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# taz.de -- Verharmlosung von Rammstein: Eiertanz ums Eiserne Kreuz
> Die Provokation gehört genauso zur Band wie die Feuershow. Doch nicht nur
> der #MeToo-Skandal verdeutlicht, was an ihr problematisch ist.
Bild: Rammstein-Sänger Till Lindemann in Toluca (Mexiko) im Dezember
Deutschland, Dein Rammstein. Die einen lieben, die anderen hassen die
Ostberliner Jungs für ihre kühne Gratwanderung im Gleichschritt durch
kontroverses Territorium, mit kalkulierten Fehltritten bis ins Skandalöse.
Polarisierung bringt Publicity, sprich Geld. Bad Boys, aber mit dem Herzen
am rechten, Pardon: linken Fleck? [1][Aktuell ist die Sechserbande wieder
auf Eroberungsfeldzug durch die Stadien Europas als Kulturbotschafter der
Neuen Deutschen Härte].
Zwar ist Rammsteins Musik für fröhlich Zurückgebliebene nicht unbedingt
bemerkenswert, doch das visuelle Spektakel der Liveauftritte im XXL-Format
zieht – zumindest noch. In ihrer monumentalen Überwältigungsästhetik
liefern die Shows eine Feier flammenumspülter Menschenmassen als
aktualisierte Inszenierungsstrategien der NS-Propagandisten Leni
Riefenstahl und Albert Speer und [2][imitieren diese Vorbilder unter dem
Insignium der musikalischen Stoßtruppe], einem Eisernen Kreuz.
Ab Mittwoch wird das Parteitagstreffen der Rammstein-Jünger an vier Abenden
im Münchner Olympiastadion abgehalten. Rammsteins Rückkehr ins hassgeliebte
Vaterland dürfte sich jedoch keineswegs als Triumphzug erweisen.
Wenn der soeben explodierende Skandal angesichts des behaupteten Musters
sexueller Übergriffe durch Frontmann Till Lindemann gegen junge weibliche
Fans weitere Substanz gewinnt, wären Rammstein erneut Nummer eins in
Deutschland, allerdings im größten #MeToo-Fall.
## Umsatzträchtiger Hausdichter
Über die Vergewaltigung einer mit Drogen betäubten Frau hat Lindemann
bereits 2020 in seinem Poem „Wenn du schläfst“ fantasiert. [3][Damals
verteidigte Lindemanns vormaliger Verleger seinen umsatzträchtigen
Hausdichter; die neue Verlegerin, Kerstin Gleba (Kiwi), wartete erst ab],
bevor sie am Freitag die Reißleine zog und den Verseschmied nun rauswarf.
Rammstein-affine Germanist:innen begnügten sich bislang damit, auf die
Weisheit von dem Unterschied zwischen lyrischem Ich und Privatperson des
Dichters zu verweisen. Weil nicht sein kann, was nicht sein durfte? Wie
akademische Verharmlosung funktioniert, demonstriert auch eindrücklich der
Reader „Rammsteins ‚Deutschland‘. Pop – Politik – Provokation“. Er
präsentiert das Ergebnis kulturwissenschaftlicher Forschung zu Rammsteins
mit faschistoider Ästhetik, rechter Ikonografie und sexuellen
Gewaltfantasien durchsetztem popkulturellen Gesamtkunstwerk.
Aber Entwarnung! Alles ganz harmlos, denn die sechs Ostdeutschen würden
lediglich mit rechter Ikonografie „spielen“, in Form „komplexer Kunstwerk…
deren spezifische Ästhetik auf dem Dreiklang von Pop, Politik und
Provokation“ beruhten. Leider gemahnt das von elf Geisteswissenschaftlern
verfasste Werk inhaltlich teils an eine dürftige Magisterarbeit, ist zudem
zumeist dröge und jargonalhaft im Stil.
## Im ewigen Zitatkartell
Dabei wagt das Bändchen auch durchaus Reizvolles. So das Experiment einer
Kollektivmonografie, in der die Kapitel nicht nach deren Einzelverfasser
ausgewiesen sind. Dass man die elf Abschnitte dennoch den diversen
Beiträgern und Verfasserinnen leicht zuordnen kann, liegt nicht zuletzt
daran, dass sie sich gern selbst zitieren.
