| # taz.de -- Neuer Streit um Louis-Ferdinand Céline: Mehr vom verfluchten Dicht… | |
| > Die Entdeckung ungedruckter Manuskripte des verrufenen Autors | |
| > Louis-Ferdinand Céline hat zu Aufregung und einem Rechtsstreit geführt. | |
| Bild: Louis-Ferdinand Céline, hier 1955, war nach Frankreich zurückgekehrt | |
| Der Pariser Armenarzt Louis-Ferdinand Destouches, der sich als | |
| Schriftsteller [1][Louis-Ferdinand Céline (1894–1961)] nannte, wurde mit | |
| seinem ersten Buch 1932 – [2][„Voyage au bout de la nuit“ („Reise ans E… | |
| der Nacht“)] – schlagartig berühmt. Der Roman, der mit erzählerischen | |
| Traditionen brach, wurde mit dem renommierten Prix Goncourt ausgezeichnet. | |
| Der Autor, der sich zunächst zur politischen Linken zählte, gehörte wegen | |
| seiner drastischen Darstellung von Elend und sozialer Ungerechtigkeit, aber | |
| auch von moralischem Zerfall, schnell zu den „poètes maudits“, das heißt, | |
| den verrufenen Literaten. | |
| In der Zeit der französischen Volksfrontregierung mit dem Sozialisten Léon | |
| Blum an der Spitze distanzierte sich Céline vom Kommunismus und bekannte | |
| sich demonstrativ zum Antisemitismus: „Ich bin Antisemit mit Haut und | |
| Haaren. Ich bin Rassist und Hitlerianer.“ | |
| 1951 verfügte er, dass seine rigoros antisemitisch eingefärbten Werke aus | |
| der Zeit von 1936 bis 1938, „Mea Culpa“, „Bagatelles pour un massacre“ … | |
| „L’école des cadavres“ sowie der Roman „Les beaux draps“, der 1941 u… | |
| der nationalsozialistischen Besetzung erschien, nicht mehr gedruckt werden | |
| dürfen, woran sich der Verlag Gallimard mit seiner Ausgabe in der | |
| Pléiade-Reihe zunächst auch gehalten hat. | |
| Mit Zustimmung der Witwe Célines, die am 8. November 2019 im Alter von 107 | |
| Jahren starb, plante der Verlag aber bereits 2017, die antikommunistischen | |
| und antisemitischen Machwerke unter dem verharmlosenden Titel „Écrits | |
| polémiques“ in einer kommentierten Ausgabe wieder zugänglich zu machen. | |
| Nach energischen Protesten jüdischer Organisationen und des [3][bekannten | |
| Anwalts Serge Klarsfeld] ließ der Verlag das Projekt im Januar 2018 jedoch | |
| fallen. | |
| ## 600 Seiten „Kanonenfutter“ | |
| Doch jetzt hat die Diskussion über Céline wieder mächtig an Fahrt | |
| aufgenommen. Denn am 6. August 2021 berichtete die Zeitung Le Monde auf | |
| vollen drei Seiten über das sensationelle Auftauchen einer großen Menge | |
| ungedruckter Céline-Manuskripte, darunter ein Roman von 600 Seiten über | |
| die Erfahrungen des Autors als Soldat im Ersten Weltkrieg – das Werk mit | |
| dem Titel „Kanonenfutter“, von dem bisher nur Fragmente bekannt waren. Die | |
| Geschichte der Herkunft der Manuskripte ist einigermaßen kompliziert. | |
| Details verrät der Inhaber, der Journalist Jean-Pierre Thibaudat, nicht. | |
| Nach eigenen Angaben konsultierte er einige Monate nach dem Tod von Célines | |
| Witwe den auf Urheberrecht spezialisierten Pariser Anwalt Emmanuel Pierrat | |
| und berichtete diesem von den Céline-Manuskripten in seinem Besitz. Der | |
| Anwalt vermittelte im Herbst 2019 den Kontakt Thibaudats zu den zwei | |
| rechtmäßigen Erben der Witwe, dem 89-jährigen Céline-Biografen François | |
| Gibault und der Tanzlehrerin Véronique Chovin, einer engen Freundin der | |
| Witwe Célines. | |
| Die mündliche Verständigung der Erben mit Thibaudat darüber, die | |
| Manuskripte bei Gallimard drucken zu lassen, war von kurzer Dauer, denn die | |
| Erben verklagten Thibaudat wegen Hehlerei, weil die Manuskripte seit 1944 | |
| als gestohlen galten. Céline selbst hatte seinen Nachbarn Oscar Rosembly | |
| als mutmaßlichen Dieb der Papiere genannt und bekräftigte dies mehrfach bis | |
| zu seinem Tod. Rosembly ist bereits 1990 verstorben. | |
| Célines eigener Ruf als [4][Kollaborateur mit dem nazifreundlichen | |
| Vichy-Regime war allerdings 1944/45, als er mit den führenden Köpfen des | |
| Kollaborationsregimes und Marschall Philippe Pétain zunächst nach | |
| Sigmaringen] und später nach Dänemark floh, politisch und moralisch so | |
| ramponiert, dass ihm die Geschichte vom Verschwinden der Manuskripte aus | |
| seiner Pariser Wohnung niemand so recht glauben wollte. | |
| ## Übergabe an die Behörden | |
| Thibaudat reagierte seinerseits verärgert auf den Hehlereiverdacht und die | |
| entsprechende Klage der beiden Erben. Er wies die damit verbundene | |
| Unterstellung, er wollte die Manuskripte in seinem Besitz zu Geld machen, | |
| von sich. Thibaudat versteht sich nicht als Eigentümer, sondern immer nur | |
| als Hüter eines Kulturguts, das er 15 Jahre lang uneigennützig verwahrte | |
| und obendrein in seiner Freizeit zum Teil transkribierte. Er übergab die | |
| Manuskripte deshalb vollständig an die Behörden mit dem Hinweis, sie den | |
| rechtmäßigen Eigentümern auszuhändigen, also Véronique Chovin und François | |
| Gibault, was auf Anweisung des Generalstaatsanwalts auch geschah. | |
| Nun geht es dabei auch um die Spekulation, was die Manuskripte wert sind. | |
| Die Erben wollen sich die fällige Erbschaftsteuer ersparen, indem sie einen | |
| Teil des Manuskripts von „Tod auf Kredit“ der Bibliothèque Nationale | |
| schenken. Dem Staat entgeht so möglicherweise ziemlich viel Geld. Die | |
| Nationalbibliothek bezahlte nämlich für das Manuskript von „Reise ans Ende | |
| der Nacht“, das Céline 1944 einem Pariser Antiquar für nur 10.000 alte | |
| Francs verkauft hatte, auf einer Auktion schon vor 20 Jahren immerhin 1,8 | |
| Millionen Euro. | |
| Damit ist die Geschichte allerdings nicht zu Ende, denn auf den Verlag und | |
| die Céline-Forschung warten jetzt riesige Aufgaben. Die Céline-Ausgabe in | |
| der Pléiade-Reihe muss gründlich überarbeitet werden und die wüsten | |
| Pamphlete Célines aus den 30er Jahren harren der kritischen Kommentierung | |
| und Interpretation. Die Debatte darüber, wie damit umzugehen sei, dass | |
| Céline ein genialer, avantgardistischer Sprachvirtuose und gleichzeitig ein | |
| ganz ordinärer Antisemit und Antikommunist war, wird ohne Zweifel in eine | |
| neue Runde gehen – trotz der bereits fast unübersehbaren Literatur dazu. | |
| 15 Aug 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Rudolf Walther | |
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| 8. Mai 1945 | |
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