleine Bar,
die schon 1911 aufgemacht hat, hauptsächlich für die Expats, die rüberkamen
aus Amerika. Auch Hemingway und Fitzgerald waren da. Es gab dort schon
Mischgetränke. Für die Franzosen, die nur Wein und Pernod gewohnt waren,
war das eine ganz neue Art des Trinkens. Diese Tradition und Historie
versuchen wir in der Victoria Bar weiterzuleben und immer wieder neu zu
erfinden.
Einen Besuch in der Victoria Bar kann sich allerdings nicht jeder leisten.
Es ist schon teuer, aber gemessen am Preisgefüge anderer Bars sind wir
immer noch im Mittelfeld. Und wir sind eine der wenigen Bars, die immer
noch Happy Hour machen. Ich habe Geschichte und Publizistik studiert und
schon mehrere Vorträge über die Historie der Bars ausgearbeitet. Es ist
unheimlich wichtig, dass die Leuten kapieren, in was für einer Tradition
wir als Bar stehen. Dass es um mehr geht, als einfach nur Schnaps
zusammenzukippen. Dass das eine richtige Kultur ist, die man bewahren und
genießen sollte.
Würden das andere Bars nicht auch für sich in Anspruch nehmen?
Sicherlich. Es gibt Bars ganz speziell für Cocktailnerds. In
hochkonzentrierter Atmosphäre, fast schon ein bisschen wie bei einem
Gottesdienst werden da die Drinks gemixt. Bei uns ist es nicht wie bei
einer Andacht. Bei uns herrscht Leben und trotzdem gibt es 1a Drinks. Wir
können den Cocktailnerd bedienen, aber auch die ältere Dame, die mit ihrer
Freundin vom Philharmonischen Konzert kommt und ihren Piña Colada so möchte
wie vor 30 Jahren. Und selbst wenn es schon vier Uhr morgens ist, wir
hetzen nicht. Man soll den Trinkern den letzten Drink nicht verweigern,
wenn die Stimmung stimmt.
Woran machen Sie das fest?
Wenn die Gäste in ihrem Alkoholtraum oder Rausch – nenn es, wie du willst –
lustig und kommunikativ sind, wenn vielleicht auch Verbrüderungen
stattfinden oder auch Romantico. Das ist zwar eine Binsenweisheit: Aber die
Dosis macht das Gift. Man kann sich dabei getrost in unsere
vertrauensvollen Hände begeben. Wir fühlen uns ein bisschen als
Trinkpädagogen.
Zu dem Thema haben Sie und Ihre Geschäftspartnerin Kerstin Ehmer auch ein
Buch veröffentlicht, „Die Schule der Trunkenheit“.
Es geht darum, den Horizont der Bargäste zu erweitern: dass man sich beim
Trinken auf eine Reise begeben und selbst bestimmen kann, wie tief man
eintauchen möchte. Wir haben in der Victoria Bar dazu auch eine
Vortragsreihe abgehalten, zu jedem Thema gab es den entsprechenden Drink.
Haben Sie ein Beispiel?
Was unterscheidet einen Scotch und einen Irish? Was darf in Wodka enthalten
sein? Es gab auch einen historischen Abriss über die Entwicklung des
Alkohols im Laufe der Jahrhunderte. Und natürlich auch Geschichten von den
berühmten Trinkern. Unser Buch ist bereits in der dritten Auflage
erschienen und wurde sogar schon auf Englisch und Tschechisch übersetzt.
Wie gehen Sie mit betrunkenen Gästen um, die Ärger machen?
Wir haben fast nie Konfrontationen oder Stress mit unseren Gästen. Da bin
ich wirklich stolz drauf. Wenn es doch mal passiert, bin ich immer total
schockiert, weil wir das überhaupt nicht gewohnt sind.
Wie erklären Sie sich das?
Bei uns gelten andere Regeln als anderswo. Unsere Bar ist ein Freiraum der
Nacht, aber wir wollen auch ein Schutzraum sein. Es ist selbstverständlich,
dass ein höflicher, respektvoller Umgang herrscht. Dass sich jede und
jeder, egal welcher Herkunft, ungehindert in der Bar bewegen kann, ohne
eine Anmache zu befürchten. Mein deutliches Gefühl ist: Unsere Gäste haben
das verinnerlicht.
Sie kümmern sich um Gäste, die Gesprächsbedarf haben. Wie halten Sie das
aus, von Betrunkenen zugelabert zu werden?
Ich bin sehr zugewandt und finde auch jedes Leben interessant und des
Zuhörens wert. Das ist Teil meines Charakters. Ich krieg hier so viele
interessante Menschen geliefert wie die Spinne im Netz. Und es gibt sehr
viele heitere Momente. Aber natürlich lerne ich auch viele Menschen kennen,
die mit Problemen kämpfen. Und es gibt natürlich auch Leute, die
schwermütig in ihren Drink starren. Aber dass Barkeeper seelische Mülleimer
für ihre Gäste sind, ist ein Klischee.
Trinken Sie manchmal mit?
Disziplin sollte eigentlich sein, dass der Barkeeper nicht trinkt. Wenn du
mixt, kannst du auch gar nichts trinken. Aber wenn ich meinen Service
mache, meine Gäste um mich herum habe und da wird Geburtstag gefeiert und
Champagner ausgegeben, trinke ich gerne mit meinen Gästen. Es wäre komisch,
das nicht zu tun.
Hat Ihre Arbeit überhaupt keine Schattenseiten?
Doch natürlich. Das ist ein echt anstrengender Beruf aufgrund des
dauerhaften Nachtlebens. Aber ich bin schon immer ein Nachtmensch gewesen.
Was macht die Faszination der Nacht aus?
Das ist schwer zu erklären. Es ist schon ein besonderes Völkchen, das da
unterwegs ist. Vielleicht ist es das.
Die Victoria Bar war von Anfang November bis Mitte Mai dieses Jahres im
Lockdown. Was haben Sie in dieser Zeit gemacht?
Gelesen, vor allem Kunstbücher. Ich habe mich da richtig reingebissen. Auch
für meine Gesundheit war es gut, mal innezuhalten. Ich hab mal ein paar
Monate überhaupt keinen Alkohol getrunken, ganz ganz wenig geraucht und bin
viel in der Natur gewesen.
Wird am Samstag eigentlich groß gefeiert?
Unsere Partys sind legendär. So mit DJs, toller Musik, es gibt auch immer
eine Kunstausstellung. Normalerweise stehen die Leute bis weit auf die
Straße. Aber jetzt trauen wir uns kaum, die Einladungskarten rauszugeben,
aus Angst, dass wir nicht alle reinlassen können. Corona ist noch nicht
vorbei. Die Regeln gelten ja weiter. Was die Zukunft betrifft, gibt es bei
uns die Überlegung, auf 2G umzusteigen, ohne dass das staatlich angeordnet
wird. Wir können nicht verstehen, dass Leute sich nicht impfen lassen.
23 Sep 2021
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## AUTOREN
Plutonia Plarre
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Schwerpunkt Coronavirus
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