Zielführender wäre gewesen, auf existierende akademische Publikationen über
Rammstein zurückzugreifen. So erschien bereits vor zehn Jahren ein
US-Sammelband, der aber nahezu unbeachtet blieb. Die 17-seitige
Bibliografie listet nun gerade mal eine Handvoll angloamerikanischer
Quellen auf; offenkundig interessiert die Außenperspektive auf Rammstein
nicht sonderlich.
Ähnlich insular wie das germanistische Süppchen, das das Bändchen kocht,
ist das methodologische Vorgehen. Zwar wird ein interdisziplinärer,
multiperspektivischer Blick auf das opulente „Deutschland“-Video von 2019
geworfen, den hermeneutischen Zirkel lässt man jedoch eher eingeklappt. Der
geschmacklose Teaser, in dem vier Rammstein-Musiker sich mit bodenlosem
Zynismus als KZ-Insassen bei einer Hinrichtung inszenieren, kommt zur
Sprache. Andere wesentliche Kontexte und Modelle bleiben außen vor.
## Provokation mit Marketingknowhow
So lässt sich die perfide Verwendung faschistischer Ikonografie durch
Rammstein erst durch einen Vergleich mit dem slowenischen Künstlerkollektiv
Laibach genauer bewerten. Doch Laibach, von denen Rammstein nahezu ihre
gesamte Ästhetik abgekupfert haben, bleiben eine Leerstelle. Ignoriert wird
ebenso das Ökonomische, war doch die berechnete Provokation mit
„Deutschland“ offenkundig eine marketingtechnische Entscheidung, um die
Ostberliner Gruppe nach einer Dekade der Absenz wieder paukenschlagsmäßig
in die Charts zu hieven.
Und – nicht ganz unwichtig –, wer oder was genau ist überhaupt gemeint, so
das Kollektivautorensubjekt wissenschaftlich von „Rammstein“ spricht?
Die sechs Altpunker aus der Ex-DDR als private oder als öffentliche
Personen?
Hat der kaufmännische Apparat von Rammsteins Rundumschlagmanagement und
Universal Music mitgeredet, als es um die Entscheidung ging, ob das Tragen
von KZ-Drillichen finanziell zuträglich, obwohl moralisch indiskutabel ist?
Wer besitzt die künstlerische Urheberschaft am Untersuchungsgegenstand
„Deutschland“-Video? Ist es der bandexterne Regisseur? Oder die
künstlerische Persona „Rammstein“ als Kollektivakteur? Wissenschaftlich
wäre es, hier zu differenzieren.
## Was ist mit ethischen Fragen?
Um das zentrale Problem wird ein für die germanistische Branche der
Popmusikforschung typischer Eiertanz aufgeführt: Wie ist politisch
einzuordnen, dass Rammstein künstlerisch eine rechte Ästhetik propagieren –
selbst wenn die sechs Privatpersonen angeblich alles Rechte ablehnen?
Ethische Fragestellungen interessieren das Kollektivautorensubjekt kaum.
Ansonsten könnte man sich wohl nur noch schlecht hinter der Ausflucht
verstecken, Rammstein seien halt ein komplexes, widersprüchliches
Popphänomen, und ihr Zitier- und Referenzexzess verunmögliche es, sie
auf eine eindeutige Lesart festzulegen.
Nix Genaues weiß man nicht, wenn hier elf kluge Köpfe über den rechts
kodierten „Sound of Germany“ nachdenken. Vielleicht auch eine Art
intellektuelles Kollektivversagen.
Eine peinliche Selbstinszenierung des Kollektivverfassersubjekts
dokumentiert der als Vorspann abgedruckte Claim
#RelevanteLiteraturwissenschaft. „Relevant“? Rechter Populismus vergiftet
die Gesellschaft und bedroht die Demokratie.
Es scheint offenkundig, dass das ambivalente Spiel der Pyrorocker mit
teutonischer Symbolik und Naziversatzstücken immer schon ein „Spiel mit dem
Feuer“ war. In der Masse der Rammstein-Jünger dürfte es immer schon genug
„Rezipienten“ gegeben haben, die eine popkodierte Ironisierung des
Nationalismus bewusst missverstanden haben, nämlich als Ermunterung.
„Relevant“ wäre eine Literaturwissenschaft, die diesen Aspekt der sich als
harmlose Biedermänner inszenierenden Brandstifter Rammstein
problematisierte. Aber nun erst einmal XXL-#MeToo.
4 Jun 2023
## LINKS
[1] /Tourauftakt-von-Rammstein/!5856090
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## AUTOREN
Uwe Schütte
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