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# taz.de -- Serie „Schwarzer Schatten“: Serienmord als Portfolio
> Der Krankenpfleger Niels Högel tötete im Dienst vermutlich mehr als 100
> Menschen. Nun gibt es über den Serienmörder eine Dokumentationsreihe.
Bild: Högel war oft Erster im Patient:innenzimmer, um eine Reanimation durchzu…
Wir haben die Schwemme der Gerichtsshows und den Kochshow-Boom hinter uns
gebracht. Da ist die anhaltende Omnipräsenz der True-Crime-Formate bestimmt
nicht der unwahrscheinlichste aller Hypes, sondern nur die nächste Kuh, die
durchs Mediendorf getrieben wird.
Es versteht sich, dass nicht alle Zuschauer, die ab 1967 Eduard Zimmermanns
„Aktenzeichen XY … ungelöst“ verfolgten, nichts anderes im Sinn hatten, …
pflichtschuldigst ihren möglichen Beitrag zur Aufklärung eines Verbrechens
zu leisten. Das Wissen um die Echtheit der Taten sorgte schon damals für
den besonders schauerlichen Kick.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich jemand den „größten Serienmörder
der bundesdeutschen Kriminalgeschichte“ vornehmen würde. Bis etwa ein „Vice
President Entertainment bei Sky Deutschland“ verkünden würde: „Damit bauen
wir unser True-Crime-Original-Portfolio weiter erfolgreich aus.“ Serienmord
als Portfolio.
Das zwischen 2000 und 2005 angelegte Portfolio des [1][Serienmörders Niels
Högel] umfasst wohl weit mehr als 100 Opfer. Er bewegt sich damit auf dem
Niveau des Mafiakillers Giovanni Brusca. Wie hat er das gemacht?
Högel war Krankenpfleger. „Eigentlich war die Vorgehensweise immer
dieselbe“, erklärt es Zeit-Reporter Daniel Müller ganz am Anfang der ersten
von vier Folgen: „Er hat ein nicht indiziertes Medikament gespritzt, ist
dann noch mal aus dem Raum, hat gewartet, dass alle Alarmglocken angehen,
und dann war er der Erste, der im Raum war, um die Reanimation
durchzuführen.“
„Kliniken sind Orte, an denen für gewöhnlich häufig gestorben wird. Das
Sterben ist dort ein fast alltägliches Phänomen“, weiß der per Bauchbinde
als „Experte für Serienmorde im Krankenhaus“ eingeführte Karl H. Beine:
„Der ideale Tatort.“
„Würde man die Strafen für jeden seiner Morde zusammenzählen – der
42-Jährige müsste mindestens 1.275 Jahre ins Gefängnis“, tönt eine Stimme
aus dem Off. So funktioniert die Strafzumessung bei Tatmehrheit nach
deutschem Strafrecht nicht, weshalb man bereits diese Rechnung reißerisch
finden kann und gerne gewusst hätte, wer sie eigentlich aufgemacht hat.
Eine Quelle für die Archivaufnahmen wird nämlich nicht angegeben.
## Ärzte kommen nicht zu Wort
Sind die gezeigten Bilder authentisch? Oder nachgestellt? Überhaupt: die
Bilder und ihre Herkunft. Da erzählt ein Mann, der Enkel eines der Opfer,
wie er als Kind immer mit seinem Großvater im Wald unterwegs war. Die vom
Bezahlsender Sky „mit Unterstützung von Radio Bremen“ produzierte Serie
zeigt dazu orangegelbe Bilder im Stile alter Videoaufnahmen von einem Kind
und einem Mann, die zusammen im Wald unterwegs sind.
Jeglicher Hinweis, ob es sich um authentische oder gestellte Bilder
handelt, unterbleibt. Als hätte es die Aufregung um den von Elke
Lehrenkrauss buchstäblich [2][inszenierten Dokumentarfilm „Lovemobil“]
nicht gerade erst gegeben. Allein die redundanten Außenaufnahmen zweier
Krankenhäuser und die Talking Heads, das war den Machern offenbar zu wenig
– bei einer Laufzeit ihres Programms von knapp dreieinhalb Stunden.
Auffällig ist, dass Angehörige, Polizisten, Journalisten und Anwälte
sprechen, aber eine Gruppe nicht zu den Talking Heads gehört: die Ärzte.
Das hat seinen Grund. Nach dem verurteilten Niels Högel [3][stehen sie nun
selbst vor Gericht]. Denn nachdem am Klinikum in Oldenburg irgendwann der
titelgebende schwarze Schatten auf ihn gefallen war, der drastische Anstieg
der Todesfälle während seiner Schichten den Verdacht auf ihn gelenkt hatte,
hat man ihn einfach mit einem 1-a-Arbeitszeugnis hinauskomplimentiert.
Auf dass er 30 Kilometer weiter in Delmenhorst eingestellt wurde und seine
Mordserie dort ungeniert und ungehindert fortsetzen konnte. Man kann diese
achselzuckend-zynische Geschäftsmäßigkeit mit guten Gründen ebenso
furchtbar finden wie die Taten des Niels Högel selbst – zumal sie in ihrem
ganzen Umfang dadurch erst möglich wurden. Und die Geschäftsmäßigkeit der
True-Crime-Portfolio-Manager ist selbstredend nichts im Vergleich.
Noch mal zu den Bildern: Zu den im Originalwortlaut mit nachgesprochener
Stimme wiedergegebenen Polizeiverhören mit Niels Högel zeigt die
Serienregie (Steffen Hudemann, Liz Wieskerstrauch, Stjepan Klein) stets ein
recht antik anmutendes analoges Tonbandgerät. Wie in der
Netflix-Serienmörder-Serie „Mindhunter“, deren Handlung aber im Jahr 1977
einsetzt.
Vielleicht wird es besser, wenn man „Schwarzer Schatten“ als Audiopodcast
begreift und noch einmal mit geschlossenen Augen anhört.
9 Aug 2021
## LINKS
[1] https://www.spiegel.de/panorama/justiz/niels-hoegel-bundesgerichtshof-besta…
[2] /NDR-Doku-Lovemobil/!5757061
[3] /Patientinnenmoerder-Niels-Hoegel/!5627001
## AUTOREN
Jens Müller
## TAGS
True Crime
Niels Högel
Serienmörder
Klinik
Prozess
Justiz
Rezension
Oldenburg
Mord
Mord
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