# taz.de -- Mieser ÖPNV in Baden-Württemberg: Wie ich lernte, das Auto zu lie… | |
> Auf dem baden-württembergischen Land ist es kaum möglich, nur mit Bus und | |
> Bahn auszukommen – trotz zehn Jahren grüner Regierung. | |
Bild: Rot-grün sind in Baden-Württemberg höchstens die Wiesen – schön, um… | |
Methangas liegt in der Luft, als ich zur nächsten Bushaltestelle spaziere. | |
Die Landluft riecht gut, frisch, ein bisschen nach Gülle und fast gar nicht | |
nach Abgasen, obwohl Autos das einzig Lebendige sind, was ich zu sehen | |
bekomme. Außer den Kühen, die links von mir weiden natürlich. Motorheulen, | |
Stille, Motorheulen, Stille. | |
Wenig hat sich verändert, in dem Ort im Odenwald, wo ich meine Jugend | |
verbrachte. Anscheinend weht jetzt [1][seit zehn Jahren ein Hauch von grün | |
aus Stuttgart] über das schon immer schwarz-regierte Dorf. Das einzige | |
Haltestellenhäuschen verlassen, der Bus kommt in … 20 Minuten! Glück | |
gehabt: der letzte kam vor 30 Minuten. | |
Zeit, um nachzudenken, ob sich dieser Besuch bei alten Freund:innen heute | |
überhaupt lohnt. Mir einzureden, dass ich richtig handle für die Umwelt, | |
für die Zukunft des Planeten. Nachzudenken, ob es sich vielleicht lohnen | |
würde, zu trampen. Niemand hält. Mit dem Fahrrad? Ich schaue zögernd | |
Richtung Hang, der 100 Meter weiter in steilen Kurven nach oben führt. Zu | |
Fuß? Ich versuche, Google Maps zu laden, aber insgeheim weiß ich, dass ich | |
mindestens zwei Stunden unterwegs sein werde. Bahn? Ich lache laut auf, | |
welche Bahn? Hätte ich doch bloß selbst ein … | |
Nein! Nur nicht in Versuchung geraten, nicht schon am ersten Tag des | |
Besuchs in der Heimat. Der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) muss | |
genutzt werden, das ist richtig, das heißt Verantwortung übernehmen, für | |
das Klima, für die Welt, für die Menschheit. Dafür steht doch auch Winfried | |
Herman als grüner Verkehrsminister im baden-württembergischen Landtag seit | |
zehn Jahren, oder etwa nicht? Argwöhnisch schaue ich den vorbeifahrenden | |
Autos hinterher. Die wissen gar nicht, wie viel Verantwortung sie tragen, | |
ich bin nicht so. Ich beiße zufrieden und guten Gewissens in mein Fallobst | |
und warte. | |
## Langes Warten auf seltene Busse | |
Stickige Luft kommt mir entgegen, als ich endlich, endlich einsteigen darf. | |
(Ich musste aufstehen und winken, fast wäre der Bus an mir | |
vorbeigerauscht.) Traurige Gestalten stehen und sitzen vereinzelt im Raum. | |
Starren mich kurz misstrauisch an, dann wieder in ihre Smartphones. Mit | |
ihren Kopfhörern im Ohr wirken sie nicht so, als wären sie hier, um ihren | |
ökologischen Fußabdruck klein zu halten. Nur eine ältere Frau sitzt ganz | |
vorne und ignoriert konsequent das „Bitte nicht mit dem Fahrer | |
sprechen“-Schild. Erzählt laut von früher, hält kurz inne, als sie mein ihr | |
unbekanntes Gesicht erblickt. | |
Das sind sie, denke ich mir, als ich eintrete. Jetzt gehöre ich zu den | |
wenigen armen Menschen, die kein Auto haben auf dem Land. Die die hügeligen | |
Straßen des Odenwalds nur aus den staubverschmutzten Scheiben des Busses | |
kennen. Die ihren Tag genau timen müssen auf den spärlich gespickten | |
Fahrplan. Die Tag für Tag durchgeruckelt werden, im Sommer schweißgebadet, | |
im Winter leicht fröstelnd. Die manchmal stehend die Landstraße | |
entlanggefahren werden, immer in der Hoffnung, der Bus möge heute keine | |
Vollbremsung hinlegen müssen. | |
Zur Arbeit müssen sie, manche noch zur Schule, für sie gibt es noch die | |
Hoffnung auf ein erlösendes Auto zum Achtzehnten. Für die | |
Arbeiter:innen nur die Hoffnung, der Fahrplan möge nicht noch mehr | |
gekürzt werden oder der Bus irgendwann nicht mehr in ihrer Nähe halten, so | |
wie das seit neustem den Bewohner:innen des Luftkurortes Saig im | |
