# taz.de -- Hamburgs Konzept gegen Jugendgewalt: Für wen Datenschutz nicht gilt | |
> Nach dem eskalierten Konflikt zwischen Schülern und einem Polizisten | |
> wussten Medien viel Persönliches über ein Kind. Datenschützer kritisieren | |
> das. | |
Bild: Nach einer Auseinandersetzung mit einem Schulpolizisten wurden elf Schül… | |
HAMBURG taz | Nach der zum Teil handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen | |
Schülern und einem Cop4U-Polizisten vor der Ida-Ehre-Schule im Hamburger | |
Stadtteil Eimsbüttel hat es offenbar Suspendierungen gehagelt. Gleich elf | |
Schüler wurden durch die Schulleitung „vorläufig“ beurlaubt, das geht aus | |
der Antwort auf eine [1][Anfrage der Linksfraktion] hervor. Wie berichtet, | |
hatte der Elternrat kritisiert, dass Schüler „auf Anweisung der Behörde“ | |
suspendiert worden seien, ohne zuvor gehört zu werden. | |
Eine vorläufige Beurlaubung dauert laut Schulgesetz bis zu zehn Tage. Sie | |
soll sogar Schüler treffen, die die Auseinandersetzung nur gefilmt hatten. | |
Schulbehördensprecher Peter Albrecht sagte der taz, alle Schüler, die den | |
Anweisungen der Lehrer an jenem Nachmittag umgehend Folge geleistet hätten, | |
seien „nicht suspendiert worden“. An der Nachbarschule sei nur der Schüler | |
beurlaubt worden, „von dem der Vorfall ausging“. | |
Die Rede ist von einem 13-Jährigen, der auf einem [2][vom NDR | |
veröffentlichen Video zappelnd unter dem Schulpolizisten] liegt. Er soll | |
sich laut Polizei zuvor geweigert haben, seine Hände zu zeigen, weswegen | |
der Cop4U ihn fixierte und zu Boden brachte. Dort bekam der Beamte wohl | |
auch Tritte von umstehenden Schülern an den behelmten Kopf. | |
Über den zu Boden Gebrachten hieß es unter anderem, er sei „Intensivtäter�… | |
und „verhaltensauffällig“ und vom benachbarten Gymnasium einst suspendiert | |
worden. Die Bild gab sogar an, die „Gewaltakte“ dieses Kindes zu haben, | |
mehrere Blätter nannten den Namen der Schule, die der Junge heute besucht. | |
Die Zeitungen berichteten, dass ein Verwandter des Kindes vor Gericht stehe | |
und dass sie wüssten, in welcher Jugendeinrichtung es lebe. | |
Es stellt sich die Frage, ob Polizei und Schulbehörde in ihrer Pressearbeit | |
angemessen Zurückhaltung übten, da es hier um Kinder geht. Die | |
Polizeimitteilung „Schüler greifen Polizei-Beamten in Hamburg-Eimsbüttel | |
an“ vom 19. August bot den Ausgangsstoff für zahlreiche Berichte. Der Junge | |
sei der Polizei „bereits bekannt“, stand darin. | |
Polizeisprecherin Sandra Levgrün sagt, es gab die Pressemitteilung, weil | |
hier ein „öffentliches Interesse“ vermutet wurde. Es finde bei der | |
Pressearbeit immer eine Einzelfallprüfung statt „unter Berücksichtigung des | |
besonderen schutzwürdigen Interesses von minderjährigen Beteiligten“. | |
## Kinder unter 14 auf „Obachtliste“ | |
Dennoch besteht in Hamburg seit 2011 [3][eine „Obachtliste“, auch | |
Ampeldatei] genannt, die sehr umstritten ist. Auf ihr werden aktuell 159 | |
junge Menschen unter 21 Jahren geführt, die durch eine Straftat auffielen | |
und bei der die Annahme besteht, dass sie weitere begehen. In diese Datei | |
speisen [4][Jugendhilfe], Schulbehörde, Staatsanwaltschaft, | |
Jugendgerichtshilfe und Polizei Daten ein und erzeugen damit in ihren | |
Handlungsfeldern eine der drei Farben Rot, Gelb, Grün. | |
Zurzeit sind auch sechs Kinder unter 14 Jahren in dieser Datei, die die | |
Polizei koordiniert. Zugriffsberechtigt sind etwa 32 Personen. Die Sache | |
soll auch abschrecken. „Ich kann in die Liste hineinschauen, die die | |
