# taz.de -- Neues Album von Rammstein: Lindemann renkt den Kiefer aus | |
> Männlichkeitskult aus Ostberlin: Rammstein mit neuem Album „Zeit“ und | |
> Songs, deren Strukturen klingen wie an der Baumarkt-Säge zugeschnitten. | |
Bild: Alte weiße Ostmänner: Rammstein 2022 | |
Das Keyboardmotiv meldet erhöhte Alarmbereitschaft, devot mörsern | |
Metalgitarren los. Es dauert keine 30 Sekunden, schon wird bei „Armee der | |
Tristen“, Auftaktsong des neuen Rammstein-Albums „Zeit“, im Gleichschritt | |
marschiert. Es bleibt unklar, wer die Mobilmachung anordnet. Gesucht werden | |
„Hoffnungslose“, die sich „einreihen“ sollen, um „zusammen traurig zu | |
sein“. | |
Die neue deutsche Härte von Rammstein inszeniert Gefühle als militärische | |
Rangabzeichen. „Komm mit / Komm mit“, heißt es richtungslos im Refrain, der | |
ohne gerolltes R auskommt. Der inzwischen auch unter die Autoren gegangene | |
Sänger Till Lindemann erfüllt ansonsten seinen Lautmalerjob. Ohne je die | |
sabbernde Drastik eines [1][Charlie Chaplin] in „Der Große Diktator“ zu | |
erreichen, renkt [2][Lindemann] seinen Kiefer aus und dehnt das R in die | |
endlose Weite bis hinten zum Rachenzäpfchen. | |
Wenn [3][Rammstein], das Nu-Metal-Sextett aus dem Osten der deutschen | |
Hauptstadt, wie jetzt, ein neues Album veröffentlicht, schmeißt die | |
Musikindustrie die große Konfettikanone an. Sofort sind die Tickets für | |
Konzerte in Stadien rund um die Welt ausverkauft, in Göteborg im Juli sogar | |
dreimal hintereinander. | |
## Angestrengte Attitüde | |
Das Pyromanenspektakel mit Segway auf der Bühne zieht noch. Die Reime | |
der elf neuen Songs klingen derweil etwas angestrengt: Obwohl die Band | |
weiterhin den Advocatus Diaboli spielen möchte, in ihrer Fuck-you-Attitüde | |
wirkt die Songpoesie lieblos zugeschnitten, wie an der Säge im Baumarkt. | |
„Geh ich vorrr derrr Nacht zurrr Rrruh“. | |
Besonders schwer aushaltbar ist aber der Klassiktouch der Musik, zum Intro | |
carl-orffene Chöre, oder ätherische, im Synthie-Nebel wabernde | |
Frauenstimmen. Und dann kommt wieder so ein provozierender Refrain: „Alle | |
haben Angst vorrrm schwarrrrzen Mann“ („Schwarz“), der Grenzen nicht nur | |
austestet. Beim zu sechst gegrölten Incel-Liedchen, – aus | |
Jugendschutzgründen „OK“ abgekürzt –, heißt es zigmal wiederholt: „o… | |
Kondom“. | |
Und es regiert Kitsch. Sie seien „im Fluss der Zeit“, lamentieren Rammstein | |
im Titelsong, diese kenne „kein Erbarmen“: „Zeit, bleib bitte stehen“. … | |
dem Coverfoto schreiten die sechs Musiker die Außentreppe eines Silos nach | |
unten. Könnte auch ein Phallus sein. Oder eine ballistische | |
Atomraketenrampe. Wenn man die Band daraus wegretuschiert, wäre es eine | |
Fotografie von Bernd und [4][Hilla Becher]. | |
## Es herrscht immer Nacht | |
Die forcierte ostgermanophile Hässlichkeit bei Rammstein ist nie ohne | |
Überwältigungsästhetik zu haben, setzt frech auf Männlichkeit, auch wenn | |
sie aus Gründen der Tarnung mal gebrochen wird. Bei Rammsteins unterm Sofa | |
herrscht Nacht. Alles Licht wird in Dunkelheit getaucht, am Ende wartet der | |
