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# taz.de -- Prozess um Morde an Patienten: Ein Lügner als wichtigster Zeuge
> Im Prozess gegen seine Ex-Vorgesetzten sagt Niels Högel aus. Sie sollen
> Mitschuld an den Morden an 85 Patienten tragen, für die er verurteilt
> wurde.
Bild: Große Bühne für einen, der sie zu schätzen weiß: Der Gerichtssaal in…
Oldenburg taz | Es ist der Moment der Zeugenbelehrung des Niels Högel durch
den Vorsitzenden Richter Sebastian Bührmann, der der Kern dieses
Strafverfahrens sein dürfte: Die Wahrheit müsse Högel als Zeuge sagen; tue
er dies nicht, mache er sich unter Umständen strafbar. Niels Högel, der
2019 vom Landgericht Oldenburg [1][wegen 85-fachen Mordes zu einer
lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt] worden war, weil er Patienten in
den Krankenhäusern dort und in Delmenhorst zu Tode gespritzt hatte.
Nun ist Högel Zeuge in einer Hauptverhandlung, in der sieben Beschäftigte
beider Krankenhäuser [2][der Beihilfe zum Totschlag angeklagt] sind. Die
Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, sie hätten acht Morde Högels „mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ verhindern können – wenn sie
ihrem Kenntnisstand über das Tun des Pflegers entsprechend gehandelt
hätten.
Högel, der Patientenmörder; Högel, der Lügner aber auch, und das ist die
fragile Stelle dieser Hauptverhandlung. Im Prozess 2019 hatte ihm der
Berliner Rechtspsychologe Max Steller [3][hohe Lügenkompetenz unterstellt]
und ihn als ausgeprägten Narzissten beschrieben.
Die 5. Große Strafkammer operiert auf einem schmalen Grat, denn zur Lüge
wird Högel in diesem Prozess Gelegenheit haben. Seine Vernehmung begann am
1. März und wird sich hinziehen. Und wenn er bei einer Lüge ertappt wird?
Viel kann er nicht verlieren.
## Högel mal wieder im Mittelpunkt
Die Bühne dieser Hauptverhandlung bietet ihm auch erneut Gelegenheit,
seiner narzisstischen Lust nachzugehen: Wieder dieser Saal in der
Weser-Ems-Halle, wie beim Prozess 2019; jetzt aber sieben Angeklagte, die
Kammer, die Staatsanwaltschaft, 18 Strafverteidiger und
Strafverteidigerinnen, Journalisten, Zuschauer und er, dieser große,
schwere Mann im Mittelpunkt, dunkelblauer Pullover, hoher, weißer
Hemdkragen, die Haare seitlich kurz geschoren, das Haupthaar wildbewegt.
Der wichtigste Zeuge. Aber die Wahrheit, nichts als die Wahrheit? Max
Steller, der auch diesmal als Gutachter zugegen ist, stellt bald eine
Frage, die die Glaubwürdigkeit des Zeugen erschüttert
Högel hat da schon eine Weile erzählt – wie er Krankenpfleger wurde, ein
Beruf, den schon seine Großmutter, sein Vater, sein Opa ausübten; wie er
die Zusatzausbildung zum Rettungssanitäter machte, wie er vom
Willehad-Krankenhaus in Wilhelmshaven nach Oldenburg ans Klinikum
wechselte; wie er in eine Krise geriet, eine Trennung erlitt, die ihn
einsam werden ließ; wie er ein Pflegerteam erlebte, das er bewunderte; wie
er dazugehören wollte und merkte, dass er durch Leistung Anerkennung
bekommt. Da habe es leider angefangen, weshalb er schließlich vor Gericht
kam.
Dann also Steller. Er fragt, ob Högel das Urteil gelesen habe, was der
bejaht. Ob er es genau gelesen habe, „studiert“, was Högel bejaht. Ob er
sagen könne, wie viele Seiten es habe, worauf Högel sagt, es seien „um die
20 Seiten“. Tatsächlich umfasst der Text 149 Seiten. Högel, der Lügner –
auch jetzt wieder?
Die Verteidiger der Vorgesetzten werden da ihre Ansatzpunkte suchen. Sie
gehen Högel scharf an. Ob seine Erinnerungen nicht auf Suggestionen beruhen
könnten, gespeist aus einem [4][Laptop mit allen dokumentierten Fällen],
den ihm die Staatsanwaltschaft während der Ermittlungen im Gefängnis
überlassen hatte, um die Taten wachzurufen. Högel sollte helfen, sich
selbst auf die Spur zu kommen. Suggestion, falsche Erinnerungen – Högel,
der Lügner. Die Verteidigung wird das stark machen, um die Angeklagten zu
entlasten.
1 Mar 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Felix Zimmermann
## TAGS
Prozess
Mord
Oldenburg
Niels Högel
Krankenhäuser
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Film
Klinik
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Justiz
True Crime
Oldenburg
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