| # taz.de -- Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg: Schwarz-grüner Ponyhof | |
| > Die Grünen geben den Ton an, die Union zieht mit: Baden-Württembergs | |
| > Koalitionsvertrag legt den Fokus aufs Klima. Wie lange hält die Harmonie? | |
| Bild: Winfried Kretschmann stellt den neuen Koalitionsvertrag vor, Thomas Strob… | |
| Stuttgart taz | Die Atmosphäre in der Startup-Arena für Fördertechnik der | |
| Universität Stuttgart wirkt clean und kühl. Das liegt an der | |
| Fabrikatmosphäre und den Coronaregeln. Aber wenn eine Koalition ihr | |
| Regierungsprogramm zwischen Roboter-Armen und Lötkolben vorstellt, wirkt | |
| das natürlich innovativ und zukunftsgewandt. | |
| Die Reden der Koalitionäre an diesem Vormittag wirken dagegen seltsam | |
| leblos. Dabei hat das Regierungsprogramm, das [1][Grüne und CDU] in den | |
| letzten drei Wochen unter bemerkenswerter Verschwiegenheit gezimmert haben, | |
| das Zeug zur Blaupause, wenn eine ähnliche Regierungskonstellation im Bund | |
| Wirklichkeit werden sollte. | |
| Es ist Kretschmanns dritte und letzte Amtszeit, die zweite mit der CDU. Und | |
| jetzt soll das Regierungsprogramm endlich [2][so grün sein wie nur irgend | |
| möglich]. Es scheint, als ginge es ihm da auch um seinen eigenen Ruf als | |
| Gründungsgrüner. Schon die „Fridays for Future“ haben bei ihm, der oft | |
| zögert, abwägt und auch bei den Großkonzernen anerkannt sein will, neuen | |
| Schwung im Klimaschutz gegeben. In den Wahlkampf zog er dann mit drei | |
| Punkten: Klima, Klima, Klima. | |
| Die Voraussetzungen dafür sind so gut wie nie. Mit dem Urteil des | |
| Verfassungsgerichts im Rücken, das Klimapolitik zu einer Frage der | |
| Generationengerechtigkeit erhoben hat, und mit einer geschrumpften CDU, die | |
| sich gerade nochmal in eine Regierung retten konnte, ließ sich einiges | |
| durchsetzen: Eine Solarenergiepflicht für Neubauten und sanierte Dächer, | |
| bis zu tausend neue Windräder in den Staatswäldern. Ein Ausbau des | |
| öffentlichen Nahverkehrs von fünf bis null Uhr vor allem in ländlichen | |
| Gebieten und ein landesweites 1-Euro-Ticket für Kinder, Schüler und | |
| Auszubildende. | |
| ## Hauptsache Regieren | |
| Es gehe darum zu zeigen, was eine Industrieregion beim Klimaschutz zu | |
| leisten in der Lage ist, sagt Kretschmann. „Wir wollen ein kopierfähiges | |
| Modell für die Industrieregionen der Welt ausrollen.“ Denn wenn die nicht | |
| mitmachten, lasse sich diese Jahrhundertaufgabe nicht lösen. | |
| Da nicken jetzt auch potenzielle CDU-Minister, die früher einmal die Beton- | |
| und Atom-Politik von Stefan Mappus eifrig unterstützt haben. Aber um | |
| überhaupt noch am Regierungstisch zu sitzen, war die CDU bereit, | |
| bemerkenswert viele Kröten zu schlucken. Dass das Kultusministerium an die | |
| Grünen geht, mag sie noch verkraften. Das ungeliebte Amt wurde in den | |
| Koalitionsverhandlungen zur heißen Kartoffel, die keiner anpacken wollte. | |
| Aber die Union trägt auch echte gesellschaftspolitische Veränderungen mit. | |
| Das Wahlrecht mit 16 etwa, die Straffreiheit von Kleindelikten wie geringem | |
| Cannabisbesitz und Schwarzfahren. Und das im Vorfeld hoch umstrittene | |
| Antidiskriminierungsgesetz, das anders als in Berlin nicht nur für die | |
| Polizei, sondern für alle Behörden gelten soll. Auch, dass gut integrierte | |
| Geflüchtete nicht mehr von Abschiebung bedroht sein sollen, ist jetzt | |
| grün-schwarzes Programm. | |
| Die meisten Wünsche der CDU, wie ein einkommensunabhängiges Familiengeld, | |
| waren dagegen zu teuer. Denn die Koalition muss wegen der Steuerausfälle in | |
| Folge der Coronapandemie sparen. Man rechnet mit einem Haushaltsloch von 3 | |
| bis 4 Milliarden Euro jährlich. Und so bekennen sich beide Parteien zur | |
| Schuldenbremse – die CDU etwas mehr, die grüne Parteichefin Sandra Detzer | |
| etwas weniger. Sie sagt: „Keine Schuldenbremse der Welt wird uns davon | |
| abhalten, Baden-Württemberg bis 2030 klimaneutral zu machen.“ Und Winfried | |
| Kretschmann, dazwischen, weist darauf hin, dass viele Klimamaßnahmen nicht | |
| die Landesregierung, sondern der Bürger bezahlen muss. | |
| ## Der eilfertige Klassensprecher | |
| Aber auch für den CDU-Chef Thomas Strobl geht es bei dem Koalitionsvertrag | |
| um ein Versprechen. Er hatte sich 2016 erneut in die Niederungen der | |
| Landespolitik begeben, um seine Partei zu modernisieren. Angesichts einer | |
| Wahlkreiskarte, die von Wahl zu Wahl grüner wird, muss er sich damit | |
| beeilen. Deshalb stellt er sich hinter das Klimaprogramm. | |
| Was bei den Grünen Klima- und Artenschutz heißt, nennt er etwas | |
| anheimelnder „Enkelgerechtigkeit“. Ansonsten hält sich die Union am Begriff | |
| Innovation fest. Neben der weiterhin starken Automobilindustrie, die man | |
| mit Forschung bei Batterietechnik, Wasserstoff und Refuels unterstützen | |
| will, soll Baden-Württemberg vor allem mit einem Fokus auf Medizintechnik | |
| den industriellen Strukturwandel schaffen. Der erste Realitäts-Check des | |
| ehrgeizigen Programms wird schon nächste Woche kommen. Denn ausgerechnet an | |
| dem Tag, an dem der Ministerpräsident vereidigt wird, kommt die neue | |
| Steuerschätzung auf den Tisch. | |
| Ob durch den Finanzierungsvorbehalt der permanente Koalitionsstreit nicht | |
| schon vorprogrammiert sei, will ein Journalist wissen. Aber das sei doch | |
| immer so, dass man über die Finanzierung streite, antwortet Kretschmann gut | |
| gelaunt. „Regieren ist halt kein Ponyhof.“ Strobl, der neben Kretschmann | |
| ein wenig wie ein eilfertiger Klassensprecher wirkt, wirft im badischen | |
| Singsang ein: „Aber du freusch dich scho au drauf.“ Mal sehen, wie lang die | |
| Harmonie hält. | |
| 5 May 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Benno Stieber | |
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