# taz.de -- Rammstein-Konzert in Berlin: Porno, Pyro und viel Piff-Paff | |
> Stadionrock vor kontaminierter Kulisse: Rammstein gastieren am Samstag | |
> vor 70.000 Zuschauern im ausverkauften Berliner Olympiastadion. | |
Bild: Game of Thrones Ambiente: Rammstein-Sänger Lindemann am Samstag in Berlin | |
Die Flammen sind wieder runtergedimmt, der Rauch, der das Olympiastadion | |
kurz in eine Kokerei verwandelt, hat sich verzogen, da lassen uns Rammstein | |
noch ein letztes Bild dieses Konzertabends da. Ein Sinnbild. Till Lindemann | |
steht vor einem schwenkbaren Riesenphallus, er singt vom „Blitzkrieg mit | |
dem Fleischgewehr“, steckt mittels Songzeile „Bratwurst in dein | |
Sauerkraut“, ehe er die Rakete zwischen seinen Beinen anschmeißt und weißes | |
Konfetti in die Menge bläst. Pam-pam! | |
Der Song „Pussy“ (2009), den die Band zur zweiten Zugabe spielt, führt noch | |
mal vor Augen, worum es bei einem Rammstein-Konzert im Kern geht (was man | |
angesichts all ihrer geglückten Provokationen manchmal vergisst): um | |
Trashkultur. Um Porno, Pyro und Piff-Paff. Wie nicht anders zu erwarten, | |
hatte die Band zuvor während zweieinviertel Stunden mit Flammenwerfern das | |
Stadion abgefackelt. Na ja, beinahe. | |
Rammstein spielen am Samstagabend also erstmals ein Stadionkonzert in ihrer | |
Heimatstadt, sie stellen ihr neues siebtes Album vor. 70.000 Besucher_innen | |
sind gekommen, ausverkauft, eh klar. Dass das Konzert an diesem | |
kontaminierten Ort stattfindet, ist mehr als eine Fußnote. | |
## Provokation mit Riefenstahl | |
Zum einen haben Rammstein, die seit jeher sehr frei mit der deutschen | |
Geschichte jonglieren, einst für ihr Video zum Depeche-Mode-Coversong | |
„Stripped“ (1998) das an diesem Ort entstandene Material aus Leni | |
Riefenstahls Propagandafilm „Olympia – Fest der Völker“ verwendet – er… | |
kürzlich haben sie den Clip erneut veröffentlicht. Auf dem Cover eines | |
Rammstein-Bildbands posierten sie dagegen im Säulengang des Stadions. Und | |
nun kommen sie eben mit neuen Songs wie „Deutschland“ hierher, der erneut | |
auf den NS rekurriert und als Massenkultur live dargeboten noch mal ganz | |
andere Effekte erzeugen kann als aus der Konserve. Geht das gut? | |
Erst mal verzichten Rammstein auf weitere Referenzspiele mit diesem Ort, | |
sie spielen ihre Stadionshow runter wie in den bisherigen sieben Stationen | |
der Tour auch. Natürlich ist alles gigantisch, Türme von schwarzen | |
Lautsprecherboxen und Lichtstrahlern sind vor dem Marathontor aufgebaut, | |
Nebelmaschinen und ein paar Requisiten wie ein Stahlkessel und ein | |
überdimensionierter Kinderwagen gehören zur Show. Zu ihrem Hit „Engel“ | |
(1997) wechseln die sechs Bandmitglieder den Ort und tauchen auf einem | |
Podest inmitten der Masse auf. Das Stück spielen sie dann nur mit Klavier | |
und a cappella, das ganze Stadion singt mit. | |
Die Musik ist, bis auf wenige Ausnahmen, eigentlich das am wenigsten An- | |
und Aufregende. Rammstein klingen wie unzählige andere Extreme-Metal-Bands, | |
schrubben ihre Riffs runter; immerhin ballern Stücke wie „Links 2-3-4“ | |
(2001), „Mein Herz brennt“ (2001) oder „Puppe“ vom aktuellen Album dank… | |
Anlage ganz gut – zumindest im vorderen Stadiondrittel. | |
## Kurzzeitig musikalisch interessant | |
Musikalisch interessant wird es kurzzeitig, als sie mit einer technoiden | |
Remix-Version von „Deutschland“ überleiten zur Single-Version dieses | |
Stücks. Da stehen vier Bandmitglieder akkurat aufgereiht, mit | |
Vocoder-Stimme singen sie „Deutschland“, ihre dunklen Overalls sind mit | |
Schwarzlichtstreifen versehen, sodass sie so aussehen wie tanzende | |
Strichmännchen oder tanzende Skelette. Eine offensichtliche | |
Kraftwerk-Hommage. | |
Wie oft bei Rammstein lässt einen der Song „Deutschland“ an sich mit | |
ambivalenten Gefühlen zurück. Das Stück und auch das blockbustermäßig | |
inszenierte Video sind einigermaßen eindeutig antifaschistisch kodiert, | |
(„Deutschland, meine Liebe kann ich dir nicht geben“) – aber in den Refra… | |
des Stückes eine Naziparole einzubauen („Deutschland, Deutschland über | |
allen“) gehört eben auch zu diesem Konzept. | |
Der Großteil der Fans singt diese Zeile nun also genauso inbrünstig mit wie | |
alle anderen, und im Olympiastadion wirken diese Verse natürlich, nun ja, | |
schon seltsam. Wobei man sagen muss, dass Rammstein da eher in einer | |
Tradition von Bands wie DAF stehen, auch da war das Spiel mit den Parolen | |
Teil einer Ästhetik, die ganz sicher nicht „rechts“ kodiert war („Der | |
Mussolini“, „Kebabträume“). | |
## Mal deutsch, mal undeutsch | |
Aber die Idee, Kunst müsse pädagogisch, moralisch sowieso sein, ist | |
vielleicht auch wieder sehr deutsch – und in dieser Hinsicht wären | |
Rammstein dann ausnahmsweise eher undeutsch. Zumal der Großteil der Fans | |
die Band ohnehin besser versteht, als die Öffentlichkeit dies annimmt. Es | |
sind normale Metalheads, die herkommen, aber auch sehr poshes, | |
internationales Publikum, und in den Reihen sieht man mehr | |
antifaschistische T-Shirt-Motive (etwa Feine Sahne Fischfilet), als dass | |
man Verdächtiges mit altdeutscher Schrift erspähen würde. Es besuchen | |
übrigens auch kaum weniger Frauen als Männer dieses Rammstein-Konzert. | |
Faszinierend, zumindest als Gesamtkunstwerk, bleiben Rammstein auch im Jahr | |
2019. Collageartig deklinieren sie mal so gut wie alle deutschen | |
Kulturtraditionen, inklusive der übelsten, durch: Wagner, Romantik, | |
Schlager, Ballermann, Eurotrash, Marschmusik, Krautrock. In diesem Sinne | |
sind sie eben die Megastars, die dieses Land verdient. Und überdies eine | |
infantile, aber gute Zirkusnummer, genitale Dilettanten. Der Konzertabend | |
endet übrigens mit dem – extrem gut platzierten – Stück „Ich will“, u… | |
anderem mit den Zeilen: „Wir wollen, dass ihr uns vertraut/ Wir wollen, | |
dass ihr uns alles glaubt/Wir wollen eure Hände sehen/ Wir wollen in | |
Beifall untergehen“. Es kommt ein letzter Knall und der Spuk ist vorbei. | |
23 Jun 2019 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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