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# taz.de -- Ausstellung über Beate Klarsfeld: Eine Ohrfeige für Kiesinger
> Klarsfeld verpasste Kiesinger für sein Mitläufertum im
> Nationalsozialismus einen Schlag ins Gesicht. Eine Pariser Ausstellung
> erinnert an ihre Nazi-Jagd.
Bild: Kurt Georg Kiesinger (links) nach der Ohrfeige durch Beate Klarsfeld
Auch der Jahrestag der berühmtesten Ohrfeige der neueren Zeitgeschichte
fällt in das Schlüsseljahr 1968. Eine kleine Ausstellung in der Pariser
Gedenkstätte Mémorial de la Shoah erinnert an Beate Klarsfeld und ihren
Ehemann Serge sowie an die Ohrfeige, die Beate Klarsfeld dem damaligen
Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (1904–1988) am 7. November 1968 auf dem
Parteitag der CDU in Berlin verpasste.
Beate Auguste Künzel wurde 1939 als Tochter eines Versicherungsangestellten
in Berlin geboren. Sie wurde konservativ, aber nicht nationalsozialistisch
erzogen. Nach der obligatorischen Schulzeit absolvierte sie die „Höhere
Wirtschaftsschule“.
Mit 21 Jahren ging sie als Au-pair-Mädchen nach Paris. Hier lernte sie
ihren späteren Ehemann, den am 17. September 1935 in Rumänien geborenen
Serge Klarsfeld kennen. Die jüdische Familie Klarsfeld war 1940 in das
besetzte Frankreich geflohen und musste sich vor den Nazis verstecken. Der
Vater, Arno Klarsfeld, wurde gefasst, nach Auschwitz deportiert und dort
ermordet. Die Mutter kehrte nach Kriegsende mit ihren beiden Kindern nach
Rumänien zurück, floh aber 1947 wieder nach Frankreich, wo ihr Sohn Serge
Politikwissenschaft und Jurisprudenz studierte und sich als Rechtsanwalt
niederließ.
Am 11. Mai 1960 begegneten sich Beate Künzel und Serge Klarsfeld und
heirateten am 7. November 1963. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete Beate Künzel
als Sekretärin beim Deutsch-Französischen Jugendwerk („Office
franco-allemand pour la Jeunesse“, OFAJ) und verfasste einen Ratgeber für
Deutsche, die als Au-pair-Mädchen nach Paris kamen. Im Juni 1967 reiste
Serge Klarsfeld nach Israel und nahm am Sechstagekrieg aktiv teil.
## Kampf gegen ehemalige Nazis
Am 14. Januar 1967 veröffentlichte Beate Klarsfeld einen Essay unter dem
Titel „Le sommeil trouble l’Allemagne“ im Pariser Combat, in dem sie sich
mit der Kanzlerschaft Kurt Georg Kiesingers, der im November 1966
Bundeskanzler der Großen Koalition geworden war, auseinandersetzte. Sie
sprach unter anderen vom „Doppelgesicht des offiziellen Deutschland“
nämlich jenem des Nazi-Mitläufers Kiesinger und jenem seines Vizekanzlers
Willy Brandt, der sich im Spanischen Bürgerkrieg engagierte und nach 1933
nach Schweden und Norwegen fliehen musste.
Auch der Schriftsteller Günter Grass und der Philosoph Karl Jaspers wandten
sich öffentlich gegen die Kanzlerschaft Kiesingers, der im Auswärtigen Amt
für die Rundfunkpolitik zuständig gewesen war und damit auch für
propagandistische Kriegshetze.
Die Direktion des OFAJ sah in Beates Klarsfelds Artikel einen „gravierenden
Bruch mit den Verpflichtungen eines Beschäftigten“ und eine Verletzung des
„Geistes des Loyalität“. Nach einem Disziplinarverfahren unter dem Vorsitz
des ehemaligen NSDAP-Mitgliedes Walter Hailer wurde Beate Klarsfeld
entlassen. Das Verfahren und das Urteil stießen auf herbe Kritik. In der
deutschen und in der französischen Presse erschienen innerhalb sehr kurzer
Zeit 150 Artikel. Das ermunterte Beate und Serge Klarsfeld, ihren Kampf
gegen ehemalige Nazis mit publizistischen und mit militanten Aktionen
weiterzuführen.
