Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Vorgesetzte von Serienmörder Niels Högel: Anklage nur in drei Fä…
> Ehemalige Vorgesetzte des Serienmörders sind wegen Totschlags angeklagt.
> Das Oberlandesgericht Oldenburg lässt aber nur wenige Fälle zur Klage zu.
Bild: Seine Taten beschäftigen weiter die Justiz: Niels Högel
Hamburg taz | Von 63 vorgeworfenen Taten bleiben nur drei Anklagen übrig:
Das Oberlandesgericht Oldenburg hat nun bestätigt, dass sich [1][fünf
ehemalige Vorgesetzte des niedersächsischen Serienmörders Niels Högel] in
nur drei Fällen wegen Totschlags durch Unterlassung verantworten müssen.
„Eine mögliche Mitverantwortung der Beschuldigten für Taten Högels scheidet
in den anderen 60 Fällen aus strafrechtlicher Sicht aus“, sagt die
Sprecherin des OLG, Bettina von Teichman. Hintergrund sind unterschiedliche
Ansichten von Staatsanwaltschaft und Gericht – auch über ein 2002
ausgestelltes Arbeitszeugnis für Högel.
Högel arbeitete [2][als Krankenpfleger zwischen 1999 und 2005] an den
Kliniken Oldenburg und Delmenhorst. Dort hatte er – mindestens – 87
Menschen ermordet. Seit 2020 ist Högel für alle diese Morde rechtskräftig
verurteilt. Die Oldenburger Staatsanwaltschaft ermittelte jedoch auch gegen
weitere Mitarbeiter:innen der Kliniken, denen sie eine Mitschuld an
den Taten vorwirft.
Die nun eingedampften zugelassenen Klagen richten sich gegen den ehemaligen
Geschäftsführer des Oldenburger Klinikums, einen ehemaligen ärztlichen
Leiter der kardiologischen Intensivstation, einen Leiter des Bereichs
Pflege der kardiologischen Intensivstation und eine ehemalige
Pflegedirektorin.
## Kein Fall fürs Strafrecht
Die Staatsanwaltschaft hatte diese Oldenburger Vorgesetzten Högels auch als
mitverantwortlich an Morden im Klinikum Delmenhorst erklärt. Früh hatten
sie in Oldenburg einen Verdacht gegen Högel, ohne jedoch die Polizei
einzuschalten.
Stattdessen wurde Högel zunächst versetzt und anschließend ans
Delmenhorster Klinikum weggelobt. Weil er dort weiter mordete, hätten sich
die Vorgesetzten durch Unterlassen schuldig gemacht. Eine zusätzliche
Anklage wegen fahrlässiger Tötung oder der Nichtanzeige geplanter
Straftaten war wegen Verjährung nicht erhoben worden.
Im April hatte das Landgericht allerdings entschieden, dass es einer daraus
resultierenden [3][Schuld im strafrechtlichen Sinne] eines Totschlags durch
Unterlassen nicht folgt – und die Klageschrift nur für drei Morde im
Oldenburger Klinikum zulässt. Dagegen legte die Staatsanwaltschaft
Beschwerde ein. „Die Staatsanwaltschaft hält vollumfänglich an ihrer
Anklage fest“, erklärte ein Sprecher im April. Deshalb musste nun das OLG
darüber entscheiden.
„Bei Unterlassungsdelikten gelten strafrechtlich besondere Anforderungen“,
sagt von Teichman. Die Angeklagten hätten einerseits eine eindeutige
Verantwortung für die Patient:innen – eine sogenannte Garantenstellung
für die Opfer – innegehabt haben müssen. „Das hatten die Angeklagten nach
Ansicht des Gerichts hier nicht“, sagt von Teichman, zumindest nicht im
strafrechtlichen Sinn: Mitarbeiter:innen eines Klinikums können nicht
verantwortlich für Patient:innen eines anderen Klinikums sein.
Hinzu kommt die Frage, wie ein vom Oldenburger Klinikum für Högel
ausgestelltes Arbeitszeugnis rechtlich zu bewerten ist. Darin wurde Högel
in den höchsten Tönen gelobt. Ihren Verdacht erwähnten die Angeklagten
darin mit keinem Wort. Hätten sie das erwähnen müssen, um weitere Opfer zu
verhindern?
