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# taz.de -- Mini-ZDF-Serie „Am Anschlag“: Nicht aus heiterem Himmel
> Die ZDF-Miniserie „Am Anschlag“ porträtiert fünf Menschen, die eine
> schwere Kränkung erfahren. Das Ende löst auf, wer davon zum Amokläufer
> wird.
Bild: Milan (Ben Winkler, l.) und sein Vater Mario (Paul Wollin, r.)
Bei der neuen ZDFneo-Serie „Am Anschlag“ denkt man unweigerlich an den
rechtsextremen Anschlag im Münchner Olympia-Einkaufszentrum 2016. Der
Amoklauf in der Wiener Sunshine City ist aber so fiktiv wie die Mall. Es
sind auch nicht mehr als ein paar Bildfetzen, die man da sieht,
Schlaglichter der Tat selbst und der Medienberichterstattung.
Im „Expertentalk mit Gerichtspsychiater und Profiler“ des Fernsehsenders
nte+ erklärt Dr. Reinhard Haller, vorgestellt als Experte: „Wir können
nicht viel sagen. Was wir aber mit Sicherheit sagen können: Menschen, die
eine so schreckliche Tat begehen, sind immer solche, die tief gekränkt
sind.“
Seine sanfte, weiche Stimme zeugt von einer – im ersten Moment verwirrenden
– Empathie mit den Tätern: „Eine solche Tat kommt nicht wie ein Blitz aus
heiterem Himmel, sondern sie hat eine lange Vorgeschichte, und diese
Vorgeschichte heißt: Kränkungsprozess.“
Dr. Reinhard Haller ist nicht fiktiv. Er ist ein echter Facharzt für
Psychiatrie und Neurologie. Und Gerichtsgutachter, etwa beim [1][Amoklauf
von Winnenden]. Er hat ein Buch geschrieben mit dem Titel „Die Macht der
Kränkung“. Durch sein Buch wurde die sechsteilige Serie inspiriert.
Nach den Schlaglichtern des Attentats eine neue Einblendung: „5 Tage
davor“.
Die ersten fünf Folgen sind nach ihren Protagonisten benannt. Die erste
nach Georg, gespielt von Murathan Muslu. Er war früher Roadie bei
[2][Rammstein] – jetzt ist er Security-Mann in der Sunshine City. Seine
Lebensgefährtin Eva (Antje Traue) ist vor fünf Monaten nach einem
Autounfall erblindet. Mit einer Beförderung zum Teamleiter, für die er
seine Bewerbungsmappe abgibt, will er ihr beweisen, dass er kein bloßer
„Baumeister von Traumschlössern“ ist. Da kommt das Handyvideo, das ihn wie
einen auf harmlose Jugendliche losdreschenden Brutalo aussehen lässt,
denkbar ungelegen.
## Das Ganze ist als spannender Whodunit verpackt
„Mira“ (Folge 2) gibt nach außen die taffe Businessfrau (bei einem
Versicherungsunternehmen in der Sunshine City). Einer Kollegin erklärt sie:
„Du musst nur wissen, wie du das Spiel spielst: Solange sie glauben, sie
benutzen uns, merken sie nicht, wie wir sie benutzen.“ Dabei fühlt Mira
(Julia Koschitz) sich von ihrem Chef, mit dem sie schläft, ausgenutzt,
meint, dass er ihr das von ihr entwickelte Finanzprodukt wegnehmen, sie
beruflich ausbooten will.
„Sarah“ (Folge 3) ist alleinerziehende Mutter zweier Kinder und Ärztin mit
eigener Praxis (in der Sunshine City). Ihr Ex ist mit den Alimenten im
Rückstand und sie verschuldet. „Wissen Sie, wie viel die Kasse pro Patient
zahlt? Dafür fahren Sie nicht mal den Computer hoch“, blafft Sarah (Johanna
Wokalek) den Banker an, der ihr keinen weiteren Kredit gewähren will.
„Ingeborg“ (Folge 4, Ulrike Willenbacher) war so glücklich, sich noch
einmal zu verlieben. Sie ist Miras Mutter, die zu ihr sagt: „Ich hab mir
geschworen, dass ich niemals so enden werde wie du.“ Und dann entdeckt sie
auch noch, dass ihr Wilhelm Meister vom Goethe-Institut in Tokio, den sie
übers Internet kennengelernt hat, ein Hochstapler ist.
„Lorenz“ (Folge 5, Jonas Holdenrieder) arbeitet in einer Bar (in der
Sunshine City) und kann sein Glück kaum fassen, als die schöne Friseurin
von gegenüber sich für ihn interessiert. Es ist eine Nachlässigkeit, dass
er die ihm von seinem Chef anvertrauten Tageseinnahmen nicht sofort zur
Bank bringt.
Das also ist das Serienkonzept: Fünf der sechs Episoden stellen je einen
Menschen in den Mittelpunkt, der eine schwere Kränkung erfährt. So schwer,
dass sie sogar der Auslöser für den Anschlag in der Sunshine City sein
könnte. Denn das haben wir ja zuvor bei Dr. Reinhard Haller gelernt:
„Menschen, die eine so schreckliche Tat begehen, sind immer solche, die
tief gekränkt sind.“
Wer der Amokläufer ist, wird erst in der letzten Folge aufgelöst. So ist
das Ganze als spannender Whodunit verpackt, weil ein schwerfälliger,
schulfernsehmäßiger Problemfilm, wie man ihn aus dem öffentlich-rechtlichen
Programm der alten BRD kennt, heute niemandem mehr zuzumuten wäre. Ob das
funktioniert?
Die letzte Folge „Tag X“ enthält das ZDF den Rezensenten vor – sonst ken…
man solche zugeknöpfte Spoiler-Paranoia nur von den amerikanischen
Streamingdiensten. Aber ja, bis dahin funktioniert das erstaunlich gut.
Weil es von Agnes Pluch relativ frei von Klischees geschrieben, zumindest
bis zum unbekannten Finale (von Umut Dağ) nicht reißerisch inszeniert und
nicht zuletzt überzeugend gespielt ist.
25 Aug 2021
## LINKS
[1] https://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/videos/de…
[2] /Rammstein-Konzert-in-Berlin/!5602295
## AUTOREN
Jens Müller
## TAGS
Rezension
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Polizei
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