## Auf Ohrfeige folgte Gefängnis
Am 2. April 1968, zwei Tage vor dem Attentat auf Martin Luther King in
Memphis und neun Tage vor jenem auf Rudi Dutschke in Berlin, schrie Beate
Klarsfeld von der Zuschauertribüne des Bonner Parlaments: „Kiesinger, Nazi,
tritt zurück!“. Saaldiener führten sie sofort ab, ließen sie aber nach
kurzer Zeit wieder frei. Auf einer Podiumsdiskussion zusammen mit Günter
Grass, Johannes Agnoli, Ekkehart Krippendorff und Jacob Taubes am 9. Mai in
Berlin kündigte Beate Klarsfeld öffentlich an, Kiesinger mit einer Ohrfeige
symbolisch bestrafen zu wollen für sein Mitläufertum. Günter Grass wandte
sich gegen eine solche Aktion.
Beate Klarsfeld ließ von ihrem Vorhaben nicht ab und schritt am 7. November
1968, ihrem fünften Hochzeitstag, auf dem Berliner Parteitag der CDU zur
Tat. In dem noch am gleichen Tag eingeleiteten Schnellverfahren wurde sie
zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Ihr Verteidiger war Horst Mahler. Der
SDS sprach von einem „Terrorurteil sondergleichen“. Im Berufungsverfahren
vom August 1969 wurde die drakonische Strafe auf vier Monate auf Bewährung
herabgesetzt. Die handfeste Aktion wurde weltweit zum Skandal stilisiert.
Die Kuratoren der Pariser Ausstellung setzen deswegen nun an den Anfang der
Ausstellung ein Urteil des Philosophen Vladimir Jankélévitch: „Der
Skandal“, die Ohrfeige, hat „nur den viel schwereren, in der herrschenden
Ordnung verborgenen Skandal offengelegt – den Skandal ungesühnter
Verbrechen im triumphierenden Wirtschaftswunder“.
## Lücken in der Ausstellung
Bei den Bundestagswahlen 1969 kandidierte Beate Klarsfeld in Kiesingers
Wahlkreis Waldshut für die Partei „Aktion Demokratischer Fortschritt“ für
ein Bundestagsmandat. Sie war chancenlos und erhielt nur 644 Stimmen. Die
kleine Pariser Ausstellung dokumentiert das Leben und Aktionen von Beate
und Serge Klarsfeld mit Fotos, Briefen und anderen Dokumenten, aber auch
mit Filmen und Interviews mit französischen Mitkämpfern und Zeitzeugen.
Auf ihr Engagement zur Aufspürung untergetauchter Naziverbrecher in
Lateinamerika und im Nahen Osten weist die Ausstellung jedoch nur hin. Auf
die vergebliche Kandidatur Beate Klarsfelds für das Amt der
Bundespräsidentin (2012) und den unter den Außenministern Joschka Fischer
und Guido Westerwelle gescheiterten Versuchen, ihr das Bundesverdienstkreuz
zu verleihen – erst im dritten Anlauf (2015) erhielt sie es –, geht die
Ausstellung gar nicht ein.
So entgeht dem Besucher auch die peinliche Farce deutscher Konservativer,
Beate Klarsfeld als „SED-Marionette“ (Alexander Dobrindt) zu denunzieren,
weil sie 1969 aus Ostberlin 2.000 Mark empfing, um ihre Reise- und
Prozesskosten zu finanzieren.
Darüber hatte sie schon in ihrer Autobiografie von 1972 berichtet. Trotz
dieser Lücken vermittelt die Ausstellung einen guten Einblick in das Denken
und Handeln einer couragierten Kämpferin.
1 Apr 2018
## AUTOREN
Rudolf Walther
## TAGS
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Beate Klarsfeld
Schwerpunkt 1968
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024
Schwerpunkt 1968
Geschichte
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