Der Argumentation wollte das OLG nicht folgen: Ein Arbeitszeugnis sei dazu
da, Arbeitnehmer:innen ein Feedback zu vorangegangenen Leistungen zu
geben, andererseits anderen Arbeitgebern Kenntnisse zu erteilen.
„Ein Arbeitszeugnis dient nach Ansicht des Gerichts nicht dazu, potentielle
Opfer oder die Öffentlichkeit zu schützen“, sagt von Teichman. Einen
sogenannten Pflichtwidrigkeitszusammenhang wollte das OLG also nicht
erkennen, der Voraussetzung für eine Anklage wegen Unterlassung gewesen
wäre.
## Prozessbeginn noch unklar
Wann der Prozess vor dem Landgericht Oldenburg beginnt, ist bislang noch
unklar. Da es auch noch weitere Verfahren gegen ehemalige
Mitarbeiter:innen des Klinikums Delmenhorst gibt, die sich für
ähnliche Vorwürfe verantworten müssen, denkt das Landgericht noch über eine
Zusammenlegung zu einem gesammelten großen Verfahren nach.
„Eine Verbindung der Verfahren kommt in Betracht“, sagt ein Sprecher des
Landgerichts. So könnten doppelte Vernehmungen vermieden werden. Wenn es
zum Prozess kommt, dann wird wohl auch Högel wieder vor Gericht sitzen – in
diesem Fall als befragter Zeuge.
Daneben hatte die Staatsanwaltschaft erst im vorigen Monat Anklage gegen
einen ehemaligen Pfleger des Klinikums Oldenburg wegen mutmaßlichen
Meineides erhoben. Der heute 50-Jährige soll im Februar 2019 im
Strafverfahren gegen Högel als vereidigter Zeuge bewusst wahrheitswidrig
ausgesagt haben.
Richtigstellung: In einer früheren Version dieses Textes stand, dass sich
auch ein ärztlicher Leiter der Anästhesiestation vor dem Oberlandesgericht
Oldenburg verantworten müsse. Das ist falsch. Das Gericht hat die Anklage
gegen den Mann nicht zugelassen. Wir bedauern den Fehler. Die Redaktion
29 Jul 2021
## LINKS
[1] /Patientinnenmoerder-Niels-Hoegel/!5627001
[2] /Schuldig-in-weiteren-85-Mordfaellen/!5598592
[3] /Theaterstueck-ueber-den-Fall-Niels-Hoegel/!5666475
## AUTOREN
André Zuschlag
## TAGS
Oldenburg
Justiz
Niels Högel
Krankenhäuser
Delmenhorst
Prozess
Prozess
Justiz
Oldenburg
Oldenburg
Mord
## ARTIKEL ZUM THEMA
Psychiater über Prozess um Klinikmorde: Mörderischer Kostendruck
Mindestens 89 Patienten hat Pfleger Niels Högel getötet. Nun standen
seine Vorgesetzten vor Gericht. Psychiater Karl H. Beine über Fehler im
System.
Prozess um Morde an Patienten: Ein Lügner als wichtigster Zeuge
Im Prozess gegen seine Ex-Vorgesetzten sagt Niels Högel aus. Sie sollen
Mitschuld an den Morden an 85 Patienten tragen, für die er verurteilt
wurde.
Mordender Krankenpfleger Högel: Ein paar Morde übersehen
Das Landgericht Oldenburg verhandelt gegen die ehemaligen Vorgesetzten des
Krankenpflegers Niels Högel, der eine Vielzahl von Patienten ermordete.
Theaterstück über den Fall Niels Högel: Im Tiefsten erschüttert
Das umstrittene Theaterstück „Überleben“ ist eine außerordentlich kluge
Aufarbeitung der Patient*innenmorde in Delmenhorst und Oldenburg.
Patient*innenmörder Niels Högel: Anklage gegen Vorgesetzte
Die Oldenburger Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen ehemalige Vorgesetzte
von Niels Högel erhoben. Wann ein Prozess stattfindet, ist aber noch offen.
Schuldig in weiteren 85 Mordfällen: Lebenslang für Todespfleger
Ex-Krankenpfleger Niels Högel ist wegen einer Mordseries an PatientInnen
verurteilt worden. Richter kritisiert verzögerte Ermittlung und
Vertuschung.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.