Schwarzwald droht. Haben doch eh alle ein Auto dort. | |
Bei einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach Ende letzten | |
Jahres gaben nur ein Fünftel der befragten Autonutzer:innen an, der | |
ÖPNV wäre für sie im Alltag eine ernsthafte Alternative zum Auto. Wäre… | |
Unter den unter Dreißigjährigen findet fast die Hälfte, man solle in | |
Zukunft hauptsächlich in den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs zu | |
investieren. Ja, da ist noch Luft nach oben, denke ich mir. | |
## Die Fahrkarte, viel zu teuer | |
Der Busfahrer schaut mich an, als hätte er heute gar nicht erwartet, an | |
dieser Haltestelle halten zu müssen. Dass ich auch noch nach einer | |
Fahrkarte frage, scheint eine wahre Zumutung zu sein. „Zwei siebzig“ | |
grummelt er, und dann habe ich es auch noch nicht mal passend. Ob man mit | |
Karte zahlen könne, er schließt die Tür und fährt einfach los. | |
Angeblich habe sich die grüne Regierung hierzulande für günstigere Tarife | |
wie den „bwtarif“ im öffentlichen Nahverkehr eingesetzt. Damit muss man | |
jetzt immerhin nicht mehr pro Verkehrsverbund, den man durchfährt, und pro | |
Umstieg in ein anderes Verkehrsmittel einzeln zahlen, wie das vor drei | |
Jahren noch der Fall war. Laut der Allensbach-Umfrage halten dennoch mehr | |
als die Hälfte der Befragten die hohen Preise beim ÖPNV für das größte | |
verkehrspolitische Problem in Baden-Württemberg. Nun ja, „günstig“ ist ja | |
bekanntlich relativ. | |
Zwei Euro siebzig, vier Stationen, eine halbe Stunde und zehn Kilometer | |
später, steige ich aus. Fast verpasse ich die Station, weil ich vergesse, | |
auf „Stop“ zu drücken, danach auf „Türe öffnen“. | |
Methangas liegt in der Luft, als ich die letzten Kilometer zu Fuß | |
zurücklege. Ab und zu hört der Gehweg auf und ich muss am Straßenrand | |
laufen. Wieder rasen Autos vorbei, schnell, wendig, frei. Ein Zeichen von | |
Prosperität und Wohlstand hier im Ländle, rund 30 Prozent des | |
Industrieumsatzes in Baden-Württemberg kam 2019 schließlich aus der | |
Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen. | |
## Grüne für das Auto | |
Die grüne Regierung weiß, wie wichtig es ist, diesen Industriezweig des | |
Verbrennungsmotors zu unterstützen, deswegen bat sie auch vor kurzem bei | |
der EU, staatliche Hilfen und Steuervorteile für die hiesige Autoindustrie | |
zu genehmigen. Sie weiß auch, dass ein schneller Erfolg des E-Autos sowieso | |
unwahrscheinlich ist. | |
Ein Gefühl steigt plötzlich in mir hoch, das alles gute Gewissen, | |
Selbstzufriedenheit und Überlegenheit überschattet: Neid. Nein, Sehnsucht. | |
Plötzlich wünsche ich mir nichts sehnlicher als ein Auto. Eine | |
abgasausstoßende, umweltzerstörende Karre, die mich schnell und wann immer | |
ich möchte zu meinen Freund:innen bringt. Mit Klimaanlage im Sommer und | |
Heizung im Winter. | |
Wobei, es würde mir auch schon reichen, wenn ich die Fenster runtermachen | |
kann, wenn ich sicher angegurtet durch die waldigen Hügel fahre. Mit dem | |
ich nicht ausgelaugt, verstaubt und schweißgebadet am Treffpunkt ankomme. | |
Ein Traum. Einfach nur ein kleines, verlässliches, benzinschluckendes Auto. | |
Das mich individuell und frei macht. Muss ja keine Mercedes-Limousine sein, | |
so wie sie Ministerpräsident Winfried Kretschmann in seinem | |
[2][Wahlwerbespot von 2016] fuhr, obwohl das im dunkelgrünen | |
Baden-Württemberg immer gern gesehen wird. | |
So schlimm kann das für das Klima ja auch nicht sein, wie sagte der | |
Ministerpräsident einmal? „Auch Grüne fahren Auto.“ Na dann. | |
11 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Ministerpraesident-in-Baden-Wuerttemberg/!5772130 | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=GWypaHSWcOA | |
## AUTOREN | |
Ruth Fuentes | |
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