Tod. Kaum Abwechslung auch in der Songstruktur: Intro, Strophe – Refrain – | |
Strophe, Schluss. Einzige Ausnahme: Der Song „Dicke Titten“ kommt mit | |
Blaskapelle, da freut sich der Schützenverein. Der Text handelt von einem | |
notgeilen alten Sack, der sich nichts sehnlicher wünscht als eine Frau mit | |
großen Brüsten. | |
Klebt hierzulande ein Rammstein-Aufkleber auf einem Auto, schaut man sich | |
die Insassen genauer an. Im Ausland dagegen werden die Texte der Band nicht | |
verstanden, man feiert ihre „expressionistische Schauerromantik“. Wie | |
[5][Kuckucksuhren] und Jägermeister ist sie ein Exportschlager. | |
US-Autorin Amanda Petrusich bejubelte einst Lindemanns „teutonischen | |
Bariton“ im Magazin The New Yorker. In den USA werden Rammstein nach wie | |
vor von Prominenten als Garant für Free Speech hochgehalten, weil sie 1999 | |
von der Polizei wegen „Pädophilie-Verherrlichung“ festgenommen wurden. Free | |
Speech ist aber längst Steckenpferd der US-Rechten. Nach dem Sturm aufs | |
Kapitol ist Schluss mit feuerspeiendem Maskulinismus. | |
29 Apr 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=4YtWGuogZ | |
[2] /Till-Lindemanns-Lyrik/!5676513 | |
[3] /Rockband-Rammstein/!5842337 | |
[4] /Fotografin-Hilla-Becher-ist-tot/!5243325 | |
[5] https://www.youtube.com/watch?v=5NQXByv6pkw | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
## TAGS | |
Rammstein | |
Neues Album | |
Schwerpunkt Rechte Musik | |
Schwerpunkt #metoo | |
Schwerpunkt #metoo | |
Schwerpunkt #metoo | |
Rammstein | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Rammstein | |
Rammstein | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Rammstein, Punk und Männlichkeitswahn: Nie wieder 1984 | |
Rammstein scheint gedanklich seit 40 Jahren festzustecken. Die Schlagzeilen | |
um Till Lindemann sollten niemanden überraschen. Am wenigsten ihn selbst. | |
Verharmlosung von Rammstein: Eiertanz ums Eiserne Kreuz | |
Die Provokation gehört genauso zur Band wie die Feuershow. Doch nicht nur | |
der #MeToo-Skandal verdeutlicht, was an ihr problematisch ist. | |
Verlag schmeißt Till Lindemann raus: Grober Vertrauensbruch | |
Nach den schweren Missbrauchsvorwürfen gegen Till Lindemann reagiert nun | |
sein Verlag. Er beendet die Kooperation mit dem Rammstein-Sänger. | |
Tourauftakt von Rammstein: Pyro und Phallus | |
Götterdämmerung in der Red Bull Arena: Rammstein huldigt der Masse und die | |
Masse huldigt ihnen auf der Stadiontour, die jetzt in Leipzig startete. | |
Rockband Rammstein: Runter vom Roten Platz | |
Gerade ist die Vorabsingle des neuen Rammstein-Albums erschienen. Die | |
Gruppe erklärte ihre Unterstützung für die Menschen in der Ukraine. | |
Till Lindemanns Lyrik: Wenn der Teutone Ekelhaftes dichtet | |
Ein Gewaltporno zu viel: Rammstein-Sänger Till Lindemann hat Ärger wegen | |
Schauerlyrik. Sein Verleger Helge Malchow hat ihn verteidigt. | |
Rammstein-Konzert in Berlin: Porno, Pyro und viel Piff-Paff | |
Stadionrock vor kontaminierter Kulisse: Rammstein gastieren am Samstag vor | |
70.000 Zuschauern im ausverkauften Berliner Olympiastadion. |