Polizei angelegt hat und immer aktualisiert“, schrieb zum Beispiel ein | |
Mitarbeiter der Gewaltpräventionsstelle der Schulbehörde 2019 [5][in einem | |
Blog]. | |
Nur hatte der Hamburgische Datenschutzbeauftragte von Anfang an starke | |
Bauchschmerzen mit dem Verfahren, das schrieb er [6][2013 in seinem 24. | |
Tätigkeitsbericht]. Denn erfasst wird dort die Wertung, zu den | |
strafrechtlich auffälligsten Gewalttätern unter 21 Jahre zu gehören, und | |
das Merkmal „Intensivtäter“. Und neben diesen in die Vergangenheit | |
gerichteten, aber gleichwohl „höchst sensiblen“ Wertungen, werde in der | |
Datei zugleich eine Prognose in die Zukunft vorgenommen und mit jeder neuen | |
Ampelfarbe wieder eine Wertung getroffen. Die Daten hätten folglich einen | |
„hohen Schutzbedarf“. Statt der Polizei, so empfahl er dringend, sollte die | |
Sozialbehörde das Verfahren koordinieren. | |
Die taz nahm die jüngsten Medienberichte über ein Kind zum Anlass, beim | |
Datenschutzbeauftragten nachzuhaken, ob die damalige Kritik noch aktuell | |
sei. Die Antwort ist ja. Trotz intensiver Erörterung mit Polizei und | |
Innenbehörde seien die im 24. Tätigkeitsbericht aufgeführten Mängel „nicht | |
beseitigt“, sagt Sprecher Martin Schemm. Man habe die Sache zuletzt 2016 | |
überpüft und sich nicht angenähert, vor allem bei der Einschätzung des | |
„Schutzbedarfs“. Läge die Koordinierung bei der Sozialbehörde, wäre dies | |
„datenschutzrechtlich unkritischer“. | |
Die Sozialbehörde selbst sagt, sie habe kein Problem damit, dass die | |
Polizei die Sache koordiniere. Die Innenbehörde sagt, der Schutzbedarf der | |
Ampeldaten sei ihrer Einschätzung nach als „normal“ zu bewerten. Sie sehe | |
im Gegensatz zum Datenschützer also keinen „hohen Schutzbedarf“. | |
Wie aus zwei Briefen von Eltern der Ida-Ehre-Schule hervorgeht, die der taz | |
anonymisiert vorliegen, sehen diese auch ihre Kinder zu wenig geschützt und | |
stigmatisiert. Zum Beispiel weil unterstellt wurde, dass das Filmen mit | |
Handy die Situation eskalierte. Dabei könnte eine bildliche Dokumentation | |
sehr wichtig sein. | |
## „Spontane und reflexhafte Vorverurteilung“ | |
Schulsenator Ties Rabe (SPD) hatte in einem Pressestatement „Konsequenz und | |
Härte“ angekündigt und das Verhalten der Jugendlichen verurteilt. Die | |
Schulpolitikerin Sabine Boeddinghaus (Die Linke) nennt das nun eine | |
„spontane und reflexhafte Vorverurteilung“, mit der Rabe nach dem | |
„Top-Down-Prinzip“ Druck ausübe. „Natürlich ist Gewalt nicht das Mittel… | |
Wahl und muss geahndet werden“, sagt sie. Sie hinterfrage aber diese | |
Suspendierungen. Obwohl bekannt sei, dass nur ein Teil der Schüler von der | |
Ida-Ehre-Schule kam, konzentrierten sich „alle Maßnahmen auf diese | |
Stadtteilschule mit ausgeprägtem politischem Profil“. | |
Boeddinghaus will nun das gesamte Konzept „Handeln gegen Jugendgewalt“, zu | |
dem auch Cop4U und Obachtslisten gehören, überprüft und mindestens | |
überarbeitet wissen, damit „das Primat der Pädagogik gehört“. | |
3 Sep 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/76950/macht_die_schulbehoe… | |
[2] https://www.ardmediathek.de/video/hamburg-journal/hamburg-journal-oder-23-0… | |
[3] https://www.hamburg.de/handeln-gegen-jugendgewalt/4340296/obachtverfahren-f… | |
[4] https://www.dijuf.de/files/downloads/2014/Dokumentation%20BuFo%202014/Vortr… | |
[5] http://blog.pfennigschmidt.net/obachtverfahren-intensivtaeter-hamburg/ | |
[6] https://datenschutz-hamburg.de/taetigkeitsberichte/TB-D-2012-2013/ | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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